Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

802–804

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Beinert, W. und H. Petri

Titel/Untertitel:

Handbuch der Marienkunde. Band 1: Theologische Grundlegung. Geistliches Leben. 2., völlig neubearb. Aufl.

Verlag:

Regensburg: Pustet 1996. 693 S. gr. 8. Geb. DM 148,-. ISBN 3-7917-1526-7.

Rezensent:

Michael Heymel

Das "Handbuch der Marienkunde", 1984 in erster Auflage erschienen, liegt jetzt in einer völlig überarbeiteten Neuauflage vor. Sie trägt der Tatsache Rechnung, daß sich in den vergangenen 12 Jahren die theologische Arbeit in diesem Bereich erheblich weiterentwickelt hat. Das Werk wurde daher in wesentlichen Teilen überarbeitet, erweitert und aktualisiert, die Aufgliederung des Stoffes in vier Einheiten (Theologische Grundlegung - Geistliches Leben - Gestaltetes Zeugnis - Gläubiger Lobpreis) jedoch beibehalten.

Der Band wird eröffnet mit einem Beitrag über "Maria in der Heiligen Schrift" (15-98), dessen Hauptteil (Kap. 1-3) von O. Knoch aus der 1. Aufl. stammt und den F. Mußner (Kap. 4) mit Ergänzungen versehen hat. St. De Fiores behandelt sodann "Maria in der Geschichte von Theologie und Frömmigkeit" (99-266); seine Darstellung ersetzt die von G. Söll. In Neufassung seines früheren Beitrags bietet W. Beinert eine Übersicht über "Die mariologischen Dogmen und ihre Entfaltung" (267-363). Gegenüber der Erstauflage wurde das Kapitel "Maria und die Ökumene" (H. Petri) geteilt: A. Kallis stellt "Maria in der orthodoxen Theologie und Frömmigkeit" (364-381) dar, während H. Petri nun "Maria in der Sicht evangelischer Christen" (382-419) behandelt. Neu hinzugekommen sind die beiden folgenden Teile von G. Collet über "Maria in der Theologie der Befreiung" (420-434) und "Maria in der Feministischen Theologie" (435-465) von R. Radlbeck-Ossmann. Die drei abschließenden Beiträge sind weitgehend aus der 1. Aufl. übernommen: Über "Maria in der Liturgie" (469-525) informieren B. Kleinheyer (Kap. 1-3) und A. Jilek (Kap .4: Marienmessen und Marienvespern); F. Courth stellt "Marianische Gebetsformen" (526-566) dar, und H. M. Köster gibt einen Überblick über "Die marianische Spiritualität religiöser Gruppierungen" (567-632). Register (46 S.) und ausführliches Inhaltsverzeichnis runden den Band ab.

Die Herausgeber haben "sich bemüht, den derzeitigen Stand der Marienkunde genau zu reflektieren" (10). So kann das neue Handbuch als aktuelles Standardwerk zum Thema gelten. Es ist hier nicht möglich, jeden Einzelbeitrag zu würdigen. Deshalb seien im folgenden nur einige Grundzüge und Aspekte des Werkes hervorgehoben.

1. Im ökumenischen Gespräch gewinnt Maria an Bedeutung, und es ist erfreulich, wie sorgsam abwägend die Vff. auf Äußerungen jeweils anderer Kirchen und Konfessionen eingehen. Dennoch bleibt unbefriedigend, daß die evangelische Sicht Marias nicht von einem Vf. aus den Reformationskirchen präsentiert wird.

F. Mußner sieht als katholischer Exeget in Maria das sola fide und das sola gratia exemplarisch verwirklicht und bemerkt, diese Einsicht könne "den Kirchen der Reformation einen leichteren Zugang zur Gestalt der Mutter des Erlösers vermitteln" (96). Andererseits sei Maria nach Lk 1,26-38 "kein nur passives Gefäß der göttlichen Gnade", sondern "eine echte Partnerin im Dialog mit Gott" (ebd.) - eine Beobachtung, die evangelischen Christen einen Zugang zum katholischen "und" vermitteln könne. A. Kallis bringt den orthodoxen Ansatz beim Mysterium der Gottesmutter als ökumenische Perspektive ins Gespräch. Gerade "die doxologisch-spirituelle Komponente der orthodoxen Theologie könnte der orthodoxe Beitrag als Ausgleich zu einer kopflastigen Theologie sein, die dazu neigt, die göttliche Dimension der Gottesmutterschaft zugunsten einer anthropozentrischen Betrachtung zu vernachlässigen" (379 f.).

Wie H. Petri zeigt, gibt es für das ökumenische Gespräch über Maria eine gemeinsame Basis zwischen den Kirchen und Konfessionen. Katholischerseits wird allerdings der "marianische Minimalismus" (382 ff.) im Bereich der evangelischen Kirchen registriert. Es gebe zwar ein Bemühen, Maria für das Glaubensverständnis und die Frömmigkeit von Protestanten "zurückzugewinnen" (393), doch sei schwer zu entscheiden, wie repräsentativ solche Bemühungen seien. Mit dem reformatorischen sola scriptura als Ausgangspunkt verbinde sich meist eine "Absage an alle jene Auffassungen über Maria, die biblisch nicht gedeckt sind oder zu sein scheinen" (404). Petri würdigt dann einige Beiträge evangelischer Neubesinnung auf Maria (W. Stählin, H. Asmussen, L. Vischer, M. Thurian, U. Wickert), wobei K. Barth leider nur verkürzt in den Blick kommt (vgl. 396 f.). Evangelische Autoren hätten hier andere Akzente setzen können. Weiterführend ist Petris Vorschlag, sich auf die Bibel als Basis zu besinnen und darüber zu verständigen, welche Bedeutung die kirchlichen Lehren über Maria aus den ersten fünf Jahrhunderten (consensus quinquesaecularis) für die evangelischen Kirchen haben.

2. Neue Ansätze, die Person Marias in ihrer theologischen und spirituellen Bedeutung zu verstehen, wie die lateinamerikanische Befreiungstheologie und die Feministische Theologie, werden im Handbuch eingehend dargestellt und gewürdigt. G. Collet weist darauf hin, "daß die Marienverehrung das populärste, dauerhafteste und eigentümlichste Merkmal der lateinamerikanischen Christenheit ist" (422). Er erläutert die volkstümliche marianische Theologie in ihrem geschichtlichen und anthropologischen Kontext und zeigt, wie in diesem Kontext gerade Frauen Maria als Prophetin und Befreierin der Armen entdecken. Kennzeichnend für dieses Marienbild sei der Rekurs auf die irdische Maria aus Nazaret, eine Frau aus dem einfachen Volk. Es fällt auf, daß die Maßregelung von Befreiungstheologen durch die römische Glaubenskongregation bei Collet übergangen und in dem Beitrag von De Fiores nur als theologiegeschichtliche Episode in einer Fußnote (vgl. 256 Anm. 561) vermerkt wird.

Nach anfänglicher Abstinenz bringen auch feministische Theologinnen in jüngster Zeit der Mariologie kritisches Interesse entgegen.

R. Radlbeck-Ossmann ermittelt vier Grundtypen feministischer Mariologie: 1. "Maria als von der Männerkirche entworfenes, unterdrückerisches Idealbild der Frau" (438); hier wird Maria wegen ihrer zum Teil frauenfeindlichen Wirkungsgeschichte als Identifikationsfigur abgelehnt. 2. "Maria - der Mythos vom weiblichen Göttlichen" (441); diese Position vertreten vor allem evangelische Theologinnen. 3. Ein Großteil kirchlich gebundener Theologinnen versteht "Maria als Symbol der Befreiung" (445). 4. Diese Gruppe betrachtet Maria auf der Linie des Neuen Testaments als "Schwester im Glauben" (451), die auch heute für Frauen und Männer zum Leitbild werden könne.

Radlbeck-Ossmann kommt bei ihrer kritischen Würdigung dieser Positionen zu dem Ergebnis, daß Mariensymbolik nicht generell als frauenfeindlich gelten kann. Auch gegenüber dem Bild Marias als Göttin seien Vorbehalte angebracht: eine "vielgestaltige Rede von Gott" (458) sei nötig, die berücksichtige, daß Gott jenseits aller Bilder stehe. Die Betonung des Magnificat, überhaupt das Bemühen um eine biblisch fundiertes Bild, das die Frau aus Nazaret ohne Gloriole zeigt, machen die Stärken der feministischen Sicht Marias aus.

3. Dem Zusammenhang zwischen Marienverehrung und Mariologie und ihrem jeweiligen soziokulturellen Kontext wird sowohl in den Beiträgen über Neuansätze wie in der theologiegeschichtlichen Darstellung verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt. Darin äußert sich ein Perspektivwechsel nachkonziliarer Theologie, der es der Mariologie nahelegt, sich künftig von der Bibel her heilsgeschichtlich und zugleich an der Gegenwartskultur auszurichten (vgl. De Fiores, 266). Jedoch wäre zu wünschen, daß kritische Fragen wie die nach der Wirkungsgeschichte bestimmter marianischer Vorstellungen durchgehend in die theologische Grundlegung einbezogen werden. Weshalb z. B. die Dominikaner J. Sprenger und H. Institoris, die den ,Hexenhammer’ verfaßten, die allerheiligste Jungfrau verehren und gleichzeitig Frauen als zur Hexerei disponiert, weil von Natur schlecht ansehen konnten, wird ebensowenig erörtert (vgl. 162!) wie die Verbindung der Marienverehrung mit antijüdischen Elementen (Juden galten als Leugner der Jungfräulichkeit Marias, vgl. 103). Maria kommt nur vereinzelt als jüdische Frau im Kontext des Judentums in den Blick; auf neuere jüdische Beiträge wird nur einmal (284) Bezug genommen.

Solche konzeptionellen und inhaltlichen Anfragen mindern nicht den positiven Gesamteindruck. Wer ein Nachschlagewerk sucht, das gründlich und zuverlässig über marienkundliche Fragen informiert, wird dieses Handbuch mit Gewinn lesen.