Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2004

Spalte:

624–626

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Pohlmann, Karl-Friedrich 2) Pohlmann, Karl-Friedrich

Titel/Untertitel:

1) Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) Kapitel 1-19. Übersetzt und erklärt von K.-F. Pohlmann.

2) Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) Kapitel 20-48. Übersetzt und erklärt von K.-F. Pohlmann m. e. Beitrag von Th. A. Rudnig.

Verlag:

1) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 297 S. gr.8 = Das Alte Testament Deutsch, 22/1. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-525-51210-4.

2) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. XVI, 333 S. (299-631). gr.8 m. einer Abb. = Das Alte Testament Deutsch, 22/2. Kart. Euro 34,00. ISBN 3-525-51203-1.

Rezensent:

Peter Schwagmeier

Der zweibändige Ezechiel-Kommentar K.-F. Pohlmanns ersetzt den von W. Eichrodt erarbeiteten Entwurf in der Reihe "Das Alte Testament Deutsch" (ATD). Nach "Zur Frage nach ältesten Texten im Ezechielbuch" (in: Prophet und Prophetenbuch. FS O. Kaiser, BZAW 185, 1989), den 1992 erschienenen "Ezechielstudien" (BZAW 202) und dem von P. erarbeiteten Paragraphen "Ezechiel" in O. Kaisers "Grundriß der Einleitung" (Bd. 2, 1994) liegt damit eine detaillierte Gesamtdarstellung dieses Prophetenbuchs aus der Sicht P.s vor. Geboten wird ein Zugang zum Buch, der zwar an die Arbeiten anderer anschließt und sich immer wieder mit Positionen nicht zuletzt aus der jüngeren Ezechiel-Forschung trifft, der in der Gesamtsicht aber eine weitgehend neue Perspektive präsentiert. Mit seinem ATD-Vorgänger teilt dieser Kommentar nicht viel mehr als den Gegenstand der Kommentierung.

Um das Erscheinen des zweiten Bandes zu beschleunigen, wurde die Kommentierung des "Verfassungsentwurfs" (Ez 40-48) von P.s Schüler Th. A. Rudnig übernommen, der sich in seiner Dissertation "Heilig und Profan" (BZAW 287, 2000) eingehend mit ebendiesem Textbereich beschäftigt hat. Da R. in der Fluchtlinie P.s arbeitet, tut diese Aufteilung der Homogenität des im Kommentar verfolgten Konzepts der Buchgenese keinen Abbruch.

Die der Kommentierung vorangestellte Einleitung befasst sich mit (I) dem zeitgeschichtlichen Hintergrund, (II) Strukturierungen des Ezechiel-Buchs, (III) einer grundlegenden Orientierung zu entstehungsgeschichtlichen Fragen sowie mit (IV) Text (dies leider sehr knapp) und Wirkungsgeschichte. Die hier gebotenen Informationen sind so ausgewählt, dass sie den Leser gut vorbereiten auf die in der Kommentierung begegnenden Analysen. Deren Grundlage ist eine konsequent redaktionsgeschichtliche Vorgehensweise, so dass Rückschlüsse auf einen historischen "Propheten Ezechiel" erst möglich sind, "wenn die Redaktionsgeschichte des Buches durchschaut [...] ist" (40).

Diese Redaktionsgeschichte nun stellt sich gemäß P. in ihren wesentlichen Linien folgendermaßen dar: Wohl noch in exilischer Zeit entsteht im Land ein Prophetenbuch, das vor allem von der Intention geprägt ist, die Zuverlässigkeit prophetischer Verkündigung und so letztlich die Geschichtsmächtigkeit Jahwes angesichts der Katastrophe aufzuzeigen. Unter Verwendung älteren Materials (dazu unten) weist es mindestens folgenden Textbestand auf: Ez 4-7*; 11,1-13*; 12,21 ff.*; 14,7-20*; 17,1-18*; 18,1-13*; 19/31*; 15,1-6*; 21,1-4*.5.23-32*; 22,23-31; 23*; 24*; 25*; 26*; 35,1-3aa*.10-12*.14*; 36,1.2. 5.7-9.11; 37,11*.12a.14. Dieses ältere Buch erfährt im 5. Jh. eine Überarbeitung, die den Heils-Exklusivanspruch der ersten Gola und das Ende der nach 597 im Land Verbliebenen formuliert. Die redaktionellen Textanteile dieser golaorientierten Bearbeitung umfassen im Wesentlichen 1,1-3*; 2,9-3,3*.10 f.* 14f.*16-21; 8-11*;12,17-20; 14,21-23; 15,4b-8*; 17,19-24; 22,17-19a; 23,25*; 24,2*.10*.21*.25-27*; 33,21-29*; 35,1- 36,15*; 37,1-10*.11-13.25-28* und 40,1 ff.* Im 4. Jh. folgen diasporaorientierte Bearbeitungen, die den Alleinanspruch der ersten Gola aufheben und den Fokus auf ganz Israel in der Zerstreuung sowie die Bewältigung der damit verbundenen Probleme richten; zuzuordnen sind hier 4,13; 6,8-10; 11,16; 12,11. 15-16; 20; 22,15-16; 28,25-26; 29,12b.13; 30,23.26; 33,1- 20.22*.30-33; 34,1-15.(16.17-22.)25-27a.29.30; 36,16-23ba und 39,25-29*. Größere Textanteile der Visionen in Ez 1 ff., 8ff., 37 und 40 ff. schließlich zeigen deutliche Nähe zu apokalyptischer Literatur und sind entsprechend noch später anzusetzen. Sonderentwicklungen werden erwogen für das in seiner jetzigen Fassung sehr späte Stück Ez 38-39 sowie für den in Papyrus 967 fehlenden Passus 36,23bb-38. Die Textzuweisungen zu den Wachstumsstadien "älteres Prophetenbuch", "golaorientierte Redaktion" und "spätere Bearbeitungen" sind durch unterschiedliche Drucktypen in der Übersetzung des Ezechiel-Textes hervorgehoben; darüber hinaus wird eine listenartige Übersicht über die Zuordnung der meisten Textanteile von Ez 1-39(.40 ff.) geboten (526).

Bei aller Rekonstruktionsarbeit ist P. der nahe liegenden Gefahr nicht erlegen, Kommentierung mit Erklärung der Entstehungsgeschichte zu verwechseln. Da die Literarkritik tendenzkritisch gesteuert ist, gehen die textgenetischen Analysen Hand in Hand mit einem Nachzeichnen der theologischen Sachbewegungen. Dem redaktionsgeschichtlichen Ansatz entsprechend verbleibt die Kommentierung dabei nicht in perikopischer Verengung, sondern behält die buchweiten Leselinien stets im Blick.

Einen hohen Grad an Plausibilität haben die Analysen zu den gola- und den diasporaorientierten Textanteilen (vorausgesetzt, man steht einem diachronen Zugang zum Buch nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber). Grund dafür ist nicht zuletzt, dass P. nicht einfach Ergebnisse vorlegt, sondern den Leser teilhaben lässt an der Arbeit am Text, indem er tendenzkritisch argumentiert, abwägt und immer wieder unterschiedliche Zuordnungsmöglichkeiten durchspielt.

Problematischer sind Erwägungen zur Vorgeschichte einiger Texte, wie sie im Fall der Rekonstruktion ältester im Buch verarbeiteter Texte begegnen (dazu besonders 36 ff.292 ff.): Diese haben nach P. in der Abfolge 19,2a*b.5b.6.7b.8*.9*;31,2.3.4a.6aa.12aba*.13a;19,10.11aa.12abbb.14ab mit der Erweiterung 15,2*.3.4a eine Sammlung von Klagen gebildet, die noch keine Antwort auf die Katastrophe kennen, keine Reflexionen über ein Hintergrundhandeln Jahwes anstellen und erst in der Folge zum Prophetenbuch anwachsen.

Das zu Grunde liegende Modell der Buchwerdung dürfte wesentlich von der Arbeit an Jeremia angestoßen sein (C. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, FRLANT 137, 1985; Pohlmann, Die Ferne Gottes, BZAW 179, 1989). Und so plausibel dieses Modell grundsätzlich sein mag (vgl. auch P. in: "Wer ist wie du, HERR, unter den Göttern?" FS O. Kaiser, 1994), die rekonstruktive Arbeit mit ihrer Verbindung von Umstellungsthesen und recht minutiöser Literarkritik stößt in diesem Bereich des Kommentars (wie auch an anderen entsprechenden Stellen) an die Grenzen dessen, was methodisch noch kontrollierbar ist. Dabei geht es dieser Kritik nicht um eine grundsätzliche Infragestellung der Legitimität von Vorstufenrekonstruktionen, es geht vielmehr um die Frage, ob diese Rekonstruktion an diesem konkreten Textbereich überzeugend durchgeführt werden konnte. Ob die Anfänge des Ezechiel-Buchs sich tatsächlich im Sinn P.s nachzeichnen lassen, wird in der Forschung sorgfältig zu diskutieren sein.

R. stellt seiner Kommentierung von Ez 40-48 eine eigene - für die Lektüre des Folgenden wiederum sehr hilfreiche - Einführung voran, in der er den Aufbau des "Verfassungsentwurfs", dessen Verankerung im Buch sowie im Umriss den Forschungsstand skizziert und eine Zusammenfassung zur redaktionsgeschichtlichen Zuordnung des Textguts bietet. Entscheidend für die Einbettung in den Kommentarband ist dabei, dass den gola- und den diasporaorientierten Bearbeitungen erhebliche Textanteile zugeordnet werden.

So weist R. der golaorientierten Redaktion die unter Aufnahme älteren Materials gestaltete Grundschicht des Komplexes zu (auf 37,25-28* folgend: 40,1.2b*.4*.17.28aa; 40,47ba 41,4*. 15b-20a*; 43,6a.7a; 44,5aa; 45,17a.21a.22-25; 46,4-7; 47,1. 8*.9abbb.12a.13ab*.15b-20*; 48,35b) und kann programmatisch formulieren (531): "Ohne Ez 40-48* bliebe die golaorientierte Buchfassung von Ez 1-37* ein Fragment." 43,7b-9*; 44, 6-7*; 45,8b.9; 46,16-18; 47,13ab*g.14.15a.21 und 48,1-8aa. 23b-29 werden als einheitliche Schicht im Rahmen der diasporaorientierten Buchbearbeitungen verortet; Terminus a quo ist die zweite Hälfte des 5. Jh.s. Darauf folgt eine Reihe priesterlicher Bearbeitungen, die als "bewußte Gegenentwürfe zu entsprechenden Konzeptionen in P" (537) verstanden und mehreren literarischen Händen zugewiesen werden (z. B. "Sakralschicht", "Priesterliches Grundsatzprogramm" und "Sühnetheologisches Beziehungsgeflecht"). Von den weiteren, bis ins 3. Jh. reichenden Arbeiten am Buch seien noch die folgenden erwähnt, verbunden in der Intention, den unmittelbaren Kontakt des Propheten mit Jahwe zu verhindern: So geht die Einbringung des Kabod (R.: "Thronherrlichkeit") in den Visionszusammenhang auf zwei Bearbeitungsschübe zurück, während die etwas jüngere "Mann-Bearbeitung" verantwortlich ist für die Eintragung des "Mannes" und die Zuschreibung der Messarbeiten an ihn (z. B. 40,3 f.*6. 8.11 und 42,15-20*).

Inwieweit man den redaktionsgeschichtlichen Zuweisungen etwa im Bereich der priesterlichen Bearbeitungen folgt, hängt nicht unerheblich von der Komplexität ab, die man diesen Redaktoren zutraut. Aber ganz unabhängig davon zeichnet R. die verschiedenen thematischen Schwerpunkte in Ez 40 ff. überzeugend nach. Und obwohl die Kommentierung dabei bisweilen einen für ATD sehr hohen Grad an Dichte entwickelt, zeigt sie gekonnt, welche theologischen Denkprozesse diesen nur auf den ersten Blick spröden Textbereich prägen.

Ein Plan der in Ez 40 ff. entworfenen Tempelanlage beschließt den profilierten Kommentar.