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Ausgabe:

November/2004

Spalte:

1200 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Smith, Barry D.

Titel/Untertitel:

Paul's Seven Explanations of the Suffering of the Righteous.

Verlag:

New York-Washington/Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Lang 2002. X, 251 S. gr.8 = Studies in Biblical Literature, 47. Geb. Euro 64,10. ISBN 0-8204-5689-6.

Rezensent:

Christof Landmesser

Das Leiden des Gerechten ist eigentlich unerklärlich. Es stellt zumindest vor eine theologisch allenfalls mit einigem Aufwand zu bewältigende Aufgabe. Gott muss mit dem Leiden des Gerechten etwas intendieren, was es darzustellen gilt, um eben dieses Leiden zumindest in der nachträglichen Reflexion über dasselbe erträglich zu machen; das heißt, dass das Leiden des Gerechten in ein Gesamtverständnis des Verhältnisses von Gott und Mensch einzuordnen ist. Für die Rekonstruktion der Interpretation des Leidens des Gerechten innerhalb des paulinischen Schrifttums macht dies eine Einsicht in die theologischen Grundentscheidungen des Apostels unabdingbar, die der Vf. in der vorgelegten Studie exegetisch und systematisch nicht wirklich entfaltet, aber doch an manchen Stellen als vorausgesetzt erkennen lässt. Wo dies der Fall ist, bietet die Arbeit Ansatzpunkte für eine produktive Diskussion.

Als religions- und traditionsgeschichtlichen Hintergrund für die vom Vf. identifizierten Erklärungen für das Leiden des Gerechten akzeptiert er nur alttestamentliche Texte und das palästinische Judentum bis in die frühchristliche Zeit (2). Hellenistisch-philosophische Traditionen schließt der Vf. ausdrücklich als irrelevant aus, da Paulus als Pharisäer wesentlich vom Judentum geprägt worden sei (3). Paulus wird so in seiner Sicht des Leidens des Gerechten als ein im Wesentlichen dem jüdischen Denken verpflichteter Theologe vorgestellt.

Die folgenreiche Komplexitätsreduktion, die der Vf. ohne hinreichende Diskussion vornimmt, wird weiter deutlich in der Bestimmung des Gerechten. "It denotes a person who habitually obeys God. Although not perfect, the righteous at least wholeheartedly strives to be so." (3) Insofern der Vf. dies auch als angemessene Beschreibung des Gerechten bei Paulus behauptet (ebd.), verliert er den Blick auf die für die Frage nach dem Leiden des Gerechten entscheidende christologisch begründete Neubestimmung von Gerechtigkeit im paulinischen Denken. Der enggeführte traditionsgeschichtliche Zugang zu der Fragestellung lässt weitere methodische Probleme erkennen. Die paulinischen Texte verlieren ihrer Eigenständigkeit, wenn sie als eine Art Prolongation eines wie auch immer zu bestimmenden religions- oder traditionsgeschichtlichen Hintergrunds verstanden werden. Dass dieser Hintergrund wichtig ist, ist unbestreitbar, dann aber müssten die Texte der Tradition und die paulinischen Texte zunächst in ihrer eigenen engeren Kontextualität präziser wahrgenommen und interpretiert werden.

Der Vf. stellt die sieben von ihm identifizierten Begründungen für das Leiden des Gerechten vor, indem er zunächst bei fünf Motiven verschiedene Akzentuierungen in alttestamentlichen und frühjüdischen Texten benennt. In diesen Hinweisen hat die Arbeit ihre größten Stärken. Anschließend erörtert er die paulinische Aufnahme. Zwei Begründungen für das Leiden des Gerechten erkennt er nur bei Paulus.

Das Leiden resultiere (1.) aus der Verfolgung des Gerechten (9-58) auf Grund der Koexistenz von Gerechten und Gottlosen (9). Den Verfolgten bleibt nach den frühjüdischen Texten allein der eschatologische Ausblick auf die sich dann durchsetzende Gerechtigkeit Gottes (33), und auch Paulus erkenne darin den Willen Gottes, den er aber nicht zu erklären weiß (41). Das Leiden des Gerechten habe (2.) eine heilsame Funktion (59-117). Der Gerechte sei nicht perfekt, weshalb das Leiden in alttestamentlich-frühjüdischer Tradition als Erziehungsmaßnahme Gottes verstanden werden könne. Werden die Gottlosen voreschatologisch für ihre Sünden gestraft, so werden dagegen die Gerechten erzogen (68). Nach Paulus führe diese Art des Leidens zum einen zu Buße und Vergebung, zum anderen habe das Leiden, das zum Tod führt, sühnende Funktion (79). Wohl habe Jesu Tod in der paulinischen Sicht universale sühnende Kraft, es bleibe aber noch Raum "for a sort of ad hoc atonement", die durch den Tod dessen bewirkt werde, der den Willen Gottes in bestimmter Hinsicht verletzt habe (93).

Wesentlich kürzer stellt der Vf. die weiteren Arten des Leidens des Gerechten dar. Das Leiden kann (3.) als heilsgeschichtlich notwendig (119-134) verstanden werden. Das Leiden gehöre zum Apostelamt, und die leidenden Verkündiger erwarten eschatologische Vergeltung. Das Leiden wird (4.) als Prüfung aufgefasst (134-141). Diesen Aspekt notiert der Vf. im Anschluss an Röm 5,2-4 und - da er manche Deuteropaulinen ohne Diskussion für Paulusbriefe hält - an 2Thess 1,5. Das Leiden des Gerechten sei (5.) eine Folge der Sünde Adams (141-147).

Abschließend erinnert der Vf. an zwei Arten des Leidens des Gerechten, die nur bei Paulus zu finden seien. Die (6.) pädagogische Funktion des Leidens (157-174) lässt sich freilich nicht eindeutig von seiner heilsamen Funktion abgrenzen. Das Leiden des Apostels lehre zum einen die Gegner des Apostels, dass dessen Schwachheit zum Apostelamt gehöre (162). Zum anderen werde der Apostel durch sein Leiden auf die Kraft Christi verwiesen (168). Zuletzt (7.) benennt der Vf. das paulinische Motiv des Leidens als Teilhabe am Leiden Christi (174-183). Dieses ist für alle Christen notwendig, sie können aber auf eschatologische Vergeltung hoffen. Zudem leidet der Apostel stellvertretend für seine Gemeinde (183).

Appendizes zur Vergeltung des Leidens nach Sapientia Salomonis (201-203) sowie zur Rekonstruktion des Herrenmahls nach 1Kor 11 (205-228) ergänzen den Band. Namen- und Stichwortregister wären hilfreich gewesen, die an das Ende eines jeden Kapitels gesetzten Fußnoten erschweren die Lektüre.

Die Studie bietet interessante Einblicke in die Vielfalt der Motive des Leidens des Gerechten in der alttestamentlich-frühjüdischen Tradition. In methodischer und theologischer Hinsicht bleibt für die paulinische Sichtweise jedoch Wesentliches offen