Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2003

Spalte:

434–437

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Bubmann, Peter

Titel/Untertitel:

Fundamentalethik als Theorie der Freiheit. Eine Auseinandersetzung mit römisch-katholischen Entwürfen.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1995. 383 S. 8 = Öffentliche Theologie 7. Kart. ISBN 3-579-02022-6.

Rezensent:

Christoph Hübenthal

In gewisser Weise schließt diese schon etwas ältere, von Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber betreute Heidelberger Dissertation an die verdienstvolle Arbeit von Wolfgang Nethöfel an, der die evangelische Ethik bereits Mitte der achtziger Jahre in ein intensives Gespräch mit prominenten Ansätzen der nachkonziliaren katholischen Moraltheologie zu bringen versuchte. Während Nethöfels Arbeit jedoch eher genetisch-rekonstruktiv angelegt war und vor allem eine Übersicht über die jüngsten Lehrentwicklungen im katholischen Bereich bieten wollte, verfolgt B. von vornherein ein systematisches Interesse. Ihm geht es um einen Beitrag zur theologisch-ethischen Grundlagendiskussion, die seiner Ansicht nach nur als Auseinandersetzung um ein angemessenes Verständnis christlicher Freiheit geführt werden kann. Da diese Diskussion nicht innerhalb konfessioneller Grenzen verbleiben soll, sondern letztlich eine "ökumenisch orientierte" Ethik zum Ziel hat, erhofft sich B. gerade vom "Gespräch mit römisch-katholischen Entwürfen zur Fundamentalethik wesentliche Impulse" (22).

Als Ausgangspunkt dient ihm zunächst die im Rahmen einer pneumatischen Offenbarungstheologie entwickelte christozentrisch-analogische Freiheitsethik Karl Barths (32 ff.). Sie will B. zwar nicht als "Normalinterpretation evangelischer Ethik" verstanden wissen, die den katholischen Positionen dann einfach entgegenzusetzen wäre. Dennoch lässt der weitere Gang der Arbeit deutlich erkennen, dass B. zumindest am Paradigma einer in erster Linie dogmatische Gehalte explizierenden Ethik unbedingt festhalten will. Auffällig ist jedenfalls die von ihm ausdrücklich vertretene These, ethische Urteilsfindung sei im Wesentlichen als "Analogiebildung" zu betrachten (81 f.). Damit scheint er sich - trotz der gegenüber Barth geäußerten Bedenken wegen der unzureichenden Bestimmung des Subjekts, des Ortes sowie der wissenschaftlichen Basis und der Kommunikabilität ethischer Urteilsfindung - letztlich doch dessen Lehre von der "analogia fidei" anschließen zu wollen. Dieses Theologumenon stand bei Barth bekanntlich für die Auffassung, dass es zwar auch außerhalb der Offenbarung "Lichter" der Erkenntnis geben könne, deren Analogie zur göttlichen Wahrheit sei jedoch nur vom Glauben her einzusehen. Der theologischen Ethik komme deshalb grundsätzlich eine kriteriologische Funktion gegenüber der philosophischen Ethik zu; ja, letztlich sei diese von jener sogar zu "annektieren" (45).

Wie für Barth, so hat alle ethische Urteilsfindung auch für B. ihren Ursprung in der Freiheit Gottes, die in der geistgewirkten Vergegenwärtigung des Christusgeschehens menschliche Freiheit zuspricht und deren Vollzug als Analogiebildung im erwähnten Sinne überhaupt erst möglich macht. Viel deutlicher als Barth anerkennt B. jedoch die epistemologischen Probleme, die mit einer solchen Position verknüpft sind. Entscheidend ist nämlich die Frage, gemäß welcher Logik sich die analogische Erkenntnisgewinnung im Bereich des Ethischen vollzieht. Vor dem Hintergrund des neuzeitlichen Selbstverständnisses findet diese Frage im Autonomiegedanken eine weitere Zuspitzung (72 f.).

Genau diese erkenntnis- und freiheitstheoretischen Probleme sind es nun, über die sich B. nähere Aufklärung von ausgewählten katholischen Positionen erhofft. Nach einer souveränen Skizze neuerer moraltheologischer (83 ff.) und sozialethischer Entwicklungen (121 ff.) wendet er sich dem Werk Klaus Demmers zu (133 ff.). Dabei macht er deutlich, dass dort das neuzeitliche Selbstverständnis vor allem in Form einer von Heidegger inspirierten transzendentalphilosophischen Hermeneutik Aufnahme findet, die Freiheit und Wahrheit als Öffnung für das Sein versteht, das sich dem Menschen vorgängig bereits zugeschickt hat und im verstehenden Nachvollzug angeeignet oder auf seine praktischen Konsequenzen hin ausgelegt werden kann. Wird diese Zuschickung mit dem göttlichen Sein identifiziert und die durch sie erwirkte Öffnung, wie etwa bei Karl Rahner, zu einem die Möglichkeitsbedingung aller Offenbarungserkenntnis bildenden "übernatürlichen Existential" erklärt, dann lassen sich daraus auch die Grundzüge einer transzendentaltheologischen Existenzialethik gewinnen. Demmer jedenfalls schließt nach B. genau an diese Vorgaben an und versteht die ethische Urteilsbildung als praktische, die sittliche Vernunft und wissenschaftliche Erkenntnisse miteinbeziehende Explikation einer sich dem vorgängigen Gnadenzuspruch verdankenden Grund- und Lebensentscheidung. An diesem Ansatz kritisiert B. die auch von anderen in letzter Zeit immer wieder bemängelte strebensethische Engführung, die seiner Ansicht nach einer "Ergänzung und Korrektur durch Theorien der Intersubjektivität, der Geschichte wie der Gesellschaft" bedarf (240).

Interessanterweise erhofft sich B. diese Ergänzungen und Korrekturen zunächst nicht von theologisch-ethischen Ansätzen, sondern von einer praktischen Fundamentaltheologie, wie sie von Johann Baptist Metz vorgelegt (241 ff.) und dann von Helmut Peukert (288 ff.) sowie Edmund Arens (295 f.) in verschiedene Richtungen weiterentwickelt wurde. Im Rahmen der Politischen Theologie von Metz tritt die neuzeitliche Erkenntnis- und Freiheitstheorie vor allem in einer ideologiekritischen Variante auf. Die Freiheitsgeschichte des individualisierten Subjekts wird hier als Herrschaftsstreben entlarvt und einem christlichen Verständnis gesellschaftlicher Praxis und Freiheit gegenübergestellt. Allerdings, so bemerkt B. kritisch, bleibe gerade der praktische Anspruch dieses Ansatzes insofern ungeklärt, als "das Verhältnis der Politischen Theologie zur Ethik bisher nicht hinreichend verdeutlicht wurde" (286). In Peukerts Versuch, die Politische Theologie mit einer tragfähigen theoretischen Grundlage zu versehen, indem wissenschafts- und handlungstheoretische Begründungserfordernisse einer Theorie kommunikativen Handelns überantwortet werden, die sich ihrerseits jedoch als aporetisch erweist und daher für eine theologische Weiterführung offen ist, wird die Brücke zwischen praktischer Fundamentaltheologie und Ethik geschlagen. An dem damit aufgerufenen diskursethischen Paradigma kritisiert B. jedoch die einseitig normative Orientierung. Für die erforderliche "kommunitaristische" Ergänzung soll deshalb Arens' Entwurf einer "Christopraxis" stehen. Mit einer Rekonstruktion von Hans-Joachim Höhns Entwurf einer christlichen Sozialethik, die als kreative und weiterführende Synthese aus Vorgaben der Politischen Theologie, der Diskursethik und der katholischen Soziallehre auch ästhetische, schöpfungs- und trinitätslogische Aspekte miteinbezieht, beendet B. seine Auseinandersetzung mit den katholischen Ansätzen (299 ff.). Kritisch wird gegenüber Höhn angemerkt, er vernachlässige die Bedeutung der kirchlichen Gemeinschaft bei der ethischen Urteilsbildung und reflektiere zu wenig auf die innerkirchlichen Konsequenzen des zugrundegelegten Freiheitsbegriffs.

Vor dem Hintergrund der genannten sowie auch einiger nur en passant erwähnter theologischer Positionen erstellt B. dann eine Typologie verschiedener neuzeitlicher Freiheitsbegriffe (transzendentalphilosophisch, bürgerlich-liberal, hegelianisch, existenzial-hermeneutisch, emanzipatorisch und transzendentalpragmatisch) (330 ff.). Sie alle, so meint er, könnten als "einander ergänzenden Modelle" innerhalb des christlichen Freiheitsverständnisses aufgefasst werden (333). Insofern ist es dann auch konsequent, wenn er selbst zum Schluss eine vielgestaltige fundamentalethische Theorie der Freiheit skizziert, die drei Ebenen (transzendentale, praktische, reale), zwei Grundaspekte (Ermächtigung und Befreiung), drei Dimensionen (Bewusstsein, Leiblichkeit, Zeitlichkeit) sowie vier Relationen (Gottesbezug, Bezug zum Mitmenschen, Selbstbezug, Umweltbezug) ausweist (337 ff.).

Alles in allem macht gerade dieses trotz seiner Vielgestaltigkeit doch auffällig harmonistische Freiheitsverständnis auch auf die Schwierigkeiten des vorgelegten Entwurfs aufmerksam. Es ist ja keineswegs so, dass alle modernen Freiheitstheorien ohne weiteres in einem gemeinsamen Konzept zu integrieren oder auch nur in Übereinstimmung zu bringen wären. Die von B. zu Recht erhobene und auch auf katholischer Seite noch viel stärker zu berücksichtigende Forderung nach einer Theorie der Freiheit als Grundlage der theologischen Ethik müsste daher zunächst die philosophischen Freiheitsbegriffe auf ihre interne Plausibilität hin überprüfen, bevor über wechselseitige Vereinbarkeiten und Ergänzungen nachgedacht werden kann. In jedem Fall wäre als Resultat ein philosophisch streng zu Ende reflektiertes und konsistentes Verständnis von menschlicher Freiheit zu fordern, wenn doch das bloße Faktum einer bestimmten neuzeitlichen Freiheitsvorstellung an sich noch kein Anrecht auf ihre theologische Rezeption begründet. In einem weiteren Schritt wäre dann allerdings auch zu fragen, ob die auf einem solchen Freiheitsbegriff gründende ethische Urteilsfindung tatsächlich noch als Analogiebildung im Barthschen Sinne verstanden werden muss, oder ob sie nicht doch in eine Eigenständigkeit entlassen wird, in der sich dann die menschliche Freiheit auch von Gottes Offenbarung erst wirklich selbst bestimmen lassen kann.

Trotz oder gerade wegen dieser Anfragen bleibt B.s fundamentalethischer Entwurf ein ausgesprochen gut informiertes Gesprächsangebot, dem daher auch zu wünschen ist, dass möglichst viele Ethikerinnen und Ethiker aus allen christlichen Konfessionen auf dem Weg zu einer wahrhaft ökumenischen Ethik darauf eingehen.