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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

768–770

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Fiedrowicz, Michael

Titel/Untertitel:

Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2000. 361 S. gr.8. Kart. ¬ 48,00. ISBN 3-506-72733-8.

Rezensent:

Holger Strutwolf

Man kann - in Abwandlung eines berühmten Diktums über die Apokalyptik - die Apologetik als "Mutter der christlichen Theologie" bezeichnen. Denn das, was wir als Theologie zu bezeichnen pflegen, die wissenschaftlich-rationale Darstellung, Entfaltung und Verantwortung des christlichen Glaubens, beginnt mit der Begegnung des neuen christlichen Kerygmas mit dem Logos der Griechen. In der Theologie der frühen Apologeten stellt sich das Christentum zum ersten Mal der Herausfor-derung des hellenistisch-philosophischen Denkens mit seinem rationalen, aber auch umfassend religiösen Anspruch. Die rationale Verstehbarkeit und argumentative Vertretbarkeit des neuen Glaubens vor dem Forum der philosophischen Diskurse auf der "Höhe der Zeit" zu erweisen, hat das Christentum nicht nur nach außen angepasst und seine Wirklichkeitstauglichkeit im Disput mit der nichtchristlichen Außenwelt erweisen sollen, sondern hat auch das Selbstverständnis der jungen Kirche und die denkerische Durchdringung und damit die Definition der eigenen Lehre tief geprägt. Die Entstehung des altkirchlichen Dogmas ist - wie überhaupt die Entwicklung der frühchristlichen Theologie - ohne den Anfang, die Geburt der christlichen Theologie "aus dem Geist der Apologetik" gar nicht zu verstehen. Wenn sich in der Theologie der Logos der Griechen und der Gott des Alten und Neuen Testaments begegnet sind, so blieb "Theologie" als Ausdruck und Resultat dieser Begegnung immer auf dieses Ursprungsgeschehen verwiesen, weil dieses Miteinandersprechen von "Weltlichem" und dem Widerfahrnis der göttlichen Offenbarung ihr Wesen ausmacht.

Dieser frühchristlichen Apologetik als dem Ursprungsgeschehen der "wissenschaftlichen Theologie" geht die hier vorzustellende Studie nach. Sie bietet so etwas wie eine handbuchartige Darstellung des Phänomens, wobei deren Ziel nicht allein die Gesamtdarstellung ihres Gegenstandes, sondern nach Ausweis des Vorwortes auch die Allgemeinverständlichkeit ist. Beiden Aufgabestellungen - so viel sei schon vorweg gesagt - wird meiner Ansicht nach zur vollen Zufriedenheit entsprochen.

Nach einer Einleitung, in welcher "Anlaß und Intention der apologetischen Literatur" und die "christliche Option für den Disput mit dem nichtgläubigen Denken" skizziert, Bedeutung und Herkunft des Begriffs "Apologetik" geklärt und die Vielfalt der literarischen Gattungen hervorgehoben werden, in denen sich die apologetische Arbeit der Frühzeit Ausdruck verschafft, bietet der erste Hauptteil des Buches einen "historischen Überblick" über die Geschichte der frühchristlichen Apologetik.

Zunächst werden (A) als eine Art "Vorgeschichte" des Phänomens "Ansätze und Modelle" dargestellt, und zwar die Vorstufen der Apologetik im Neuen Testament, in der jüdischen Tradition, im "Kerygma Petri" und in den Märtyrerakten. Die Darstellung folgt dann chronologisch den verschiedenen Epochen der apologetischen Literatur, beginnend (B) mit den ersten Apologien des 2. Jh.s (Quadratusfragment, Aristides, Justin, Miltiades, Apollinaris von Hierapolis, Melito von Sardes, Athenagoras), deren Arbeit in den historischen Kontext der ersten auf Denunziationen beruhenden Pogrome und Prozesse mit ihrer völlig unklaren und damit aber auch völlig unsicheren Rechtslage für die Christen gestellt wird.

Auf Grund dieser Situation der Rechtsunsicherheit in der oft tumultuarischen Verfolgungssituation erschien der Appell an den Kaiser als das probate Mittel, um eventuell ein positives Prozessreskript zu erhalten und so die eigene Rechtslage zu verbessern. Wie W. Kinzig gezeigt hat, war diese Möglichkeit durch Kaiser Trajan eröffnet worden, der an ihn selbst adressierte schriftliche Bittschreiben von Privatpersonen gestattete, die er durch seine Kanzlei bearbeiten ließ und in Form solcher Reskripte veröffentlichte. Die frühen Apologien nutzten nach Fiedrowicz "sofort diesen Amtsweg, um nicht nur den Kaiser auf ihre Lage aufmerksam zu machen, sondern zugleich durch die erhoffte Publikation ihrer Schriften an jenem stark frequentierten Ort breitere Resonanz in der Öffentlichkeit zu finden." (37)

Die Entfaltung der apologetischen Literatur um die Wende des 2. zum 3. Jh. (C) wird dann als Antwort auf die erste systematische und literarisch greifbare Polemik gegen das Christentum verstanden, wie sie etwa in dem antichristlichen Werk "Das wahre Wort" des Platonikers Kelsos greifbar wird. Diese neue polemische Situation führte zu neuen Formen der Verteidigung, deren formale Vielfalt und inhaltliche Fülle durch die Verteidigungsschriften u. a. von Tatian, Theophilus von Antiochien, Clemens von Alexandrien, Tertullian, Minucius Felix, Cyprian, Commodian und Origenes illustriert werden.

Eine weitere Phase der Apologetikgeschichte bildet dann (D) die Auseinandersetzung mit dem Neuplatonismus, der in Porphyrius einen Christengegner großen philosophischen Formats, aber auch weitreichender und tiefgehender Kenntnisse der neuen aufstrebenden Religion stellte. Die von christlicher Seite sofort erkannte Gefährlichkeit dieser Polemik rief eine Unzahl von Gegenschriften hervor, von denen die meisten aber inzwischen verloren und untergegangen sind wie das Werk, gegen das sie sich wendeten.

Als Vertreter der Apologie in der diokletianisch-konstantinischen Epoche werden dann (E) Laktanz, Eusebius von Caesarea, Ps.-Justin - hinter dem sich wohl Markell von Ankyra verbergen dürfte -, Athanasius und Firmicus Maternus vorgestellt und der Wandel, der sich in der apologetischen Aufgabe mit dem Übergang von der letzten und schwersten Verfolgung zur Duldung und Bevorzugung des Christentums durch Konstantin den Großen ergab, skizziert. Die Episode der paganen Restauration unter Julian Apostata (361-363) und die christliche Reaktion darauf sowie die theologische Verarbeitung eines drohenden Rückfalls in die pagane Vergangenheit wird in einem eigenen Unterkapitel (F) behandelt. Die antijulianischen Werke von Apollinaris von Laodicea, Ephraem's des Syrers über Gregor von Nazianz, Diodor von Tarsus, Theodor von Mopsuestia bis hin zu Johannes Chrysostomus und Cyrill von Alexandrien werden gewürdigt. Anhangsweise - weil sie nicht ins zeitgeschichtliche Schema einzuordnen waren? - werden hier noch Theodoret von Cyrus, Nemesius von Emesa, Äneas von Gaza und der christliche Philosoph und Aristoteleskommentator Johannes Philoponus behandelt.

Nach der Darstellung der "Auseinandersetzung mit der römischen Senatsaristokratie" am Ende des 4. Jh.s (G) bildet die "geschichtstheologische Apologetik gegenüber neuen Angriffen nach dem Fall Roms (410)" mit den apologetischen Schriften Augustins und dessen Hauptwerk der christlichen Geschichtstheologie überhaupt "De civitate Dei" den krönenden Abschluss des historischen Überblicks. Es folgt nur noch - sozusagen als "Antiklimax" - das Geschichtswerk des Orosius, das nach Ansicht von F. weit hinter der von Augustinus geleisteten "Entflechtung von Romanitas und Christianitas" zurückfiel (144).

Auf diesen historischen Überblick folgt als zweiter Hauptteil die "systematische Darstellung" der Formen, Methoden und Argumentationsstrukturen der christlichen Apologetik. Nach einem allgemeineren Kapitel über die "Formen und Methoden der Auseinandersetzung" (A) werden verschiedene apologetische Argumentationsschienen und -strategien vorgestellt: so etwa jeweils die "christliche Lebenspraxis" (B), die Geschichte (C), die Vernunftgemäßheit des Glaubens (D) als Argument für die Wahrheit und Überlegenheit des Christentums gegenüber der paganen Religion und Philosophie. Schließlich wird auch neben all den Momenten des Dialogs und der Anknüpfung an vorchristliche Vorbilder und Gedanken der "universelle Wahrheitsanspruch des Christentum" thematisiert (E).

Eine kurze "geistes- und geschichtliche" Einordnung "der frühchristlichen Apologie" schließt das Buch ab. Diese wird als ein "Modell der Inkulturation" begriffen, weil hier einerseits das Bemühen leitend war, sich dem Anderen verständlich zu machen, indem man die eigenen Überzeugungen in den Verständnishorizont der paganen Welt übersetzte, ohne dabei das christliche Credo in der Verteidigung seiner Inhalte einseitig auf allgemein einsichtige Vernunftwahrheiten zu reduzieren oder durch philosophische Kategorien restlos zu hellenisieren (313).

Zusammenfassend möchte ich sagen: Das Buch stellt letztlich eine von der Sympathie mit seinem Gegenstand getragene "Apologie der Apologetik" dar, nimmt diese ernst und wichtig und stellt der gegenwärtigen Theologie die bleibende Aufgabe der Apologetik vor Augen - des Dialogs zwischen Glauben und Wissen, natürlicher und übernatürlicher Erkenntnis, zwischen Kerygma und der Welt, die es betrifft, oder in welcher Terminologie man auch immer die Aufgabe der Vermittlung von christlichen Grundüberzeugungen in eine Welt hinein, die von anderen Werten und Vorstellungen geprägt ist, fassen möchte. Für mich liegt ein sehr gelungenes Buch vor, als umfassendes Handbuch, als Einführung in die apologetische Literatur, aber auch als Denkanstoß für die Gegenwart.