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Ausgabe:

Juni/2003

Spalte:

643–645

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Nichtweiß, Barbara [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Vom Ende der Zeit. Geschichtstheologie und Eschatologie bei Erik Peterson. Symposium Mainz 2000.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2001. VIII, 343 S. m. Abb. gr.8 = Religion - Geschichte - Gesellschaft, Fundamentaltheologische Studien, 16. Geb. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-4926-0.

Rezensent:

Friedrich Beißer

Dieser Sammelband vereint die Vorträge eines Symposions, das im Jahr 2000 über Erik Peterson abgehalten worden ist. Es ist damit ein aufschlussreiches und sehr bedenkenswertes Buch entstanden. Auch wenn das zu Grunde liegende Symposion insbesondere das Geschichtsdenken und die Eschatologie von Peterson behandeln wollte, so ist doch dieser Titel eher missverständlich. Was Peterson nämlich speziell zu diesen beiden Themen beizutragen hat, ist m. E. weniger bemerkenswert. Ein spezifisches Geschichtsdenken hat P. eigentlich nicht entwickelt und das künftige Ende aller Dinge ist bei ihm ebenso an den Rand gerückt wie bei vielen anderen. Seine Eschatologie besteht im Wesentlichen (insofern z. B. nicht gänzlich unähnlich gegenüber Barth und Bultmann) zunächst in einer christologischen These, nämlich in der Überzeugung, in der Auferstehung Jesu Christi habe Gott seine eschatologische Herrschaft angetreten. Damit ist nach P. jetzt, hinter der vordergründig weiterlaufenden Geschichte als einer sprituellen Realität, die Endzeit verwirklicht. Diese real verwirklichte eschatologische Thronbesteigung Christi findet ihre Verlängerung in der geistlichen Realität der Kirche, die als solche Realität auch eine Rechtsgestalt hat, die quasi verbindlich vorliegt in ihrem Glauben (dem Credo), in ihren Aposteln, in ihren Gottesdiensten und besonders den Sakramenten. Die Leistung dieses Buches besteht darin, dass es das Denken von P. überhaupt in vielen Facetten vorstellt. Seine historischen, exegetischen, hermeneutischen und systematischen Konzeptionen werden dargeboten. Und diese verdienen sehr wohl, endlich beachtet zu werden.

Weswegen wird uns P. hier vorgelegt? Soll den Protestanten damit der rechte Weg, nämlich der der Konversion zur römischen Kirche, nahe gelegt werden? Mit seinem Schlussbeitrag möchte K. Lehmann diesem Eindruck wohl etwas entgegentreten. Abgrenzung der Kirche und damit die Konversion bleiben grundsätzlich notwendig. Es reicht nicht, wenn sich die Kirchen bescheinigen, dass sie über die zentralen Konfliktpunkte nicht mehr uneins seien und dabei "die Grenzen zwischen ihren Gemeinschaften ganz und geradezu fließend halten". Vielmehr gilt es, "die Einheit der Kirche mit allen Kräften weiter voranzutreiben und die bestehenden Fragen durch konkrete Vereinbarungen einer Lösung entgegenzuführen" (335).

Die verschiedenen Einzelbeiträge des Bandes können in diesem Umfang nicht referiert werden. Besonders aufschlussreich fand ich die Arbeiten von B. Nichtweiß (zur Übersicht über P.s Denken). Ch. Markschies zeigt die ursprüngliche Verwurzelung von P. in der Religionsgeschichtlichen Schule auf, weist auf historische Einsichten von P. hin, aber auch auf Mängel seiner Konzeption. Die exegetischen Beiträge (von F. Hahn, E. Lohse, K. Scholtissek und K. Berger) liefern interessante Analysen. Dabei wendet man sich kritisch vor allem gegen P.s Aussagen über Israel. Ich gestehe, dass P. hierin m. E. weit mehr dem Neuen Testament entspricht als seine Kritiker. Gute Analysen bieten auch die Beiträge von T. Ervens (über das Verständnis von Vernunft und Offenbarung in der frühen Thomas-Vorlesung von P.), von S. Dückers (sehr aufschlussreich) über P.s Verständnis der Mystik und von K. Anglet (über das Eschatologieverständnis). Sorgfältig und aufschlussreich sind auch die beiden Arbeiten von H. Maier und W. Löser über P.s Stellung zum "Dritten Reich". Die Beziehungen P.s zu Frankreich und seine Rezeption in Italien werden von B. Nichtweiß aufgezeigt bzw. (kundig und ausführlich) von G. Caronello untersucht.

So viel dieser Band in der Analyse leistet, so wenig allerdings in der sachlichen Auseinandersetzung. P. proklamiert eine Historie unter Voraussetzung des christlichen Glaubens. Seine Methode will (gleichwohl!) zuerst das Objektive, will die Phänomene zur Geltung bringen. Dennoch ist unübersehbar, wie sehr er selbst höchst eigenmächtig über seine Quellen verfügt (vgl. z. B. seine Deutung der Mystik). - P. nimmt zum zentralen Ausgangspunkt seiner Theologie die in Christus erfolgte eschatologische Thronbesteigung. M. E. liegt darin auch eine entscheidende Wahrheit. Aber sie wird nicht hinreichend historisch begründet. Auch wird ihr Inhalt einseitiger bestimmt als im Neuen Testament (nach dem Christus zwar gewiss in seiner Auferstehung den eschatologischen Sieg erringt, aber dies in eins gesetzt ist mit seinem Kreuzestod, der die Sünden der Welt trägt). - Inwiefern ist dann in der Kirche der Geist Christi real? Beim einzelnen Christen identifiziert P. die Rechtfertigung vollständig mit der Erneuerung (wie dies dem Pietismus, aber auch Schleiermacher, aber auch der tridentinischen Lehre entspricht). Paulus hingegen unterscheidet scharf zwischen dem, was wir durch den Glauben als Rechtfertigung jetzt schon haben (vgl. Röm 3 und 4), und dem "Leben" der Auferstehung, um das wir jetzt erst noch kämpfen müssen (Röm 5-8). Entsprechend wird man aber auch beim geistlichen Sein der Kirche unterscheiden müssen zwischen der Gegenwart Christi in ihr und zwischen ihrem Leben, das dahinter immer auch zurückbleibt.