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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

577–579

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas, und Silke Leonhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2003. 346 S. m. Abb. 8. Kart. Euro 28,00. ISBN 3-374-02093-3.

Rezensent:

Martin Rothgangel

"Performative Religionspädagogik" - so lautet das jüngste Angebot auf dem Markt religionspädagogischer Entwürfe. Mit einer kräftigen Nachfrage darf nicht nur auf Grund der beteiligten Autoren gerechnet werden, sondern auch deswegen, weil gegenwärtig in den Kulturwissenschaften ganz allgemein von einem "performative turn" gesprochen wird. Welche Chancen bietet der performative Ansatz speziell für die Religionspädagogik? Um dies ihren Leserinnen und Lesern eindrücklich vor Augen zu führen, haben Silke Leonhard und Thomas Klie einen bemerkenswerten Sammelband konzipiert, der aus drei Teilen besteht.

Der erste Teil ("Körperräume und Raumkörper") dient der Grundlegung und enthält Beiträge von Chr. Bizer, H. Schroeter-Wittke, D. Zilleßen, H.-M. Gutmann und S. Schaede (17- 146). Didaktische Überlegungen finden sich im zweiten Teil "Lehrformen und Lernwege" mit Aufsätzen von B. Dressler, S. Leonhard, T. Klie und Chr. Stäblein (147-227). "Schauplätze und Vollzüge", so lautet schließlich der methodisch orientierte dritte Teil dieses Sammelbandes, in dem A. Mertin, B. Hanusa, U. Habenicht, J. Goldenstein, L. Teckemeyer und C. Schaper zu Wort kommen (229-344).

Zu Beginn eines jeden Hauptteils liefern die Herausgeber eine hilfreiche Hinführung zu den einzelnen Beiträgen. Darüber hinaus eröffnen sie diesen Sammelband durch eine programmatische Einleitung mit dem viel sagenden Titel "Performative Religionspädagogik. Religion leiblich und räumlich in Szene setzen" (7-16).

Was ist in religionspädagogischer Perspektive unter Begriffen wie "performativ" und "performance" zu verstehen? Über den Bezug zur Sprechakttheorie hinaus, wo mit "performativ" eine sprachliche Handlung gemeint ist, bei der "mit dem Verlauten bereits eine Wirklichkeit mitgesetzt ist" (7), verweisen die Herausgeber insbesondere auf den Kontext des Theaters. Es werden "Texte in Szene gesetzt" und "mit den Mitteln einer Inszenierung ... buchstäblich in Sprech-Akte" (7) verwandelt. Von daher können ihres Erachtens die Ausdrücke Performance und Inszenierung synonym verwendet werden (7; vgl. aber Schroeter-Wittke, 48, Anm. 3). Auf diesem Hintergrund machen Leonhard und Klie funktionale Analogien zwischen Theater und Religionsunterricht geltend, um Letzteren "als ein inszenatorisches Handeln zu verstehen - performativ eben" (8). In diesem Sinne ist der Unterricht "wie das Theater ein leibhaftes und raumgreifendes Geschehen. In ihm nehmen Lernen und Lehren wahrnehmbare Formen an" (8).

Überblickt man die Beiträge, dann scheint ein Verständnis von schulischem Religionsunterricht als didaktische Inszenierung von Leib und Raum das einigende Band zu bilden zwischen den z. T. doch beachtlich divergierenden Ausführungen. Exemplarisch ließe sich dies etwa an Chr. Bizers Beitrag einerseits ("Kirchliches", 23-46) und dem Aufsatz D. Zilleßens andererseits aufzeigen ("Raumbeschreitungen", 67-91). Aus diesem Grund ist es begrüßenswert, dass sich in dem herausragenden Beitrag von H. Schroeter-Wittke "Performance als religionsdidaktische Kategorie" (47-66) eine differenzierte Auseinandersetzung mit anderen performativ orientierten religionspädagogischen Beiträgen findet (59-65). Sein kritisches Zwischenresümee lautet: "Diese fassen aber die Brisanz der Tat- sache, dass die Performance die Religion der daran beteiligten Subjekte allererst entstehen und zur Darstellung kommen lässt, zumeist nicht gebührend ins Auge" (62).

Unterschiede dieser Art erklären sich zum Teil daher, dass Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes den verschiedenen Wurzeln der sog. Performativen Religionspädagogik zugeordnet werden können. Leonhard und Klie nennen in dieser Hinsicht vier religionspädagogische Hintergründe (17-20): 1) die Symboldidaktik, 2) die Zeichendidaktik (vgl. in diesem Sinne die Beiträge von B. Dressler und Th. Klie), 3) die post-strukturalistische ("profane") Religionspädagogik (vgl. dazu D. Zilleßen; H. Schroeter-Wittke) sowie last not least 4) den gestalt- pädagogischen Hintergrund (vgl. Chr. Bizer). Ohne auf die Beiträge im Einzelnen eingehen und ihnen angesichts der genannten Unterschiede differenziert gerecht werden zu können, seien an dieser Stelle ein paar wenige grundlegende Beobachtungen zur sog. Performativen Religionspädagogik hervorgehoben und zur Diskussion gestellt.

Wenigstens in zweierlei Hinsicht sind die Chancen für den religionspädagogischen Bereich evident. Obwohl es, überspitzt gesagt, fast zum religionspädagogischen Ritual gehört, sich bei der Etablierung neuer Ansätze gegen einen textorientierten, "verkopften" Religionsunterricht zu wenden, zeichnet sich der performative Ansatz in der Tat dahingehend aus, dass er insbesondere auch für die gymnasiale Religionspädagogik "leibräumliche" Wahrnehmungen und Inszenierungen von Religion zu begründen und für den Religionsunterricht zu etablieren vermag. Des Weiteren bietet dieser Ansatz angesichts des Traditionsabbruchs von Religion die Chance, ein erfahrungseröffnendes Lernen bezüglich gelebter (christlicher) Religion zu initiieren (vgl. bes. Dressler, 152 ff.).

Worin liegen mögliche Probleme und Einseitigkeiten? Die Lektüre vieler Beiträge wirft indirekt die Frage auf, ob und in welcher Hinsicht eine derart konzipierte Religionspädagogik überhaupt noch des Dialogs etwa mit den Bibelwissenschaften bedarf (vgl. z. B. S. Leonhard, 172 ff.). Wo dieser Dialog ausnahmsweise geführt wird, tritt eklatant eine andere Gefahr zu Tage: J. Goldenstein kann in anwendungswissenschaftlicher Manier nahezu übergangslos von fachwissenschaftlichen zu methodischen Überlegungen übergehen (vgl. bes. 290-307), ohne hinreichend didaktische Überlegungen anzustellen.

Auf dem Hintergrund dieser Fehlanzeige lohnt eine Relektüre der Beiträge: In der Regel werden die Inhalte "gesetzt" (vgl. jedoch C. Schaper, 328 f.), nicht aber mit didaktischen Kriterien wie "Exemplarität, Gegenwarts- und Zukunftsbedeutsamkeit" begründet. Warum sollen aber welche Aspekte gelebter Religion für Schüler und Schülerinnen eines bestimmten Alters und einer bestimmten Sozialisation inszeniert werden? In dieser Hinsicht sensibilisiert überrascht es dann kaum mehr, dass Schülervorstellungen von Leib und Raum - etwa in ihrer lebensgeschichtlichen Besonderheit - nicht eigens diskutiert oder gar konstitutiv berücksichtigt werden.

Von daher nährt sich der Eindruck, dass das Potential des performativen Ansatzes primär in "religionsmethodischer" Hinsicht liegt. Dies deutet sich auch bei den Herausgebern an, wenn sie schreiben, dass "die Methode von den ihr traditionell zugeschriebenen hinteren Rängen der Unterrichtsplanung auf einen absoluten prominenten Platz" (11) vorrückt, und feststellen: "Für die Requisiten (Methoden, Medien) und die dramatische Vorlage (Unterrichtsstoff) ist der Unterrichtende verantwortlich, für die Lernziele nur bedingt und für die Inhalte insofern, als er der Urheber des szenischen Arrangements ist, innerhalb dessen sich ein vorgegebener Stoff prozesshaft als Inhalt konstituiert." (15) So berechtigt der Verweis auf das Unplanbare und die Prozesshaftigkeit des Unterrichtsgeschehens ist - die "dramatische Vorlage" will didaktisch verantwortet sein und nicht einfach als "vorgegebener Stoff" methodisch eingespielt werden. Diese Kritikpunkte gewinnen dann an Gewicht, wenn die Grenzen des performativen Ansatzes nicht klar gesehen und er als eine religionsdidaktische Konzeption verstanden würde.

Dessen ungeachtet handelt es sich um einen ausgesprochen anregenden Sammelband, der sicherlich die ihm gebührende Aufmerksamkeit finden wird.