Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2004

Spalte:

200–202

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Engemann, Wilfried [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie der Predigt. Grundlagen - Modelle - Konsequenzen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001. 415 S. gr.8 = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 21. Geb. Euro 49,00. ISBN 3-374-01936-6.

Rezensent:

Martin Nicol

Um dem homiletischen Diskurs im deutschen Sprachraum einen Impuls zu geben, hat Wilfried Engemann eine Chance klug ergriffen: Geburtstag und Emeritierung von Karl-Heinrich Bieritz. An dessen Person kristallisiert sich in dem vorliegenden Band eine homiletische Bestandsaufnahme mit programmatischen Implikationen heraus. Eine Festschrift ist entstanden, die sich als Wegmarke in der homiletischen Debatte erweisen könnte.

"Theologie der Predigt" - so der Titel des Buches. Freilich, wer "Theologie" sucht im Sinne dogmatischer Bestimmungen zum "Wesen" der Predigt, wird enttäuscht sein. "Theologie" ist längst zur durchgängigen Dimension aller homiletischen Arbeit geworden, Fragen homiletischer Didaktik eingeschlossen. Einige der programmatischen Implikationen für eine künftige Homiletik, die mir bei der Lektüre des Bandes aufgefallen sind, möchte ich in den folgenden sechs Punkten markieren.

1. Bibel - Ferment neuen Sprechens von Gott. Die biblischen Texte als fremde Texte, die allem Verstehen immer voraus liegen, bringt Manfred Josuttis gegenüber der üblichen Tendenz, alles verstehen zu wollen, anregend zur Geltung. Gert Otto macht rhetorisch-ästhetisch dazu Lust, auf der Kanzel etwas von der unerschöpflichen Bedeutungsvielfalt biblischer Texte zur Geltung zu bringen.

2. Aktualität zwischen Hörerwirklichkeit und Gottesgeschehen. Die Frage, wie die Predigt aktuell sein könne, bewegt sich noch immer zwischen zwei Polen: einer Ausrichtung am Hörer und einer Eigendynamik des Wortes Gottes. Klaus-Peter Jörns plädiert dafür, eine "Lebensauslegung aus dem Glauben" (22) in die Schriftauslegung einzubringen, und Wilhelm Gräb legt den Akzent auf eine "religiöse Selbstauslegung" (335) der am homiletischen Prozess beteiligten Subjekte. Demgegenüber will Ottmar Fuchs eher von der Seite der kirchlichen Lehre und der biblischen Botschaft die Eschatologie ins Predigtgeschehen einbringen. Wilfried Engemann akzentuiert worttheologisch den Ereignischarakter der Predigt als eines "Wirklichkeit stiftenden Machtworts" (79). Eine historische Reminiszenz zum Bemühen der Predigt, aktuell zu sein, liefert Albrecht Beutel mit seiner Skizze zur Aufklärungshomiletik eines Johann Joachim Spalding. Roman Rössler identifiziert die Krise der Predigt als Krise von Theologie und erinnert die Predigt an ihr Kerngeschäft, von Gott zu reden.

3. Rede in mancherlei Gestalt. Peter Cornehl macht auf dem Hintergrund nach wie vor hoher Erwartungen an die Predigt Mut, auch die "Chancen für eine neue Art von Lehr-Predigt" (104) auszuloten. Henning Schröer brachte noch einmal seine Vision einer poetischen Predigt zur Geltung. Jürgen Ziemer, dem "zufälligen Hörer" zugewandt, skizziert eine missionarische Predigt, die vor allem eines kennzeichnet: Unaufdringlichkeit. Gerhard Marcel Martin richtet den Blick auf die Gattung der Rundfunkpredigt und zeigt, wie dort Theologie auf mitunter verdeckte Weise zur Geltung kommt.

4. Predigt - lehrbarer als gedacht. Erfreulich vielfältig kommt die Frage einer homiletischen Didaktik ins Gespräch. Heinrich Holze skizziert historisch den Weg, den die Lehrform "homiletisches Seminar" seit der Aufklärung im Spannungsfeld zwischen Universität und Kirche genommen hat. Wiebke Köhler wehrt vorschneller Pragmatik ("Methoden"), indem sie methodische Fragen zunächst auf der Metaebene homiletischer Didaktik reflektiert. Christian Grethlein plädiert für eine Neuakzentuierung der Homiletik in der pastoralen Ausbildung, was sich unter anderem in einer "anderen hochschuldidaktischen Inszenierung der Begegnung mit der Bibel" (351) und in einer Fokussierung auf Kasualsituationen manifestieren solle. Klaus-Peter Hertzsch weist darauf hin, dass der gegenseitige Austausch von Dozierenden über Erfahrungen im Predigtlehren noch immer zu wünschen übrig lasse.

5. Rede im Kontext von Liturgie. Auf dem Hintergrund des Thüringer Predigtstreits fragt Eberhard Winkler amtstheologisch, wodurch eine Rede zur Predigt im Gottesdienst der Gemeinde werde. Jörg Neijenhuis plädiert für eine neue Öffentlichkeit der Predigt und überlegt, wie diese in verschiedenen Zeichensprachen gottesdienstlich zum Ausdruck komme. Wolfgang Ratzmann erhebt die implizite Homiletik des "Gottesdienstbuches" und interpretiert sie als Impuls, die Predigt stärker als bisher in das Geschehen der Liturgie zu integrieren. Hans-Christoph Schmidt-Lauber mahnt zur Achtsamkeit, damit im liturgischen Miteinander der Gattungen die Grenzen zwischen Predigt und Gebet wechselseitig nicht undeutlich werden.

6. Konzeptskizzen künftiger Homiletik. Zwei Beiträge können als Versuche gelesen werden, dem Neuen, das sich vielfältig ankündigt, konzeptionelle Konturen zu geben. Im Rahmen einer Hermeneutik des Fremden positioniert Albrecht Grözinger seine "Predigt der Gnade". Theologische Ästhetik und eine erneuerte Theologie des Wortes Gottes verdichten sich in einer "Sprache der Anmutung" (221 f.), die zwischen Behauptung und Unverbindlichkeit ihren eigenen Weg sucht. Michael Meyer-Blanck skizziert die Predigt mit vielen Analogien zur Welt der Künste als "transversale Rede", d. h. als Phänomen der Übergänge. So entsteht eine Theologie von Predigt, die "das Changieren liebt" und nicht das "heilige Raunen" (283).

Dass Karl-Heinrich Bieritz nicht ganz "unschuldig" ist an diesen und anderen neuen Entwicklungen in der Homiletik, beweist seine beeindruckende Bibliographie, die, was eigens zu loben ist, zusammen mit einem Personen- und einem Sachregister den Band beschließt.