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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

564–566

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Prodi, Paolo, und Wolfgang Reinhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Konzil von Trient und die Moderne.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2001. 453 S. gr.8 = Schriften des Italienisch-Deutschen Instituts in Trient, 6. Kart. ¬ 92,00. ISBN 3-428-10641-5.

Rezensent:

Bernhard Schneider

1995 jährte sich die Eröffnung des Trienter Konzils zum 450. Mal. Dieses Jubiläum bot den Anlass, um bei der 38. Studientagung des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient über einen Gegenstand neu nachzudenken, der nicht gerade als bevorzugtes Objekt der neueren Forschung gelten kann. Die Ergebnisse dieser Studientagung wurden in italienischer Erstveröffentlichung bereits 1996 vorgelegt, der hier anzuzeigende Band bietet sie nun durchgehend in deutscher Sprache.

Der Band vereinigt 18 Beiträge aus der Feder von zehn italienischen und sieben deutschsprachigen Autoren. Mit Louis Châtellier komplettiert ein französischer Historiker diese Reihe, der neben bereits arrivierten auch jüngere Forscher/Forscherinnen (überwiegend Historiker und Kirchenhistoriker) angehören.

Gegenstand ihrer Überlegungen sollte nach einer von Jedin inspirierten Bemerkung Paolo Prodis (8) nicht das kirchliche Ereignis als solches sein, sondern dessen Verzahnung mit den wesentlichen historischen Entwicklungen dieser Epoche. Die Beiträge sollen den Platz des Konzils in jenem Prozess bestimmen, der mit dem nicht unumstrittenen Begriff "Modernisierung" bezeichnet wird. Die Bezugnahme auf diese Theorie verwundert nicht, hat Wolfgang Reinhard doch schon 1977 gefragt, ob die so genannte Gegenreformation als Modernisierung verstanden werden dürfe. Moderne wird dabei von Reinhard im vorliegenden Band als der gesellschaftliche Zustand der westlichen Welt im 19./20. Jh. verstanden, Modernisierung im Anschluss an Parsons u. a. als ein aus verschiedenen Komponenten bestehender Weg dorthin.

Zunächst können diese Fragestellung und die im Titel greifbare Verbindung des Konzils von Trient mit dem Etikett Moderne irritieren. Der Ruf, ein Konzil der Moderne gewesen zu sein, haftet diesem Konzil gemeinhin nicht an. Den Veranstaltern war dieser Hintergrund durchaus bewusst. Zum anderen betonte man in den Diskussionen und Entscheidungen des Konzils ja auch tatsächlich immer wieder den Willen, gegen die "Neuerer" die überkommene Tradition zu verteidigen. Hubert Jedin konnte es daher als "konservativ" im Sinne von bewahrend charakterisieren. Fakt ist aber auch, dass in den Konzilsdiskussionen und bei der Konzilsrezeption der Vorwurf laut wurde, die Konzilsbeschlüsse verletzten die Tradition und wohlerworbene alte Rechte. Eine beinahe paradoxe Situation, aus der Reinhard mit seiner Unterscheidung von absoluter und relativer Modernisierung sowie von intendierten und nicht-intendierten Wirkungen einen m. E. perspektivenreichen Ausweg gewiesen hat (26 f.). Relative Modernisierung ist Antwort auf die Zeitbedürfnisse ("aggiornamento"), absolute Modernisierung der Beitrag zum historischen Prozess von Differenzierung, Individualisierung, Rationalisierung und Disziplinierung.

Die meisten Beiträger folgen dieser Spur. Dabei wird ein weites Feld beschritten. Paolo Prodi vermag in der Struktur des Konzils, im Scheitern der Fürstenreform auf dem Konzil und in der Konzentration auf die Seelsorge den Beitrag zur Moderne als Abschied von der einheitlichen "res publica christiana" und als wenigstens indirekte Ausweisung einer Abgrenzung von Kirche und Staat plausibel zu machen. Konrad Repgen fragt nach dem Verhältnis von Reich und Konzil, gibt sich aber betont kritisch gegenüber der Modernisierungstheorie und stellt entsprechend auch kaum darauf ab (43-77). Dass das im 16. Jh. geschaffene Reichsreligionsrecht eine substantielle Neuerung war, die gerade nicht mit dem Konzil in Verbindung stand, wird sehr deutlich. Umberto Mazzone vergleicht die Versammlungs- und Kontrolltechniken, die beim Konzil zum Einsatz kamen, mit den zeitgenössischen Verfahren im staatlichen Bereich (besonders im englischen Parlament oder den französischen Generalständen; 79-106), arbeitet dabei etliche bemerkenswerte Parallelen heraus, doch bleibt die Zuspitzung auf die Modernisierungsproblematik in den Schlussfolgerungen vage.

Die Beiträge von Louis Châtellier zur Erneuerung der Seelsorge und der Gesellschaft (107-123) und Wolfgang Brückner zur Neuorganisation der Frömmigkeit des Kirchenvolks (147-173) lassen das Konzil hinter sich und behandeln die nachtridentinische Epoche. Beide Beiträge lesen sich als kompakte Summe zahlreicher Studien der beiden Autoren. Châtellier vermag insbesondere auch den Beitrag der Laien zu verdeutlichen und damit das Bild einer durchgängigen Klerikalisierung etwas zu relativieren, ohne indes den bedeutenden Einfluss insbesondere der neuen Orden zu negieren. Bei Brückner nimmt die Auseinandersetzung mit Forschungstendenzen der vergangenen Jahrzehnte einen breiten Raum ein. Er bestimmt das Profil der nachtridentinischen Zurichtung der Frömmigkeit als "Erneuerung durch selektive Tradition" (148). Am konkreten Beispiel der nachtridentinischen Heiligenverehrung spinnt Peter Burschel diesen Faden weiter (241-259). Er ergänzt Brückners These durch den Nachweis, dass nicht nur eine Selektion unter den "alten" Heiligen durchgeführt wurde, sondern die reaktivierten "alten" Heiligen in ihrer Stilisierung z. T. bedeutenden Transformationen unterworfen waren. Bereits in dieser Umformung erkennt Burschel Momente relativer wie absoluter Modernisierung. Darüber hinaus wurden mit den "neuen" Heiligen (Ignatius; Karl Borromäus usw.) Lebensmodelle transportiert, die noch deutlicher solche Elemente aufweisen. Die nachtridentinische Heiligenverehrung könnte demnach "ein soziales, kulturelles und psychologisches Laboratorium der Moderne" gewesen sein (259). Burschel scheint freilich jene Momente zu übersehen, die auch bei den "neuen" Heiligen quer stehen zu einer gradlinigen Vereinnahmung für den Modernisierungsprozess (die Bedeutung von Kontemplation und Mystik trotz betonter Weltzuwendung im Apostolat).

Die in den Diskussionen zur frühneuzeitlichen Konfessionalisierung viel beachteten Momente sozialer Kontrolle und Disziplinierung finden in den Beiträgen zur Beichte (Adriano Prosperi), zum Duellverbot (Giancarlo Angelozzi) und den Visitationen (Angelo Turchini; Cecilia Nubola; beide sehr ausführlich, das Thema Visitation sehr systematisch entfaltend) breite Beachtung. Auch hier geht es meist um die nachtridentinische Phase und weniger um das Konzil selbst. Sowohl bei den Duellen wie den Visitationen werden Parallelen zu zeitgleichen staatlichen Bemühungen sichtbar, der Beitrag zur relativen wie absoluten Modernisierung ist überzeugend dokumentiert, trotz der von Nubola zu Recht betonten Probleme bei der praktischen Realisierung der kirchlichen Visitationen. Das Beispiel Duellverbot vermag anschaulich zu zeigen, wie ein schwammig formulierter Konzilstext, der wenig Neues enthält, in seiner viele Generationen übergreifenden Rezeption einen Beitrag zur Modernisierung entfaltet, der keineswegs intendiert war (Gewaltmonopol des Staates). Anne Conrad stellt bereits im Titel ihres Beitrags (325-341) zur Bedeutung des Konzils für die Entwicklung kirchlicher Frauenrollen die Ambivalenz heraus. In den expliziten Aussagen retardierend, hat das Konzil wegen der von ihm mit ausgelösten Reformimpulse zugleich neue Perspektiven für kirchlich engagierte Frauen eröffnet. Direkter greifbar sind Elemente der Modernität in der vom Konzil von Trient vorgenommenen Positionierung der Ehe, denen Gabriella Zarri eindrucksvoll nachspürt (343-379). Beiträge zum Galilei-Konflikt (Volker Reinhardt mit einer spannenden Interpretation), zu Tommaso Bozio (Carlo Ponti) und zur Wahrnehmung des Konzils im Denken der Kanonistik des 19. und 20. Jh.s (Romeo Astorri) folgen.

Wie auch immer man im Einzelnen zum Modernisierungskonzept stehen mag, so muss doch unbedingt konzediert werden, dass der spezifische Ansatz des Bandes nicht nur reizvoll ist, sondern sich insgesamt bewährt und zu einer Fülle von Ergebnissen geführt hat, die auch unabhängig von ihrer Einbindung in diese Makrotheorie die Forschungen zur Konzilsgeschichte und zur Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit bereichern. Dass das Konzil von Trient mit seinen Texten einen besonders prominenten Platz im Modernisierungsprozess beanspruchen darf, wird man auch nach der Lektüre nicht annehmen wollen (ebenso wenig wie die Herausgeber). Seine nur relative Bedeutung selbst für Reformen auf katholischer Seite steht ebenso klar vor Augen wie seine Ambivalenz (anschaulich demonstriert von Klaus Ganzer). Die vielfältig modernisierende Wirkung - gewollt und mehr noch ungewollt -, kann nach Kenntnis der Beiträge jedoch keinen Zweifeln unterliegen.