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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

785 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hoff, Gregor Maria

Titel/Untertitel:

Aporetische Theologie. Skizze eines Stils fundamentaler Theologie.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1997. 353 S. gr.8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-506-73954-9.

Rezensent:

Klaus Kienzler

Am Ende eines Jahrhunderts, und am Ende eines Jahrtausends zumal, legt es sich nahe, Bilanz zu ziehen (187). Das Ergebnis der vorliegenden an der Katholischen Fakultät unter Hans Waldenfels in Bonn entstandenen Dissertation ist aber keine Erfolgsbilanz der Theologie, sondern der Versuch einer redlichen Ortsbestimmung am Ende des Jahrhunderts. Sie sucht im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils nach der Signatur der heutigen Zeit (10). Die Signale des ausgehenden Jahrhunderts können aber kaum dazu verleiten, Triumphe zu feiern, sondern sie sind vielmehr geprägt von beunruhigenden Erfahrungen: Auschwitz, Hiroshima, Archipel Gulag in der Mitte und ökologische Untergangsstimmung, genetische Horrorszenarien und vieles andere mehr am Ende. Es bleibt die "Frist" zwischen der "Prognose des Schlimmsten" und dem Eintreten "der Prognosen durch das Wirkliche" (53).

Vor diesem drängenden Hintergrund ist heute nicht die Zeit der stolzen Erträge, sondern der "Aporien" in allen Bereichen der Kultur und Gesellschaft, so auch der Philosophie und Theologie. Was N. Hartmann schon früh mitten im Höhenflug deutscher Philosophie ansagte, ist heute Realität: "Die Zeit philosophischer Systeme ist vorbei", und gilt nicht weniger für die Theologie (34). Diese Tatsache wird zwar landläufig weitgehend nostalgisch registriert. Die vorliegende Studie bleibt aber nicht dabei stehen, sondern macht sich gerade angesichts der aufgebrochenen Aporien an die Arbeit. Sie durchforstet akribisch namhafte Felder und Bewegungen, Paradigmata und Modelle der Geisteswissenschaften, Philosophie und Theologie dieses Jahrhunderts, die sich ausdrücklich oder unausdrücklich an dieser aporetischen Situation abarbeiteten, um zugleich deren innere Triebkraft aufzudecken, nämlich eng am Nerv der Zeit zu bleiben und deren Ausweglosigkeiten mitzu(er)tragen.

Die Systematik der Dissertation folgt demnach einem klaren Aufbau: Nach einem I. Teil der Grundlegung und Begriffsbestimmung der zu verhandelnden "Aporie", in dem signifikant auf die "sokratische" Aporie und Apologie zurückgegangen wird (9-52), folgt in einem II. Teil die Philosophische Entfaltung mit den beiden Schwerpunkten der "Aporien der Rationalität" heutiger Theoriekonzepte und der "Aporien der Ethik" heutiger Lebensgestaltungsprogramme, konkretisiert an zwei ausdrücklichen Modellen, nämlich dem von Jacques Derrida und Albert Camus (53-158). Der III. Teil des Übergangs von der Philosophie zur Theologie artikuliert die Eingebundenheit der Theologie in diesen vorgegebenen kulturellen, erkenntnistheoretischen und lebensbestimmenden Kontext. Der Zusammenhang wird im besprechenden Hinweis auf die Modelle von H. R. Schlette, E. Biser und K. Rahner erläutert. Sie sind neben Hans Waldenfels für den Autor die hauptsächlichen Gewährsleute des von ihm geforderten neuen "Stils" einer heutigen Theologie (159-189).

Der gewichtigste und umfangreichste IV. Teil trägt die Skizze einer Aporetischen Theologie vor (190-324): Das 1. Kapitel formuliert die "Theo(Gottes-)Lehre" aporetisch mit dem Rückgriff auf die biblischen Zeugnisse und die dafür zuständigen theologischen Antworten der Negativen und Mystischen Theologie (190-217). Das 2. Kapitel stößt in die Mitte christlicher Aporetik vor, die "Christologie", und konzentriert sich dazu sachverständig auf das entscheidende Paradigma, die Glaubensformel von Chalkedon. Danach überprüft der Vf. das mehr oder weniger gelungene Offenhalten der christologischen Aporie dieser Formel an den wichtigsten theologischen Entwürfen dieses Jahrhunderts, nämlich bei K. Barth, H. U. von Balthasar, K. Rahner, W. Pannenberg, W. Kasper und P. Schoonenberg (218-299). Schließlich sammelt das 3. und 4. Kapitel den Ertrag der Untersuchung zur Bestimmung der Form und der Relevanz einer fundamentalen Aporetischen Theologie ein (300-322).

Die vorliegende Dissertation ist eine äußerst dichte, sehr kenntnisreiche und erstaunlich reichhaltige Sammlung und Erörterung verschiedenster philosophischer und theologischer Konzepte und Entwürfe dieses Jahrhunderts. Neben den bereits angeführten Namen und Sachgebieten können andere detaillierte Sachbereiche und mit Namen verbundene Programme hier gar nicht eigens genannt werden. In einer Zusammenschau läßt sich sagen, daß der Vf. unter dem Begriff einer Aporetischen Philosophie die Summe so unterschiedlicher Richtungen wie Kritischer und Negativer Philosophie, Differenz- und Dialektischer Philosophie und unter dem Begriff einer Aporetischen Theologie die Summe von Kritischer und Politischer, Pluralistischer und Kenotischer Theologie, vor allem aber Negativer, Paradoxaler, Dialektischer und Mystischer Theologien eingebracht hat (1-2).

Der Vf. beläßt es aber keineswegs bei dem Aufzählen von Namen und Programmen, sondern führt sie auf ihre Sachhaltigkeit zurück - in der Theologie auf das unverzichtbare Paradigma des "wahren Gottes" und "wahren Menschen" Jesus Christus im Stil und in der Form der Lehrformel von Chalkedon. Er kommt zu dem Schluß, die heutige Situation sei nicht völlig neu, sondern von der langen Tradition seit Dionysios Areopagita, von der Tradition der Negativen Theologie und Mystik des Abbruchs, der Dunkelheit, der Krise her zu lesen. Er plädiert von daher für ein "Experiment theologischer Vernunft" in einer heutigen und zeitbewußten Theologie (11).