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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

830 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Campenhausen, Axel Frhr. von, u. Christoph Thiele

Titel/Untertitel:

Göttinger Gutachten II. Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren 1990-2000 erstattet vom Kirchenrechtlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XVIII, 430 S. gr.8 = Jus Ecclesiasticum, 69. Lw. ¬ 44,00. ISBN 3-16-147782-0.

Rezensent:

Karl-Hermann Kästner

Das Buch enthält einen beträchtlichen Teil der vom Kirchenrechtlichen Institut der EKD in den Jahren 1990 bis 2000 erstatteten Rechtsgutachten. Zusammen mit den diesbezüglichen drei früheren Sammelbänden - Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren 1946-1969 (1972); Münchener Gutachten. Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren 1970-1980 (1983); Göttinger Gutachten. Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren 1980-1990 (1994) - ist damit der Ertrag von mehr als fünfzig Jahren wissenschaftlicher und praxisbezogener Arbeit des Kirchenrechtlichen Instituts zugänglich, das zur unverzichtbaren Institution im Bereich des deutschen Staatskirchenrechts und evangelischen Kirchenrechts geworden ist.

Wie die Vorgängerbände bietet auch der vorliegende wieder einen bunten Strauß kirchenrechtlicher und staatskirchenrechtlicher Grundsatzprobleme und Einzelfragen, die vom Institut unter seinem bewährten Leiter Axel Frhr. von Campenhausen in traditionell gleichermaßen tiefschürfender wie in den Ergebnissen ausgewogener Weise aufgearbeitet worden sind. Der Akzent der Arbeit des Kirchenrechtlichen Instituts liegt bekanntlich nicht in erster Linie darauf, dem evangelischen Kirchenrecht und dem deutschen Staatskirchenrecht neuartige Perspektiven aufzuzeigen; es dient vielmehr dazu, auf der Höhe der aktuellen Rechtsprechung und der laufenden wissenschaftlichen Diskussion die evangelischen Kirchen in der praktischen Bewältigung bisweilen sehr komplexer juristischer Fragen sachkundig anhand des geltenden Rechts und nicht selten auch auf der Basis subtiler rechtshistorischer Betrachtungen zu unterstützen. Das prägt den Stil der Gutachten, die sich ungeachtet ihrer juristisch-fachlichen Qualität durchweg auch dem Nichtjuristen in den Kirchenverwaltungen (und in der Öffentlichkeit) inhaltlich erschließen dürften. Und es bleibt nicht ohne Einfluss auf den Wandel bzw. die Kontinuität der jeweils bearbeiteten Fragestellungen. Alle vier Gutachtenbände spiegeln plastisch auch die Wege und Irrwege kirchlichen Lebens, gesellschaftlicher Entwicklungen und staatskirchenrechtlicher Auseinandersetzungen der vergangenen 54 Jahre.

Das inhaltliche Spektrum des vorliegenden Buches spannt sich kirchenrechtlich - um hier nur Ausschnitte zu erwähnen - von kirchenverfassungsrechtlichen Grundsatzfragen (Zustimmungserfordernis bei einer Änderung der Grundordnung der EKD, Verfahrensaspekte bei der Klärung der künftigen Gestaltung der Militärseelsorge) über das Recht der Kirchengemeinden und das Recht der Kirchenmitgliedschaft bis hin zum kirchlichen Finanz- und Haushaltsrecht, zum Datenschutzrecht sowie (quantitativ mit einem gewissen Schwerpunkt) zu Fragen des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts. Der größte Teil der Gutachten allerdings bezieht sich auf staatskirchenrechtliche Aspekte kirchlicher Existenz in Deutschland, wobei - was von der praktischen Problemlage her nicht anders zu erwarten war - auch im "Berichtszeitraum" wieder eine Reihe von Staatsleistungs- und Baulastproblemen zu klären war. Darüber hinaus enthält der Band mehrere Gutachten, die sich im Gefolge der deutschen Wiedervereinigung im Kontext von Ansprüchen auf Rückerstattung entzogenen Kirchenguts als notwendig erwiesen haben. Auch hier ging es teilweise um komplexe Grundsatzprobleme, die sich in dieser Form erstmals stellten - etwa um die Frage, ob eine evangelische Kirche nach Maßgabe des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen als Rechtsnachfolgerin einer unter dem Nationalsozialismus verfolgungsbedingt aufgelösten kirchlichen Stiftung Rückerstattungsansprüche geltend machen kann (insofern bejahend inzwischen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, ZevKR 47 [2002], 101 ff.; dazu mein Beitrag ZevKR 47 [2002], 90 ff.). Der Sammelband wird abgerundet durch zehn Gutachten zu speziellen staatskirchenrechtlichen Problemen, die teils zum inzwischen "gesicherten Bestand" einer anscheinend endlosen Diskussion gehören (wie die Frage nach der staatlichen Pflicht bzw. Kompetenz zur Rechtsschutzgewährung in Kirchensachen), zum Teil aber auch höchst aktuell anmuten (wie die dienstrechtliche Problematik des religiös motivierten Kopftuches einer muslimischen Lehrerin an einer öffentlichen Schule). Der Band wird abgeschlossen durch eine Liste von vier Gutachten, die an anderer Stelle veröffentlicht vorliegen.

Es ist hier nicht der Ort, über einzelne Ergebnisse der abgedruckten Gutachten zu diskutieren. Das bietet sich um so weniger an, als, wie bereits gesagt, durchweg sehr abgewogen auf solider dogmatischer Grundlage argumentiert wird. Das Buch bietet insofern auch dem Leser, der mit den erörterten Fragen nicht im Einzelnen vertraut ist, eine sehr hilfreiche Grundlage zur Einarbeitung in die jeweilige Problematik. Hilfreich ist insofern auch das dankenswerterweise beigefügte Sachregister. Anzuregen für künftige Bände, da bisweilen das Verständnis der Argumentation erleichternd, wäre - soweit sich dies nicht aus dem Text ergibt - lediglich eine Ergänzung der einzelnen abgedruckten Gutachten durch eine Anmerkung, in wessen Auftrag sie erstattet wurden.