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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

534 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hansen, Günther Christian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Anonyme Kirchengeschichte (Gelasius Cyzicenus, CPG 6034).

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2002. LVIII, 201 S. gr.8 = Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte. Neue Folge, 9. Lw. Euro 68,00. ISBN 3-11-017437-5.

Rezensent:

Umberto Roberto

Die "Darstellung (Syntagma) der heiligen Synode zu Nikaia" ist ein anonymes Werk in drei Büchern aus der Zeit um 480 und gilt als "umfangreichste Quellensammlung zur Geschichte des ersten nicaenischen Concils und der Anfänge des arianischen Streites" (G. Loeschcke, RhM 60, 1905, 594-613 und 61, 1906, 34-77). Sie wurde im 15. (Leo Allatius, am Rand des Vaticanus 830 im Jahr 1446) und 16. Jh. (Editio princeps hrsg. von F. Pithou, Paris 1599) irrtümlich einem Gelasius von Cyzicus zugeschrieben. Dieser Zuschreibung lag eine Fehlinterpretation einer Notiz bei Photius (cod. 15 und 88) zu Grunde. Keine der überlieferten Handschriften enthält nämlich den Namen des Verfassers.

In seiner ausführlichen Einleitung informiert G. C. Hansen über den Verfasser und seine Identität. Laut des Prooimion war der anonyme Autor ein Sohn eines Presbyters der Kirche von Cyzicus und lebte in der Provinz Bithynia. Er schrieb das Werk in der Zeit von Basiliskos, Usurpator gegen Kaiser Zeno (475-476). Des Weiteren wird dort auch beschrieben, in welchem Kontext das Werk entstanden ist. Der Verfasser spricht über ein Buch der Bibliothek seines Vaters, in dem das erste ökumenische Konzil der Kirche in Nizäa geschildert wurde. Es enthielt die Beschreibung der zwei konkurrierenden Lehrmeinungen, der orthodoxen und der arianischen, die Diskussion der Bischöfe mit den Arianern und den Philosophen, die so genannten Diatyposeis sowie die Rede des Kaisers Konstantin auf der Synode. Dieses Buch gehörte ursprünglich Dalmatios, dem Erzbischof von Cyzicus, und später dem Vater unseres Autors, der Priester an derselben Kirche war. Der anonyme Verfasser schreibt, er habe in seiner Jugend dem Studium dieses Textes sehr viel Zeit gewidmet und aus ihm tiefe geistliche Erbauung erhalten. An diese Erfahrung erinnerte er sich, als später, nach der Vertreibung des Kaisers Zeno aus Konstantinopel, der Usurpator Basiliskos einen Kompromiss zwischen der Orthodoxie und dem Monophysitismus zu finden versuchte, um den religiösen Frieden im Osten wieder herzustellen. In dieser Zeit wurde die Diskussion über die Synode von Nizäa sehr intensiv, jedoch fand der Verfasser die Angriffe der Häretiker gegen die Orthodoxie unbegründet, insbesondere weil sie gegenüber den wirklichen Beschlüssen der Synode große Ignoranz zeigten. In diesem Kontext entstand das Werk, dessen zweites Buch vollständig der Synode gewidmet ist. Allerdings ist, aus der Perspektive des Verfassers, die Synode untrennbar mit der Verherrlichung des Kaisers Konstantin verbunden, der durch göttliche Wahl einen tiefen Frieden im Kaiserreich und in der Kirche geschaffen hatte. Im ersten Buch nämlich wird der Sieg Konstantins gegen die Usurpatoren (Maxentius, Maximinus, Licinius) beschrieben; im dritten die Bestrebungen Konstantins, das Christentum innerhalb des Kaiserreiches zu konsolidieren und es außerhalb der Grenzen des Reiches auszudehnen.

Was literarische Gattung und Struktur des Werkes betrifft, kann man die folgenden Bemerkungen machen: Obwohl der anonyme Autor sein Werk oft als Kirchengeschichte definiert, ist sein apologetischer Charakter offenkundig. Meiner Meinung nach soll auch der historiographischen Dimension des Verfassers Rechnung getragen werden. Auch wenn das Syntagma aus einer Kompilation verschiedener Quellen besteht, besitzt das Werk die historiographische Handschrift seines Autors. Eine Kompilation, d. h. Exzerpte zu sammeln und neu zu ordnen, ist keinesfalls eine neutrale Arbeit. Die Persönlichkeit des Autors und die Probleme seiner Zeit (und seines Publikums) finden darin immer einen Niederschlag. Sie manifestiert sich bereits in der Wahl der Quelle als solcher; ferner in der Auswahl der Themen; aber auch durch den Stil, die Sprache und die Struktur des Werkes.

Die Ausgabe von H. liefert eine stabile Grundlage, um die Erforschung des anonymen Verfassers und seiner Geschichtsdarstellungen weiter vorantreiben zu können. In erster Linie ist vor allem die intensive philologische Arbeit von H. zu würdigen. Aus der Einleitung geht deutlich hervor, wie er, basierend auf der vorherigen Ausgabe von M. Heinemann (Gelasius Kirchengeschichte, Leipzig 1918, GCS 28), unsere Kenntnis des Textes verbessert hat. Bedeutend ist auch seine Analyse der Quellen des Verfassers. Neben bekannten Autoren (vor allem Eusebios, Sokrates und Theodoret), befinden sich in dem Werk wichtige Auszüge aus heute nicht mehr erhaltenen Quellen. Als sehr wichtige Quelle gilt die Kirchengeschichte des Gelasius von Cäsarea, da ein großer Teil des gesamtes Textes aus Exzerpten dieses Werkes besteht. Eine weitere Quelle des anonymen Verfassers ist die Kirchengeschichte eines rhetorisch begabten und orthodoxen Autors, der Theodoret bearbeitet hat. H. behauptet, dass diese Exzerpte aus der Kirchengeschichte des Philippus von Side stammen könnten. Der Vorschlag ist von großem Interesse und beruht auf überzeugenden Argumenten.

Das Buch verfügt über einen sehr klar und gut strukturierten kritischen Apparat sowie über nützliche Stellen-, Namen- und Wortregister. Es gibt die Möglichkeit eines tieferen Durchdringens der Kirchengeschichtsschreibung im 4. und 5. Jh. Darüber hinaus stellt dieser Text ein interessantes Zeugnis des orthodoxen Widerstandes gegen die religiöse Politik der Kaiser Basiliskos (und wahrscheinlich Zenos) dar.