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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1323–1326

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Metzger, Paul Louis

Titel/Untertitel:

The Word of Christ and the World of Culture. Sacred and Secular Through the Theology of Karl Barth.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XXIV, 252 S. gr.8. Kart. US$ 38,00. ISBN 0-8028-4946-6.

Rezensent:

Christofer Frey

Sorgfältige, nicht-eklektizistische Barth-Leser haben immer schon gewusst, was der in Oregon lehrende Theologe P. L. Metzger in seiner Dissertation (am King's College, London) erarbeitete und nun in einer Monographie vorstellt: Barth suchte trotz seiner dialektischen Phase und deren Fortsetzung in einer angeblich das Schöpfungsthema verdrängenden Wort-Gottes-Theologie den Zugang zur Kultur. Diese These wird vor allem für die amerikanische Theologie entfaltet, die sich oft von Tillichs Vorwurf der "Neo-Orthodoxie" leiten ließ (vgl. 33). Darum sind am Anfang dieser Rezension einige Andeutungen zu M.s Situationsanalyse angebracht: M. findet die amerikanische Christenheit nicht gastlich in ihrer Gesellschaft aufgenommen (86.189); er sieht viele ihrer Gruppen immer noch in der puritanischen Versuchung, den Staat als indirekten Ausdruck des Reiches Gottes zu begreifen, aber er nimmt auch die Chance wahr, nach der Abschwächung fundamentalistischer Trends und abseits konservativer Abwege der so genannten Evangelicals einen Weg zwischen den Gefahren der Divinisierung der (politischen) Wirklichkeit und völliger Säkularisierung der Gesellschaft zu gehen (233, auch 227). In diesem Sinn betrachtet er Peter Bergers Hinweis auf vielfältige Formen der Desäkularisierung zwar als einleuchtend, aber in den Konsequenzen doch als schwierig (117, Anm. 8). Wenn ein Weg zwischen den beiden genannten Gefahren Vorrang hat, dann müsste der Staat die Koexistenz mit der kirchlichen Institution (welcher unter den vielen in den USA?) hinnehmen (188); und die Christenheit sollte lernen, soweit auf die säkulare Kultur zu vertrauen, dass in ihr indirekter Schöpfungssinn (199 f.) und damit ein Hinweis auf die Wahrheit des Wortes zur Geltung kommen kann. Das Weltverhältnis sei mit Hilfe der Perichoresenlehre und damit als Koexistenz und Koinhärenz - selbstverständlich asymmetrisch vom Wort Gottes her - zu bestimmen (mit Hunsinger - 131 f.). Die Schöpfung dürfe dann nicht divinisiert werden, sondern brauche das absolute und doch beziehungsreiche Gegenüber Gottes (199 f.).

Diese nicht ganz neue Interpretation muss sich an theoretische Grundlagen anlehnen, die in Barths Werk auszukundschaften sind: M. versucht einerseits eine historische Analyse, die an Schritten von Barths Auseinandersetzung mit Kierkegaard orientiert ist (223 f.) und die frühe Barthsche Dialektik zwar nicht ablösen soll, aber in das Geschehen und Hören des Wortes Gottes einmünden lässt (hier ist Bruce McCormack Zeuge - 39, Anm. 7). Barth gebe die Dialektik nie auf (39). Notwendig wird nun eine ältere latente Ontologien (in der Theologie) ersetzende Überlegung: Wenn der Anfang der Theologie weder in der individuellen Erfahrung des Universums, also der schlechthin uneinholbaren Totalität im religiösen Menschen selbst, noch auf dem Standpunkt des unangefochtenen und neutralen Vernunftbeobachters gesucht werden kann, dann wird nur im Absoluten erfahren, was endlichen Menschen als der ganz Andere und doch als Mensch begegnet. Die Inkarnation wird - freilich nicht im lutherischen Sinne - zum Inbegriff (oder zum zentralen Ereignis) der Begegnung Gottes als Mensch (vor allem 64 ff.). Besonders hervorzuheben ist, dass M. den Begriff des Wortes Gottes nicht auf diesem Niveau, also im Sinn einer schlechthinnigen Setzung, behandelt, sondern den ontologische Implikationen durchbrechenden und doch zugleich eine ontologische Dimension erreichenden Sinn des Wortes sorgfältig nachzeichnet.

Dem dienen vor allem die Kategorien der Enhypostasie und der Anhypostasie (38 ff.), über deren adäquate Benutzung durch Barth gestritten werden kann (38, Anm. 5). Für die Menschwerdung gilt, dass sie aus dem Vorrang des Wortes zu verstehen ist und dank der Erwählungslehre trinitarisch-immanent verankert gefunden wird (93 ff.). Warum die Erwählung eher eine anthropologische als eine heilsgeschichtliche Kategorie ist, bleibt ein wenig dunkel (93). Die Anhypostasie kann kein nestorianisches Experiment einschließen, denn die durchaus bestehende menschliche Persönlichkeit Jesu gründet im Wort. Alles andere wäre im Sinn der Idee, die D. F. Strauß als spekulativen Rest gelten ließ, oder vielleicht auch im Sinne der allgemeinen gattungsbezogenen Liebe des späten Feuerbach.

Deshalb betrifft die schwierigste theoretische theologische Frage das Personsein Jesu Christi in wahrer, endlicher Menschlichkeit. Ehe man - in der Nähe zu Schleiermacher - das Individuelle als das Allgemeine behauptet (so Manfred Frank), muss die Geschichte in ihrer Veränderung, aber auch ihrer Stetigkeit und in der Frage nach ihrem Ziel bedacht werden und mit ihr zugleich die geradezu konstitutive Endlichkeit des Menschseins, das der Humanität geöffnet werden soll. Ferner hängt von der Behandlung des Themas der Geschichte der Sinn und der Erfolg des Barthschen Angriffs auf die nicht-eschatologische Theologie ab (17). Leider behandelt M. diese Fragestellung nur mit Hilfe der Unterscheidung des Generellen und des Partikularen (61) und schließt aus einer verkürzten Vorstellung Hegelschen Denkens, das sich aus englischsprachigen Philosophiegeschichten speist, dass Hegel das Partikulare als ein Durchgangsstadium des Allgemeinen ansehen wollte, in dem sich das abstrakte Absolute zum Geist mit einem vollendeten Bewusstsein entfalte. Die Hegelsche Logik kennt allerdings drei Kategorien: Allgemeinheit, Besonderheit (die auch abstrakt ist!) und Einzelheit. Deshalb bezieht sich Hegels Christologie auf die Einzelheit, in der sowohl Allgemeines (Gott als Begriff) und Besonderheit ("dieser und nicht jener") zum Einzelnen verbunden sind ("dieser ganz eindeutig Bestimmte ist Gott"). Der philosophische Anspruch könnte also weiter gehen, als die Theologie vermutet; aber ob sie das geschichtliche Ereignis nicht doch an eine Idee bindet und wie sie sich dem scheinbaren Widerspruch in Gottes Ewigkeit (zeitbestimmt und perichoretisch, vgl. 110, Anm. 94) stellt, bleibt offen.

Geschichte und Ontologie finden schwer zueinander; vielleicht hat M. dieses Thema auch zu wenig beachtet, weil er Gott nach dem Ratschluss ewiger Erwählung in der Geschichte Mensch werden lässt, statt ihn zum geschichtlichen Menschen schon von Ewigkeit her werden zu lassen. Dann hätte M. mit KD IV/1, 54 ff. erkenntnistheoretisch vom Logos ensarkos ausgehen müssen, von der geschichtlichen Einzelheit, um Gottes Erwählungshandeln als darin vorausgesetzte Einsicht zu verstehen (vgl. auch das Thema des jüdischen Menschen Jesus - 151). Die Geschichtlichkeit dieses Ursprungsereignisses und die transzendentale Konfigurierung des göttlichen und des menschlichen Seins finden einander schwer; aber genau das müsste im Begriff des Wortes eingelöst werden, damit es nicht als irrationale Zumutung missverstanden wird. Deshalb ist das Werk des oft als theoriescheu verstandenen Theologen Barth als latent theoriegeladen zu betrachten. Analogie und Gleichnis dürfen nicht länger als geprägte Münzen ausgegeben, sondern müssen analytisch vorgestellt werden (vielleicht mit Hilfe Wittgensteins; vgl. den kurzen Seitenblick auf ihn - 142, vor allem Anm. 85).

Das Wort ist also voraussetzungsreich und nicht nur ein plakativer Widerspruch gegen die Erfahrung. Das verdeutlicht M. vor allem an den Konsequenzen des Barthschen Ansatzes für den Umgang mit der Kultur und ihrer Orientierung. Diese konzentriert er auf die Haltung in der Politik und auf den Umgang mit Mozarts Musik (155 ff.205 ff.). - Die politische Orientierung sucht ihren Weg zwischen Divinisierung (des Politischen) und radikaler Säkularisierung (171ff., vor allem 194). Auch wenn die Gegenüberstellung etwas undifferenziert wirkt, benennt M. doch nicht nur den Nationalsozialismus und seine quasireligiöse Ideologie, sondern auch die fundamentalistische Unterwanderung der Politik sowie den kämpferischen kommunistischen Atheismus (dazu auch M.s Verwunderung über Barths unterschiedliche Haltung zu Nationalsozialismus und Kommunismus, 180 ff.). Weder eine kurzschlüssige Bejahung der Säkularisierung noch Peter Bergers Beachtung neuer, sehr konservativer antisäkularistischer Religiosität (117, Anm. 108) entsprechen diesem Modell eines Mittelweges.

In Barths Bewertung der Musik Mozarts findet M. die Ausgangslage (den Widerspruch zur Divinisierung und zur Säkularisierung) nicht verändert; anders aber ist die Resonanz der Schöpfung im bloßen Spiel (der Musik) (215 ff.). Fast könnte man sagen: Hier findet sich eine Barthsche Version der Kritik der Urteilskraft, dort eine der Kritik der praktischen Vernunft (Kants).

Was ist das aktuelle Ergebnis dieser Barth-Studie? Der Rezensent möchte es so zusammen fassen: Dem latenten Pantheismus bzw. einer dumpfen religiösen Aufladung der Wirklichkeit des Menschen entgeht man weder durch Atheismus noch durch Skepsis. Gott als Gegenüber bringt zu einer Humanität, die solche Horizonte durchbricht. Der Gottesglaube - eindeutig im Glauben an den Inkarnierten - ist Aufklärung im eigentlichen Sinn; ihretwegen ist die Theologie des Worts notwendig.

M. unternimmt eine Relektüre Barths unter manchmal postmodernen Vorzeichen und lässt alte, häufig beiseite geschobene Erkenntnisse wieder aufleben. Er fordert damit heraus, die theologische Erkenntnis vielschichtig zu sehen, zum Beispiel die Schöpfung nicht einfach als seiend zu behaupten, sondern theologische Sachaussagen so zu verstehen, dass sie zugleich von einer verborgenen theologischen Erkenntnistheorie angeleitet werden. Alle Erkenntnis ist an den Geschichte, Einzelheit und Person gewordenen Logos ensarkos zu binden; nur von ihm her können wir über die Welt hinaus nach Gott fragen.

Das Buch ist für englische bzw. amerikanische Leser geschrieben. Im deutschen Sprachraum wird es nicht immer ganz leicht sein, die Nachweise in den Fußnoten zu verifizieren. Doppelte Angaben wären erwünscht gewesen.