Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

572 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Idinopulos, Thomas A., and Edward A. Yonan [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Sacred and its Scholars. Comparative Methodologies for the Study of Primary Religious Data.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. VIII, 192 S. gr.8 = Studies in the History of Religions, 73. Lw. hfl. 100,-. ISBN 90-04-10623-5.

Rezensent:

Theo Sundermeier

Während in der deutschsprachigen Religionswissenschaft der Begriff des "Heiligen" dekonstruiert wurde und heute wie eine mit Aids infizierte Blutkonserve behandelt wird, deutet sich in den USA ein deutlicher Wandel an. Das hier zu besprechende Buch markiert eine Neubewertung des Begriffes. Seine beiden Seiten, die soziale und die religiöse Komponente, die bisher in der Forschung eine Rolle gespielt haben, werden aufgewertet, auch wenn Stimmen, die zur Vorsicht im Gebrauch des Begriffes mahnen, durchaus zu finden sind (z. B. S. Guthrie, "The Sacred: A Sceptical View", 124-138). Die ersten drei Aufsätze befassen sich mit dem Erbe Durkheims und dem raum-zeitlichen Verständnis des Begriffs. "Heilig" grenzt vom Profanen ab und teilt sowohl den Raum als auch die Zeit und ermöglicht eine hierarchische Ordnung in der Gesellschaft, aber bietet auch Sanktionsmöglichkeiten an, wenn die Ordung des eigenen Universums von innen bedroht ist. Das Heilige wehrt sich gegen Kontamination durch falsche Texte, Kontexte und Werte. Das heißt aber, so betont W. E. Paden in seinem Aufsatz "Sacrality as Integrity: ’Sacred Order’ as a Model for Describing Religious Worlds" (3-18), daß gerade das Heilige dazu beiträgt, die Profanität des Profanen vor religiösem Mißbrauch zu schützen.

Im Gefolge von M. Douglas untersucht V. Attonen ("Rethinking the Sacred: The Notions of ’Human Body’ and ’Territory’ in Conceptualizing Religion", 36-64) im finnischen und angrenzenden Sprachraum die Bedeutung des "Heiligen" im Blick auf die Körpersymbolik als raumgestaltenden Faktor. Er kann aufzeigen, daß nicht nur im afrikanischen Bereich, sondern auch in den nordischen, vorchristlichen Religionen die Welt nach dem menschlichen Körper geordnet wurde. Dabei sind aber "heilig" und "profan" keine antagonistische Begriffe, wie Durkheim annahm, sondern sie sind sehr viel stärker ineinander verwoben und können je nach Situation und Zeit miteinander ausgetauscht werden, so daß ein Raum zu einer Zeit heilig, zu anderer Zeit aber profan ist. Es ist der Gebrauch, der die spezifische Bestimmung ausmacht, worauf schon, so Attonen, zu Recht van Gennep aufmerksam gemacht hatte (57).

Mehr dem Erbe R. Ottos wenden sich die übrigen Beiträge zu. Den numinosen Erfahrungsbereich erarbeitet der Beitrag von D. Merkur ("The Numinous as a Category of Values", 104-123), und der Herausgeber, Th. A. Idinopulos, versucht gar aus dem eigenen Erfahrungsbereich heraus, die Richtigkeit des Ottoschen Ansatzes aufzuzeigen. Hier kommt selbst Schleiermacher wieder zu seinem Recht. Ob ihm darin andere folgen werden, ist jedoch zu bezweifeln. Die griechisch-orthodoxe Prägung ist zu sehr spürbar.

Daß mit der Aufwertung des Begriffes auch eine Aufwertung der phänomenologischen Methodik verbunden ist, ist einsichtig. Ch. E. Winquist zieht die Konsequenzen: Die Frage nach dem Sinn muß wieder gestellt werden ("Scholarship cannot retreat from the interrogation of meaning without trivializing itself", 171) und die Berührungsängste mit der Theologie sind abzubauen ("To abjure theology is to commit the study of religion to a double blindness", 172). Das schließt ein, daß der Forscher ein neues Gespür für das Selbstverständnis und für die Fremd- und Andersheit der anderen Religion entwickeln muß, denn "the otherness of sacrality is the otherness of a relationship" (174). Hand in Hand geht damit eine neue Haltung der anderen Religion gegenüber, die G. Weckman zu Recht und überzeugend unter dem Begriff "Respekt" zusammenfaßt ("Respect of Other’s Sacreds", 169-177).

Auch wenn man das Buch kritisch lesen muß, insgesamt ist es wohltuend zu sehen, mit welcher neugierigen Offenheit man sich erneut dem Begriff des "Heiligen" zuwendet und der Religion in der Forschung einen eigenständigen Platz einzuräumen bereit ist. Man kann nur wünschen, daß etwas von dieser Atmosphäre auch bei uns auf dem Kontinent ankommt.