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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1042 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Edwards, James R.

Titel/Untertitel:

The Gospel According to Mark.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans; Leicester: Apollos 2002. XXVI, 552 S. gr.8 = The Pillar New Testament Commentary. Geb. US$ 40,00. ISBN 0-8028-3734-4 (Eerdmans), 0-85111-778-3 (Apollos).

Rezensent:

Bernd Kollmann

Die Reihe "The Pillar New Testament Commentary", in der das vorliegende Werk erschienen ist, strebt mittels einer Synthese von "first-class exegesis and evangelical warmth" den Brückenschlag zwischen Bibelwissenschaft und christlicher Frömmigkeitspraxis an. In Übereinstimmung mit dieser verdienstvollen Programmatik macht sich E., der am Whitworth College in Spokane (Staat Washington/USA) Neues Testament lehrt, eine theologische Interpretation des Mk-Ev zur Aufgabe, die mit Respekt vor der Bibel als Wort Gottes erfolgen und ihr Ziel darin finden soll, "that readers may be enabled to see Jesus as God's son and to follow him as disciples" (XIV).

Die maßgeblichen Vorentscheidungen für die Kommentierung, die den Dialog mit der neueren Markusforschung sucht, ohne sie in voller Breite zu rezipieren, fallen bereits in der Einleitung. Dort bringt E. der altkirchlichen Tradition von Johannes Markus als Hörer des Petrus und Verfasser des Evangeliums uneingeschränktes Vertrauen entgegen. Das Mk-Ev ist demnach um das Jahr 65 herum in Rom entstanden und kann über weite Strecken den Status eines Augenzeugenberichts beanspruchen, indem es entscheidend auf dem von Johannes Markus bei aller Gestaltungsfreiheit doch weitgehend authentisch wiedergegebenen Zeugnis des Petrus beruht. Die Vorgeschichte der mk Überlieferungen ist damit für E. befriedigend geklärt. Quellenprobleme wie die Fragen nach vormk Sammlungen, dem Verhältnis des Mk-Ev zu Q oder dem Umfang des von Mk vorgefundenen Passionsberichts stellen sich erst gar nicht. Literar- und Redaktionskritik sind letztlich nur unter dem Aspekt von Bedeutung, wie Mk aus dem von Petrus übermittelten Material sein Evangelium komponiert und welche theologischen Schwerpunkte er dabei setzt.

Das Ergebnis ist ein Kommentar, der ungleich größeres Vertrauen in die geschichtliche Zuverlässigkeit des Mk-Ev setzt, als dies gewöhnlich der Fall ist. Einige ausgewählte Beispiele mögen dies veranschaulichen. In den Schweige- und Geheimhaltungsgeboten sieht E. zwar ein von Mk in den Dienst der Kreuzestheologie gestelltes Gestaltungsmittel, vermutet aber ihre Wurzeln beim historischen Jesus, der sich damit vor falschen messianischen Erwartungen an seine Person habe schützen wollen. Die ebenfalls zum Komplex des "Messiasgeheimnisses" gehörige Parabeltheorie betrachtet E. im Wesentlichen als Produkt mk Theologie, sieht aber auf der anderen Seite keine unüberwindlichen Hindernisse, die allegorisierende Gleichnisauslegung Mk 4,13-20 auf Jesus selber zurückzuführen. Bei den Wundergeschichten des Mk-Ev deuteten zahlreiche Details auf Augenzeugenschaft hin. Nicht nur den Dämonenaustreibungen und Krankenheilungen, sondern auch Wundertraditionen wie der Erweckung der Jairustochter oder der Speisung der 5000 attestiert E. "historical liability". Ob dies im Sinne eines supranaturalistischen Wunderverständnisses zu verstehen ist, wird nicht weiter erläutert. Die Widersprüche zwischen der mk Darstellung des Prozesses Jesu und dem Prozessrecht der Mischna erklärt E. sich dahingehend, dass das Synhedrion sich bewusst über geltendes Recht hinweggesetzt habe, um die Hinrichtung Jesu zu beschleunigen. Wenn dabei der spätere Prozess gegen den Herrenbruder Jakobus als Analogie beansprucht wird, verkennt dies die unterschiedliche Ausgangssituation, namentlich dass sich der amtierende Hohepriester Ananus bei der Verurteilung des Jakobus ein durch den plötzlichen Tod des römischen Statthalters Festus herrschendes Machtvakuum zunutze machen konnte. Im Pilatusbild des Mk-Ev nimmt E. zwar die Unterschiede zu der ungleich negativeren Bewertung des römischen Statthalters bei Philo und Josephus wahr, sieht aber keinerlei Grund zur Annahme einer geschönten Darstellung, "for we should scarcely expect Mark, who has just shown that bearing faithful witness under persecution is a mark of true discipleship (14:53-72), to deny his own lesson by misrepresenting Pilate in order to avert the possible consequences of suffering for the sake of the gospel" (455). Angesichts des grenzenlosen Vertrauens in die Redlichkeit des Markus als glaubwürdigen Vermittlers der Petrusmemoiren verwundert es nicht, dass auch die Geschichte vom leeren Grab für E. "the highest degree of probability" genießt.

Unter dem Strich bietet E. einen griffigen, in sich geschlossenen Gegenentwurf zur derzeit vorherrschenden Markusexegese, der gleichzeitig eine Fülle fundierter Informationen und wichtiger Beobachtungen bereithält, die sich bei der Auslegung des Mk-Ev und der Erhellung seiner Theologie als hilfreich erweisen können. Auch wenn der Kommentar von E. die kritische Markusforschung damit wohl kaum vorantreiben wird, vermag er sie zumindest als eine Art "Stachel im Fleisch" daran zu erinnern, dass sie sich ihrer Prämissen und Ergebnisse immer wieder neu zu vergewissern hat. Das Werk dürfte vor allem für solche Leserinnen und Leser von besonderem Gewinn sein, die von ihrem Frömmigkeitsverständnis her die Mehrzahl der neueren Mk-Kommentare als zu radikal im Umgang mit der biblischen Tradition empfinden, ohne deshalb aber auf eine methodisch reflektierte Schriftauslegung und das dazu notwendige Hintergrundwissen verzichten zu wollen.