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Ausgabe:

April/2004

Spalte:

400–402

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wartenberg, Günther

Titel/Untertitel:

Wittenberger Reformation und territoriale Politik. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. v. J. Flöter u. M. Hein.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2003. 332 S. m. Abb. gr.8 = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 11. Geb. Euro 42,00. ISBN 3-374-02072-0.

Rezensent:

Martin Brecht

Der Band ist zum 60. Geburtstag des Leipziger Kirchenhistorikers erschienen und bringt 21 seiner Aufsätze, davon 14 zu "Politik und Theologie" und 7 zur "Universität Leipzig", erneut zum Abdruck. Gegenüber dem Umschlag lautet der Untertitel auf dem Titelblatt präzisierend "Ausgewählte Aufsätze". Wie aus der S. 313-320 beigegebenen Bibliographie Wartenbergs mit ihren 136 Nummern hervorgeht, umfasst die Serie seiner Aufsätze in der Tat noch weitere Titel.

Genauer noch als die Titelei erkennen lässt, konzentriert sich der Band zunächst vor allem auf spezifische Probleme der Reformation des albertinischen Sachsens und erhält von daher seine Geschlossenheit und sein Gewicht. Der sächsischen und der Reformationsgeschichte weiß sich der Autor gleichermaßen verbunden. Es macht sich bemerkbar, dass er über die Beteiligung an der Edition der "Politischen Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen" seinen Einstieg in die Reformationsgeschichte genommen hat und in diesem Bereich einer der ausgewiesensten Experten ist. Methodisch steht dahinter das Konzept der "Kirchengeschichte als Landesgeschichte", das auch eigens thematisiert wird.

An den Anfang gestellt ist der kundige Beitrag "Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten", der 1983 zu dem Sammelwerk "Leben und Werk Martin Luthers von 1526-1546" verfasst worden ist. Der leisen Kritik an Kurfürst Johann Friedrich ist die Leipziger Perspektive anzumerken. Chronologisch müsste nunmehr die Untersuchung über "Die Einwirkung Luthers auf die reformatorische Bewegung im Freiberger Gebiet und auf die Herausbildung des evangelischen Kirchenwesens unter Herzog Heinrich von Sachsen" folgen. Hierbei handelt es sich um ein frühes Kapitel der Reformation im albertinischen Sachsen, das in seinem Ablauf und mit seinen Widerständen detailliert vorgeführt wird. Dass der Landesherr bei der kirchlichen Neuordnung von 1539 an bestimmend war, wird an den sächsisch-albertinischen Städten demonstriert.

Das kühle Verhältnis zwischen "Luther und Moritz von Sachsen" war von beiden Seiten her voreingenommen und macht somit ein kompliziertes Element der Reformationsgeschichte aus. Dem kann man nur gerecht werden, wenn man sich um ein Verständnis von Moritz bemüht. Bezeichnenderweise hat dieser die Wittenberger Konsistorialverfassung als kirchenleitende Instanz nicht ohne weiteres auf Leipzig übertragen, sondern war um Eigenständigkeit bemüht; aber der Autor bringt dann doch neue Quellen herbei, die 1543/1544 auf die Anbahnung eines Konsistoriums in Leipzig hinausgelaufen sind.

"Die Politik des Kurfürsten Moritz von Sachsen gegenüber Frankreich zwischen 1548 und 1550" beschreibt die fein gesponnene Geschichte dieser wichtigen Beziehung lediglich bis zu dem Punkt, an dem Moritz mit der Belagerung Magdeburgs sowie den Verhandlungen mit Frankreich politisch geschickt die Fäden auf seiner Seite in seine Hände gebracht hatte.

Ein vollends umstrittenes Thema wird mit "Philipp Melanchthon und die sächsisch-albertinische Interimspolitik" angegangen. Es gelang Kurfürst Moritz, das Vertrauen seiner Theologen zu gewinnen. Das Augsburger Interim wollte man zwar nicht radikal zurückweisen, es aber auch nie einfach übernehmen. Dem sächsischen Landtag wurde im Dezember 1548 in Leipzig eine Reihe von Artikeln vorgelegt, die zwischen evangelischen Grundartikeln und Mitteldingen unterschieden; die Bezeichnung "Leipziger Interim" für sie wird allerdings abgelehnt. Der Autor will die kursächsische Interimspolitik im Zusammenhang mit der Außenpolitik verstanden wissen; an eine Rekatholisierung sei nie gedacht gewesen. Dass die Darlegungen nicht ohne weiteres zu überzeugen vermögen, ist offenkundig auch ihrem Verfasser bewusst. Der Widerstand gegen die Religionspolitik von Moritz ließ Reminiszenzen an den Bauernkrieg aufkommen, denen eine eigene Untersuchung nachgeht.

Eine der bleibenden Leistungen der albertinischen Reformation war die Entwicklung des Schulwesens, vorab mit den drei Fürstenschulen. Besonders dankbar ist man für die Untersuchung über "Die Confessio Saxonica als Bekenntnis evangelischer Reichsstände" von 1551. Ursprünglich war sie von Melanchthon zur Vorlage beim Trienter Konzil gedacht. Sie erlangte dann Anerkennung über Kursachsen hinaus. Sie wurde allerdings lediglich von den Theologen und nicht vom Landesherrn unterschrieben. Als Lehrnorm hatte sie Bedeutung bis zu den Auseinandersetzungen über den Philippismus in den siebziger Jahren. Wünschenswert wäre gewesen, wenn der Inhalt dieser Bekenntnisschrift noch ausführlicher expliziert worden wäre.

Der Überblick über die "Melanchthonbiographien vom 16. bis zum 19. Jahrhundert" setzt ein mit der behutsamen Darstellung von Joachim Camerarius 1566. Ein Repräsentant der Melanchthonkritik war Matthäus Ratzeberger mit seiner Betonung des Gegensatzes zwischen Luther und Melanchthon. Seine Sichtweise hat stark auf die Darstellungen des 17. Jh.s gewirkt. Im 19. Jh. ist es dann gerade in Sachsen zu einer objektiveren und positiveren Würdigung Melanchthons gekommen.

An die reformationsgeschichtlichen Studien ist der Literaturbericht von 1987 "Der Pietismus in Sachsen" angehängt, der, von Ausnahmen abgesehen, die Zurückhaltung in Sachsen bei der Aufnahme des Pietismus konstatiert. Möglicherweise wird eingehendere Forschung wie andernorts auch dieses Bild noch etwas verschieben können.

Der Aufsatz über "Sachsen und die Universität Leipzig im Spätmittelalter" stellt die 1409 aus Prag übergesiedelte Institution hinein in das Spannungsfeld von Stadt, Kirche und Landesherrn. Auf die reformatorisch-humanistische Reform der Leipziger Universität hat von 1539 an vor allem Melanchthon starken Einfluss genommen. Die Berufung von Camerarius als "gubernator totius Philosophici studii" 1541 bedeutete dabei den entscheidenden Erfolg. Komplementär dazu wird auch "Die Theologische Fakultät ... während der Einführung der Reformation" beschrieben. Diese ließ sich mit den bisherigen Professoren nur schwer verwirklichen und erforderte vorweg eine Neuordnung des Stellengefüges. An der Darstellung der "Entwicklung der lutherischen Theologie in Leipzig bis zur Zeit Bachs" fällt auf, wie lange das starre Festhalten an der lutherischen Orthodoxie und damit auch die Ablehnung des Pietismus angehalten haben. Eine eigene Skizze ist dem freilich nicht mehr sehr scharf konturierten Theologieprofessor und Zeitgenossen Bachs, Christian Friedrich Börner, gewidmet.

In die moderne Kirchengeschichte reicht die Schilderung der Bemühungen um die Berufung Rudolf Bultmanns nach Leipzig 1930. Die treibende Kraft war der Kirchenhistoriker Hanns Rückert (1901-1974). Der Vorgang wirft ein neues Licht auf das wichtige, hauptsächlich von ihm verfasste Tübinger Gutachten "Für oder wider die Theologie Bultmanns" (1952). Mit "Eine theologische Fakultät im Schatten von Karl Marx. Reale Möglichkeiten und eigene Erfahrungen - die Theologische Fakultät Leipzig zwischen 1961 und 1990" verortet sich der Kirchenhistoriker Wartenberg selbst in differenzierter Weise in seinem einstigen schwierigen Berufsfeld.