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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

751–753

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rodd, Cyril S.

Titel/Untertitel:

Glimpses of a Strange Land. Studies in Old Testament Ethics.

Verlag:

Edinburgh: Clark 2001. XIV, 402 S. 8 = Old Testament Studies. Lw. £ 29,95. ISBN 0-567-08753-0.

Rezensent:

Eckart Otto

Wer eine Ethik des Alten Testaments schreiben soll, sieht sich mit nicht geringen Problemen konfrontiert, die C. S. Rodd, ehemals Dozent an der Universität von Surrey Roehampton, gleich eingangs nachdrücklich nennt. Als er vor fast einem halben Jahrhundert seine akademische Lehrtätigkeit aufnahm und sein Interesse an der alttestamentlichen Ethik bekundete, habe Norman Snaith ihm beschieden, dass darin keine Zukunft liege. Erst später, als der Vf. seine Lehrveranstaltungen selbst verantworten konnte, sei er zum Thema der alttestamentlichen Ethik zurückgekehrt und es habe fast seine Lebenszeit gebraucht, um das vorliegende Buch zu schreiben. Nicht allein aber darin, dass eine alttestamentliche Ethik lange Zeit als ein "non-subject" angesehen wurde - was im deutschsprachigen Raum dazu führte, dass mehr als fünfzig Jahre kein Alttestamentler eine Ethik verfasste -, sondern auch in der Natur der Sache liegende, Jahrzehnte lang als unüberwindbar geltende Schwierigkeiten belasteten den Versuch, eine Ethik des Alten Testaments zu konzipieren, was der Vf. als Einstieg knapp so benennt: "A magic problem in writing about Old Testament ethics is to know where to begin". Dahinter verbirgt sich das mit dem Ansatz verbundene Problem der Systematik im Aufbau einer derartigen Ethik, das wiederum auf das Engste mit der hermeneutischen Grundsatzfrage verbunden ist, ob, und wenn ja, wie aus der historischen Deskription theologisch normative Werturteile zu begründen seien, ob eine Ethik also deskriptiven oder normativen Charakter haben soll und, wenn das der Fall sein soll, welchen.1

Die hermeneutischen Probleme, die sich hier auftun, sind ähnlich denen, die in der Alternative von Theologie des Alten Testaments und Religionsgeschichte Israels/Judas verhandelt werden, sich aber auf Grund der Normenproblematik für eine Ethik der Hebräischen Bibel noch sehr viel nachdrücklicher stellen. Aber hier gibt es keine der um eine Theologie des Alten Testaments vergleichbare Diskussionsgeschichte, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass Lehrveranstaltungen zur Ethik des Alten Testaments nicht in dem Maße Teil des Curriculums sind wie die zur Theologie des Alten Testaments oder Religionsgeschichte Israels. Der Vf. zieht aus diesen Schwierigkeiten, nachdem er dem Ansatz beim Dekalog als unhistorisch ebenso eine Absage erteilt hat wie solchen, die den Ausgangspunkt bei gegenwärtigen ethischen Konfliktfeldern, den ethischen Provokationen des Alten Testaments oder einer theologischen Struktur hinter den ethischen Aussagen des Alten Testaments nehmen, die Konsequenz, auf jede Strukturierung zu verzichten. Er will stattdessen Streiflichter bieten, die auch die Fragen unbeantwortet lassen, ob die Blicke auf das Alte Testament die historische "Realität" Israels freigeben oder nur ein "Israel", wie es biblische Autoren uns sehen lassen wollten.

Was der Vf. also bietet, sind nicht zu einem Gesamtentwurf verbundene Aufsätze zu ethischen Einzelthemen aus seiner langen Lehrtätigkeit. Der Leser soll sich dabei fühlen wie jemand, der die enge Wendeltreppe des Turmes einer mittelalterlichen Burg besteigt und gelegentlich auf kleine Fenster trifft, die ihm einen Ausblick auf die Landschaft frei geben, es ihm aber nicht ermöglichen, das Ganze der Landschaft zu sehen. An derartigen "Ausblicken" bietet der Vf. Abhandlungen über "Ethics and Purity" (5-18) sowie "Ethics and Honour" (19-26), die aufzeigen sollen, dass im Alten Testament Ethos, Reinheit/Unreinheit und Ehre/Scham eng verzahnt sind und eine moderne Definition von Ethik dem Alten Testament nur begrenzt entsprechen kann, ethische Aspekte vielmehr immer eingebunden sind in ein größeres Ganzes religiöser Weltdeutung. Auch seien an das Alte Testament ethische Fragen herangetragen worden, die sich den biblischen Überlieferungen in dieser Eindeutigkeit gar nicht als Problem stellen. Der Vf. verdeutlicht das an der Thematik des "Ehebruchs", der im Alten Testament ein upper-class-Thema sei. Es folgen Studien zur Semantik von nebala/s edaqa ("Such a Thing is not Done in Israel", 44-51), und mispat ("Abraham's Question" [sc. Gen 18,23-25]; 52-64), zur imitatio Dei als ethischem Modell ("The Imitation of God", 65-76) und zum Dekalog ("The Ten Commandments", 77-93), der einen nur schmalen Ausschnitt alttestamentlicher Ethik biete. Begehrens- und Tötungsverbot ("Coverting, Homicide and Intention", 94- 108) zeigen die Differenz zwischen "Gesetz" und einer umfassenderen "Ethik", die auch auf die Intention des Handelns reflektiere. Auf dieser Schnur werden nun Abhandlungen zu den Begründungssätzen ("Motivations", 109-125) und den Sanktionsbestimmungen ("Sanctions", 126-141) aufgereiht. In diesen Abhandlungen haben sich immer wieder die Fragen nach den Spezifika des biblischen Rechts und Ethos im Vergleich zu denen des Alten Orients gestellt, die der Vf. anhand der biblischen Sozialgesetzgebung ("Lending at Interest" und "The Poor", 142-184), der Einstellung zum Krieg ("War", 185-206), zur Natur ("Animals", 207-233, und "Nature", 234-259) sowie den Frauen ("Women", 250-270) vorantreiben will.

Diese Themen tragen, so der Vf., Fragen der Moderne an die Hebräische Bibel heran, die aber wenig zu heutigen Diskursen beizutragen haben: "Just to select these topics involves distorting Israelite values, but they can hardly be avoided in any discussion of ethics". Die Suche nach ethischen Spezifika der Bibel im Verhältnis zum Alten Orient sei geleitet von dem Wunsch nach ethischer Weisung in heutiger Zeit. Doch unsere ethischen Probleme seien nicht die des Alten Testaments. Armut sei im Alten Testament ebenso akzeptiert wie der Krieg. Das Problem seien vielmehr die Niederlagen Israels. Wildtiere galten als Bedrohung und nicht als schützenswert. Auch Ökologie und Frauenemanzipation seien keine Themen des Alten Testaments.

Unter der Überschrift "How Did the Old Testament View What We Call Ethics" (301-329) sondert der Vf. schließlich ethische Aspekte in Überlieferungen der Weisheit, Prophetie und Erzählungen und kommt auch hier zu dem Ergebnis, dass, wie etwa die Königsideologie zeige, es sich im Alten Testament ethisch um eine ferne Welt handle. Nur wenn die Fremdheit des Alten Testamentes erkannt werde, könne es einen Beitrag zur Lösung moderner ethischer Probleme leisten. Diesen Beitrag sieht der Vf. in einem Abschlusskapitel "The Old Testament and Ethics Today" (301-333) nicht in Prinzipien, die den unterschiedlichen ethischen Äußerungen des Alten Testaments zu Grunde liegen.

Zu welchen Fehlschlüssen man bei der Suche nach derartigen Prinzipien komme, zeige der Fehlgebrauch des Exodusmotivs in der sog. Befreiungstheologie oder der Behauptung, das Alte Testament habe eine "option for the poor". Auch könne weder eine Offenbarungs- noch eine Kanonstheologie die ethische Relevanz biblischer Texte begründen, wenn diese die ethischen Probleme der Moderne gar nicht zum Thema haben. Was also sollen wir nach Meinung des Vf.s tun? "The first requirement is to abandon the propositional view of revelation, and with it the belief in the Bible as an external authority" (327). Was zu lernen sei in der Bibel, sei die Distanz zu den uns so selbstverständlichen modernen Standards wie Demokratie, Gleichheit, Toleranz, freie Marktwirtschaft, Hedonismus und Individualismus. Der Vf. votiert für eine deskriptive Ethik des Alten Testaments, kann aber letztlich nicht angeben, welchem Ziel die Deskription dienen soll. Das Buch hat entsprechend seine Stärke in der Destruktion von ethischen Entwürfen sei es konservativer oder progressiver Herkunft, die nach autoritativer Weisung suchen. Es stellt die Fragen, die es selbst nicht beantwortet. Der Titel des Buches hat aber auch keine Ethik versprochen, sondern nur Streiflichter eines fremden Landes. Die werden materialreich und mit der Diskussion um die Probleme einer Ethik des Alten Testamentes bestens vertraut auch geliefert. Ausführliche Bibliographie und Indices schließen das Buch ab.

Fussnoten:

1) Zur Forschungsgeschichte vgl. E. Otto, Forschungsgeschichte der Entwürfe einer Theologie im Alten Testament, VuF 36, 1991, 3-37; ders., Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3/2, Stuttgart 1994, 9 ff.