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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

304–307

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Weitenhagen, Holger

Titel/Untertitel:

Evangelisch und deutsch. Heinz Dungs und die Pressepolitik der Deutschen Christen.

Verlag:

Köln: Rheinland-Verlag 2001. XXIV, 549 S. m. 1 Porträt. 8 = Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, 146. Geb. ¬ 25,00. ISBN 3-7927-1837-5.

Rezensent:

Thomas A. Seidel

Im Jahre 1999 wurde die vorliegende Arbeit von der Evangelischen Fakultät der Universität Bonn unter dem Titel "Vom Weckruf zur Nationalkirche: Heinz Dungs und die Pressepolitik der Deutschen Christen" als Dissertation angenommen. Sie verdankt ihre wesentlichen Ingredenzien der so genannten "Giftküche" des Landeskirchenarchivs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen. Dieser nach 1945 "als Verschlusssache" behandelte Bestand enthält die Akten der ehemaligen Weimarer DC-Presse- und Nachrichtenstelle. Dem Engagement des Archivleiters Heinz Koch ist es danken, dass dieser Bestand ab 1990 gesichtet und "... nach dem bereits vorhandenen Aktenplan des früheren Leiters der ... Pressestelle, Pfarrer Heinrich (Heinz) Dungs (1898-1949), im neuen Magazin [der umgebauten Kreuzkirche in Eisenach] deponiert" wurde [vgl. Heinz Koch: Quellen zur Geschichte der Deutschen Christen in Thüringen. In: Thüringer Gratwanderungen. Beiträge zur fünfundsiebzigjährigen Geschichte der evangelischen Landeskirchen Thüringens, hrsg. von Thomas A. Seidel. Leipzig 1998, 256 ff.]. Sieht man von dem - nur am Rande thematisierten - Problem einer möglichen "interessengeleiteten Quellenregulierung" durch den vormaligen DC-Presseleiter Dungs ab, so hat dem Vf. doch eine beachtliche und einzigartige Materialfülle zur Untersuchung vorgelegen. Stoff genug, um Einblicke in einen Sektor des kirchlichen Handelns während Zeit des Nationalsozialismus zu gewinnen, der bislang im Verborgenen lag: dem der DC-Pressearbeit im Allgemeinen und der im Rheinland, in Bremen und in Thüringen im Besonderen.

Mittlerweile hat eine auf Veranlassung der epd-Chefredaktion erfolgte Recherche an den Tag gebracht, dass die dem Vf. gegebene Auskunft, sämtliche relevanten Unterlagen des Evangelischen Preßverbandes (EPD) und seiner Nachfolgeorganisationen aus der Zeit vor 1945 seien zerstört oder unauffindbar, offenbar nicht der Wahrheit entsprach. [vgl. epd-medien, Nr. 48, Volker Lilienthal: Lüpsens Legende. Ende einer Zwecklüge: das angebliche NS-Verbot des epd 1937]. Der damit möglich gewordene Vergleich der Quellen und der aus ihnen gezogenen Erkenntnisse lässt auf weitere Forschungen hoffen. Die vom Vf. in sorgfältiger Weise vorgenommene Beschreibung der Rolle der Pressverbände, insbesondere die der "Schlüsselfigur" August Hinderer, könnte somit eine noch genauere historische Einordnung erfahren.

Im Zentrum der Untersuchungen steht der rheinländische Pfarrer Heinz Dungs, den der Vf. als "den erfolgreichsten Pressemann der DC" apostrophiert. 1933 hatte er in Krefeld die Schriftleitung eines DC-Gemeindeblattes übernommen und schon 1937 wurde er von Siegfried Leffler zum Presseleiter der "reichsweit" agierenden Nationalkirchlichen Bewegung "Deutsche Christen", mit Sitz in Weimar, berufen. Als im Mai 1941 - aus "kriegswirtschaftlichen Gründen" - die gesamte kirchliche Presse stillgelegt wurde, habe Dung "... in Kriegszeiten noch eine Zeitschriftengesamtauflage von über 100.000 nachweisen" (1) können. Dass sich der Vf. der Faszination dieses "leistungsstarken und selbständigen Mannes" (427) nicht entziehen konnte, zeigt eingangs bereits der großformatige Abdruck seines Konterfeis, das an anderer Stelle und etwas kleiner den m. E. unangemessenen Charakter einer Festschrift eingeschränkt hätte. Andererseits ist dieser Faszination eine spannend zu lesende und Zeitkolorit transportierende Lebensgeschichte des Protagonisten zu verdanken. Sie spiegelt die Begeisterungsfähigkeit eines "unauffälligen Lebens" (30 ff.) für die im deutschen Protestantismus nach 1918 weitverbreiteten Ressentiments gegen die "Schóks der Moderne" (Walter Benjamin). Der Vf. benennt sie mit den Stichworten "Antikatholizismus, ... rassisch begründeter Antisemitismus, die Offenbarung Gottes im Geschick der deutschen Nation, der Wille zur [deutschen] Volksmission"; vor allem bei den DC ergänzt und getragen von einer anhaltenden "... gläubigen Begeisterung für die nationalsozialistischen Versprechungen" (45 f.).

Bedeutsam für die zeitgeschichtliche Forschung ist allerdings die detailgenaue Beschreibung der "Stationen deutsch-christlicher Pressepolitik", die der Vf. auf diesem personalen Hintergrund vornimmt. Nach einer Einführung, die - neben methodologischen Überlegungen - die Beschreibung der Zielsetzung, der Quellenlage, des Forschungsstandes und Anmerkungen zum Begriff "Pressepolitik" enthält, folgt die in drei Kapitel gegliederte Untersuchung der beiden mit dem Untertitel genannten Forschungsgegenstände. Relativ kurz gefasste Zusammenfassungen sorgen dafür, dass der Leser den Überblick über die Materialfülle nicht verliert. Die regional und chronologisch übersichtliche Gliederung (Rheinland 1933-36, Bremen 1936/ 37, Thüringen 1937-45) nimmt inhaltlich den Begriff des "Kampfes" auf - eine pathetisch aufgeladene Metapher, die sich im äußeren rechten und linken politischen Spektrum des 20.Jh.s großer Beliebtheit erfreute. Der Abdruck einiger in-teressanter Dokumente, Übersichten über Zeitschriften und deren Auflagen sowie das Quellen- und Literaturverzeichnis inklusive Namensregister sind hilfreich und geben Ausweis über die Gründlichkeit des Vf.s.

Die "abschließende Bewertung" beschreibt "... die Geschichte der Pressepolitik der DC [als] eine Geschichte des Scheiterns". (428) Vier Gründe führt der Vf. dafür ins Feld: das Fehlen eines "etablierten und eingespielten Presseapparates" und eines "theologischen Fundamentes" (im Gegenüber zum kirchenpolitischen Gegner der Bekennenden Kirche!), das Dilemma der DC "... zwischen ihrer festen Bindung an den Nationalsozialismus und dessen Abwendung vom christlichen Glauben" und die "erfolgsmindernden" DC-internen Machtkämpfe und Intrigen. Ungeachtet dessen ist es dem Vf. ein Bedürfnis, "... der ganz persönlichen Leistung von Heinz Dungs als Schriftleiter die gebührende Anerkennung zukommen zu lassen." (429) Denn: "Trotz ihres Scheiterns war die deutsch-christliche Presse Verkündigung für Hunderttausendende von christlichen Lesern." (ebd.)

Bei allem Verständnis für eine unvoreingenommene, nicht-inquisitorische historische Bewertung einer Lebensleistung: Dieser Schlusssatz der vorliegenden Arbeit ist ebenso unbestreitbar wie banal; vielleicht aber auch ein - sicher unbeabsichtigter - Hauch der von Hannah Arendt so genannten "Banalität des Bösen". Mit seinem Fazit scheint dem Vf. ein wenig aus dem Blick geraten zu sein, dass die selbstgewählte und gewollte Instrumentalisierung dieser "Verkündigung" für die Weltanschauung der "Bewegung" und ihres "Führers" dazu beigetragen hat, dass nach ihrem "Scheitern" die Länder Europas buchstäblich in Schutt und Asche lagen und Millionen von Kriegstoten, ermordeten Juden und anderen "Nicht-Artgemäßen" oder politischen Gegnern zu beklagen waren; ganz abgesehen von den unzähligen Vertriebenen, die 1945 ums Überleben rangen und in den Kirchen ein Stück verlorener Heimat suchten.

In summa: Die material- und kenntnisreiche Arbeit des Vf.s ermöglicht vielfältige Einsichten in getrennte und überlappende protestantische Arbeits- und Lebenswelten des "Dritten Reiches". Sie bietet interessante Anknüpfungspunkte für die territorialkirchengeschichtliche Arbeit, insbesondere für die in Thüringen. Die Fixierung auf eine Person und deren DC-kirchenpolitische Aktivität führt jedoch zu eigentümlichen Blickverengungen. Die im deutschen Protestantismus des 20. Jh.s zu beobachtende Tendenz zur "Sakralisierung der Politik" (Kurt Nowak) bzw. "Politisierung der Religion" (Hans Maier) - von den Deutschen Christen "idealtypisch" vorgeführt - wird kaum problematisiert. Die zeitgeschichtliche Aufgabe, mögliche "Ursachen, Folgen und Nebenwirkungen jener Theologieschwäche und mangelhaften politischen Urteilskraft während der ersten deutschen Diktatur genau und trennscharf zu analysieren, um auf diese Weise zu einer schriftgemäßen, lebensdienlichen Verkündigung und "wirklichen Grundlage kirchlicher Pressearbeit" (429) beizutragen, wird durch den Vf. nicht ausreichend gelöst- damit allerdings auch herausgefordert.