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Ausgabe:

Juli/August/1998

Spalte:

750 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Öhler, Markus

Titel/Untertitel:

Elia im Neuen Testament. Untersuchungen zur Bedeutung des alttestamentlichen Propheten im frühen Christentum.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1997. XVII, 374 S. gr. 8 = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 88. Lw. DM 188,-. ISBN 3-11-015547-8.

Rezensent:

Otto Böcher

Von dem aus 1Kön 17-2Kön 2 bekannten Propheten Elia (Elijahu, Elija, Elias) erwartet die jüdische Eschatologie aufgrund von Mal 3,1.23, er werde vor dem Endgericht wiederkommen und Buße predigen. Jesus hat Johannes den Täufer mit diesem Elias venturus gleichgesetzt (Mt 17,10-13 par. Mk 9,11-13; vgl. Mt 11,12 f. par. Lk 16,16). So besteht kein Zweifel daran, daß die Rolle Elias im Neuen Testament nicht zu den randständigen Fragen der neutestamentlichen Exegese gehört; um so erstaunlicher ist die Tatsache, daß eine grundsätzliche, monographische Untersuchung dieses Themas bisher noch nicht vorlag.

Öhler schließt diese Forschungslücke mit seiner im folgenden vorgestellten Untersuchung, einer von Kurt Niederwimmer betreuten, 1996 angenommenen Wiener theol. Dissertation.

Ö. setzt ein mit den Eliavorstellungen der altjüdischen Eschatologie (Kap. 1, "Das erwartete Kommen des Elia", 1-30) und behandelt zunächst die Traditionen der hebräischen Bibel sowie die Septuaginta (Mal, Sir); dabei entscheidet er sich für die Bezeichnung "eschatologischer Elia", da Elias Wiederkunft keine "Wiederbelebung" (Elias redivivus) darstellt (2). Dann untersucht Ö. die Elia-Belege der zwischentestamentarischen Literatur (VitProph, äthHen, ApkZeph, IVEsr, Sib u. a.) und der Texte aus Qumran (4 Q 558; vgl. 4 Q 521; 1QS 9,11), schließlich der Turgumim (TPsJ Dtn 30,4; ebd. Dtn 33,11; Ex 6,18; vgl. Ps PhilAnt Bibl 48,1) und der rabbinischen Tradition (Mischna Ed 8,7; Sota 9,15 u. a.).

Kap. 2 vollzieht den Schritt ins Neue Testament ("Elia und Johannes der Täufer", 31-110). Nacheinander befragt Ö. das Mk-Evangelium, die Logienquelle, das Mt-Evangelium, das Lk-Evangelium und das Joh-Evangelium nach ihren Aussagen und Tendenzen bezüglich der Vorläuferrolle des Täufers und seiner Verknüpfung mit Elia nach Mal 3,23; ein letzter Abschnitt resümiert ("Der historische Täufer Johannes und die Eliaerwartung").

"Elia und Jesus" ist Kap. 3 überschrieben (111-253). Wiederum behandelt Ö. nacheinander die Evangelien und die Logienquelle, jetzt aber auch die Apostelgeschichte; diesmal untersucht er Elia-Belege, die im Zusammenhang mit Jesus stehen. Sein Resümee ("Der historische Jesus und die Eliaerwartung", 247-253) umfaßt die Abschnitte "Jesus und Elia" und "Jesu Urteil über den Täufer".

Kap. 4 (254-262), betitelt "Elia als Beispiel aus der Geschichte", ordnet Röm 11,1-6; Jak 5,17 f.; Hebr 11,34-37 zusammen. Nach "Elia in der Apokalypse" (Apk 11,3-13) fragt Kap. 5 (263-288). "Zusammenfassungen und Rückblick" finden sich im abschließenden 6. Kapitel (289-300). Der "Anhang" (301-374) enthält ein detailliertes Literaturverzeichnis sowie Register der zitierten Autoren, der angeführten (biblischen und außerbiblischen) Belegstellen und der erwähnten Personen und Sachen.

Die vorliegende Monographie verarbeitet eine erstaunliche Fülle von Materialien. Dennoch ist sie, da vorzüglich gegliedert und sprachlich präzise, gut lesbar; die einzelnen Schritte sind ohne Schwierigkeit nachzuvollziehen. Mit der Sekundärliteratur setzt sich Ö. sowohl in der gebotenen Sorgfalt als auch in wünschenswerter Souveränität auseinander. Die Einzelresümees am Schluß der jeweiligen Abschnitte in den Kapiteln 1-3 sowie die rückblickende Zusammenfassung Kap. 6 gestatten dem Leser schnelle Orientierungen.

Den Ergebnissen Öhlers ist durchweg zuzustimmen; nur im Falle von Apk 11,3-13 hat Ö. mich nicht überzeugt. Überraschend ist die gut begründete Feststellung, daß Elia im antiken Judentum außerhalb des Neuen Testaments viel eher als "Vorläufer" Jahwes und seines Gerichtstags denn als Vorläufer des Messias erwartet wird (29 f.). Daß Johannes der Täufer sich selbst als eschatologischen Elia verstanden haben dürfte, läßt der Vergleich mit anderen Prophetengestalten als möglich erscheinen (98-103); seine Elia-Rolle dürfte ein entscheidender "Bestandteil seines gesamten prophetischen Auftretens" gewesen sein (107). Mit Recht hält Ö. Jesu Äußerung über den Täufer (Mt 11,7-9 par. Lk 7,24-26 Q) für eine "im Kern historische" Aussage Jesu (250 f.); dasselbe gilt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für den sog. Stürmerspruch (Mt 11,12 f. par. Lk 16,16 Q; 252). Daher ist anzunehmen, daß der historische Jesus Johannes den Täufer für den eschatologischen Elia gehalten hat (252 f.).

Viel Fleiß und Scharfsinn verwendet Ö. auf die Entschlüsselung von Apk 11,3-13 (263-288). Die beiden Zeugen stellen für ihn keine biblischen Prophetengestalten dar (Elia, Henoch, Mose o. ä.), sondern Ö. deutet sie "typologisch für die Zeugnisfunktion der Kirche" (295). Lediglich für die Macht über den Regen (Apk 11,6) rechnet Ö. mit der Möglichkeit, Elia könne als Beispiel (nach 1Kön 17,1) gedient haben (270 f.; vgl. 295). Demgegenüber erscheint mir eine Deutung der zwei Zeugen auf Mose und Elia noch immer einleuchtender - einerlei, welche Gestalten des Neuen Testaments (Jesus? Johannes den Täufer? Petrus? Paulus?) der Apokalyptiker in ihnen präfiguriert gesehen haben mag.

Gleichwohl liegt mit der Dissertation Ö.s ein rundum erfreuliches Buch vor, das seinen Wert als Standardpublikation über Elia im Neuen Testament noch lange behalten wird. Die Autoren des Neuen Testaments sind, bei allen Unterschieden im einzelnen, darin einig, daß dem alttestamentlichen Propheten Elia ein wichtiger Platz in der Heilsgeschichte zukommt. Elia ist für sie "der eschatologische Vorläufer der Gottesherrschaft, die mit Jesu Wirken gegenwärtig ist ...", der "Bote des ersten Bundes für die Erfüllung aller Erwartungen in Jesus, dem Christus des neuen Bundes" (300).