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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

456–458

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Brosseder, Johannes [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Verborgener Gott - verborgene Kirche? Die kenotische Theologie und ihre ekklesiologischen Implikationen.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2001. 261 S. gr.8 = Forum Systematik, 14. Kart. Euro 29,60. ISBN 3-17-017259-X.

Rezensent:

Hans-Peter Großhans

Der Aufsatzband dokumentiert die Beiträge der XI. Wissenschaftlichen Konsultation der Europäischen Gesellschaft für Ökumenische Forschung "Societas Oecumenica", die im Sommer 2000 in Hamburg stattfand. Neben den Hauptvorträgen (9-112) enthält der Band Berichte aus der gegenwärtigen Arbeit ökumenischer Institute (113-176) sowie einige Texte aus den Workshops der Konsultation zu verschiedenen ekklesiologischen Fragestellungen (177-259). Für die ökumenische Diskussion interessant ist der in diesem Aufsatzband dokumentierte Versuch, die ekklesiologischen Konsequenzen der negativen Theologie auszuloten. Allerdings bleibt es zumeist nur bei programmatischen Andeutungen und Hinweisen. Als Einführung in die ekklesiologischen Implikationen einer kenotischen Theologie ist der Aufsatzband dennoch empfehlenswert.

J. Brosseder ("Der verborgene Gott und die Kirche" [11-25]) führt in die Themenstellung der Konsultation ein und formuliert im Kontext römisch-katholischer Ekklesiologie die Frage nach der Kirche, die der Rede vom verborgenen Gott entspricht. Anknüpfungspunkte bieten dazu die Dialektische Theologie und vor allem der ostkirchliche Apophatismus, in dem die Begriffe in der Rede von Gott nicht starr definiert werden und sich deshalb die Wahrheit nicht in ihrer Formulierung erschöpft. Ökumenische Konsequenzen aus dieser Einsicht werden von Brosseder für das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zu den anderen christlichen Kirchen, zu den nichtchristlichen Weltreligionen und zu den nichtreligiösen Menschen angedeutet.

M. Begzos aus Athen ("Apophatische Theologie und Ekklesiologie" [26-33]) erläutert auf allgemeine und einführende Weise, was den ostkirchlichen Apophatismus auszeichnet. Ekklesiologische Konsequenzen aus dem ostkirchlichen Apophatismus werden von Begzos nicht weiter ausgeführt - wie Bert Groen aus Nijmegen in einem kurzen Text aus den Workshops, in dem er sich kritisch mit dem Hauptvortrag von Marios Begzos auseinander setzt (179-182), bemängelt. Groen stellt zudem ganz zutreffend die Frage, ob denn die gegenwärtige Orthodoxe Kirche und Theologie die apophatische Grunddimension der Rede von Gott überhaupt genügend würdigen würden.

J. E. Vercruysse aus Antwerpen widmet sich dem Thema "Luthers Kreuzestheologie und ihre ekklesiologischen und ökumenischen Implikationen" (34-52). Dabei werden die klassischen Texte zu Luthers Kreuzestheologie referiert. Das mag interessant sein für jemanden, der sich erstmals darüber informieren möchte. Wiederum bleibt es nur bei einigen Andeutungen ekklesiologischer Konsequenzen aus Luthers Kreuzestheologie.

M. Grey aus Salisbury ("Beyond the Dark Night - A Kenotic Church moves on ...?" [53-67]) versucht in einer Art meditierenden Nachdenkens eine Kirche zu charakterisieren, die sich durch eine "kenotische Praxis" auszeichnet, wobei sich die Autorin nicht scheut, stereotyp antikapitalistische Klischees zu wiederholen.

G. ter Haar aus The Hague charakterisiert in einem interessanten religionswissenschaftlichen Beitrag unter der Überschrift "Prophets in the Modern World. An anthropological perspective on prophetism in African-initiated churches in Western Europe" (68-80) westeuropäische Kirchen, deren Mitglieder aus Afrika stammen, und die in einem ganz wörtlichen Sinne in der europäischen Öffentlichkeit verborgen sind.

U. Kühn aus Leipzig untersucht das Begriffspaar "Deus absconditus - ecclesia abscondita" (81-98). Er reflektiert dazu das ökumenische Ziel der sichtbaren Einheit der Kirche, dem er den legitimen Sinn der Rede von der (dreifachen) Verborgenheit Gottes und der Kirche gegenüberstellt. Die Frage nach dem offenbaren Gott und der Erfahrbarkeit der Kirche führt dann zu Überlegungen über die Gestalt der verborgenen Kirche auf dem Weg der Ökumene.

Im letzten Text unter den "Hauptvorträgen" erörtert K. Raiser aus Genf "gegenwärtige Hauptprobleme des Ökumenischen Rates der Kirchen nach Harare" (99-112), wobei sein Schwerpunkt auf der Kritik der orthodoxen Kirchen am Ökumenischen Rat der Kirchen und an den protestantischen Mitgliedskirchen liegt.

Es folgen dann Berichte "aus der Forschung ökumenischer Institute". G. Cereti aus Wien legt eine "critical Relecture of Lumen Gentium" (115-127) vor; M. Brun aus Chambésy stellt sehr informativ die gegenwärtige Beziehung der orthodoxen Kirche zur ökumenischen Bewegung und zum Ökumenischen Rat der Kirchen dar (128-137) und informiert über das Institut für höhere Studien in orthodoxer Theologie in Chambésy (175 f.); I. Dolejsová aus Prag untersucht in einem historischen Beitrag "eschatological Elements in Jan Hus's Ecclesiology and Their Implications for a Later Development of the Church of Bohemia" (138-155); J. Amanze aus Gaborone gibt einen schönen Überblick über die ökumenische Bewegung in Afrika im 20.Jh. (156-174).

In den Texten "aus der Arbeit der Workshops" befassen sich O. Tjørhom und M. Brinkmann mit den Problemen der Apostolizität und der apostolischen Kontinuität in der Porvooer Erklärung und in der ökumenischen Debatte um das Bischofsamt; A. Houtepen widmet sich dem Thema "Ich glaube an den Heiligen Geist, der die Kirche heiligt" und konkret der "Conversion des Églises" unter Bezug auf die Studie der Groupe des Dombes; B.-J. Hilberath untersucht das Verhältnis von Rechtfertigung und Kirche; K. Ahlstrand thematisiert die Spiritualität junger Menschen von heute; J. McMasters erörtert die wiedererwachte keltische Spiritualität; H. Vall Vilardell analysiert die Gründe der zunehmenden Marginalisierung der Kirchen in Europa.

Der zumeist einfache und einführende Stil der Hauptvorträge, die das Thema aus verschiedenen konfessionellen Traditionen beleuchten, deutet darauf hin, dass es im ökumenischen Diskurs immer noch vor allem um grundlegende konfessionskundliche Information geht. Die Differenz zu dem in der Systematischen Theologie üblichen Reflexionsniveau ist auffallend. Offensichtlich ist es bisher weder im ökumenischen Diskurs noch in der Systematischen Theologie gelungen, die jeweils anderen konfessionellen Perspektiven in die eigene theologische Reflexion einzubeziehen.