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Ausgabe:

März/2003

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Turner, John D.

Titel/Untertitel:

Sethian Gnosticism and the Platonic Tradition.

Verlag:

Louvain-Paris: Peeters; Québec: Les Presses de l'Université Laval 2001. XIX, 842 S. gr.8 = Bibliothèque copte de Nag Hammadi. Section Études, 6. Kart. ¬ 80,00. ISBN 90-429-1088-7 u. 2-7637-7834-8.

Rezensent:

Roland Bergmeier

Das umfangreiche Buch ist hervorgegangen aus der über drei Jahrzehnte sich erstreckenden Tätigkeit seines Vf.s "as an editor, translator, and interpreter of various treatises of Nag Hammadi Library" (XVII)1. In der Gefolgschaft von H.-M. Schenke erachtet T. mindestens 142 der 53 original gnostischen Traktate aus der Nag-Hammadi-Bibliothek als dem sethianischen Typ des Gnostizismus zugehörig (53.60-63) und differenziert dieselben nach "Treatises Employing the Descent Pattern" (80 f.93-108) - das sind, in chronologischer Reihenfolge, The Apocryphon of John ("four copies in two versions: short [BG 8502,2; NHC III,1]; long [NHC II,1; IV,1]") [= AJ], The Trimorphic Protennoia (NHC XIII,1) [= Protennoia], Melchizedek (NHC IX,1), The Apocalypse of Adam (NHC V,5) [= ApkAd], The Holy Book of the Invisible Spirit, üblicherweise The Gospel of the Egyptians (NHC III,2; NHC IV,2), The Hypostasis of the Archons (NHC II,4), The Thought of Norea (NHC IX,2) - und "Treatises Employing the Ascent Pattern" oder auch "Platonizing Sethian Treatises" (81-84, 108-125), nämlich Zostrianos (NHC VIII,1), Allogenes (NHC XI,3), The Three Steles of Seth (NHC VII,5) und Marsanes (NHC X,1). Die Frage nach den Beziehungen zwischen dem sethianischen Gnostizismus und dem Platonismus stellt den Kern der Untersuchung dar. Sie gliedert sich, wie folgt: In einem einführenden Kapitel wird auf unterschiedliche forschungsgeschichtliche Perspektiven, in denen die Beziehungen zwischen Gnostizismus und Platonismus bisher wahrgenommen wurden, ein Blick geworfen (1-54). Die Studie selbst entfaltet sich dann in drei Hauptteilen. Teil I "Sethian Gnosticism" entwirft eine detaillierte Geschichte der sethianischen Gnosis, ihrer Voraussetzungen und ihrer vorliegenden Quellen (55-301). Teil II "The Platonic Tradition" ist der Versuch "to trace out the development of Platonic speculation on first principles from Plato through the Platonic-Neopythagorean literature of the first three centuries of the common era" (305), ergänzt durch die Frage nach den Spekulationen über "Body, Soul, and Knowledge of God in Platonism" (447-495). Entsprechend behandelt Teil III "The Platonizing Sethian Treatises" (497-744), dann auch Beziehungen zwischen platonisierenden sethianischen Traktaten und Texten mittel- und neuplatonischer Herkunft. Der Schluss "The Development of Sethian Religion" wiederholt im Grunde, was in Teil I schon vorgestellt worden war. Eine relativ schmale Bibliographie (761-788) und Indices über "subjects" und Stellen (789- 842) beschließen das Buch.

Im Ergebnis stellt sich die beschriebene Geschichte der sethianischen Gnosis nach folgendem Muster dar: "While most British and French scholarship on Sethianism tends to characterize Sethianism as a form of Christian heterodox speculation, most German and American scholarship on Sethianism has characterized its origins, essence and fabric as a distinctly inner-Jewish, albeit syncretistic and heterodox, phenomenon. In addition, an increasing number of scholars have been led to recognize Sethianism's considerable debt to Middle Platonic philosophy, overwhelmingly apparent in the Platonizing Sethian treatises, but readily apparent also in the earlier treatises of the descent pattern" (257). Erwachsen aus vorchristlich-gnostischem Taufsektenmilieu am Rande des Judentums entstand der Sethianismus selbst noch vor der christlichen Gnosis des 2. Jh.s und durchlief in sechs Phasen eine Makroentwicklung, wie sie H. Jonas schon für die Gnosis überhaupt ins Auge gefasst hatte:3 von der mythologischen Erscheinungsform zur philosophischen Gestalt, eine Geschichte von Innovationen, wenn auch ohne konsistenten Trägerkreis: "My own analysis of the redaction of individual treatises and of the interdependencies among them implies a definite evolution in Sethianism as it moves sociologically from an identity initially distinct from Christianity, to rapprochement with Christianity, to alienation from Christianity, to association with Platonic circles, and to eventual alienation even from these." Aber, das räumt T. ein, "the significant diversity among the Sethian texts as a whole" kann nicht schlüssig einer Bewegung zugeschrieben werden (750 f.). So gesehen könnte der Vergleich zwischen Sethianismus und Simonianismus (260), anders freilich, als T. meint, erhellend sein: Was sich über die Phänomene des 1. Jh.s n. Chr. ermitteln lässt, entbehrt in der Tat der gnostischen Züge, und die philosophisch orientierte Megale Apophasis gehört nur noch scheinbar in die Geschichte des Simonianismus.

Die Untersuchung hinterlässt viele Fragen, wovon einige hier angedeutet werden sollen: 1. Sie stellt, so T., den Versuch dar, einige der komplexen Beziehungen zwischen dem Gnostizismus, speziell dem sethianischen, und dem Platonismus in den fünf Jahrhunderten zwischen 100 v. und 400 n. Chr. zu beschreiben (XVII, 1)4. Die Zeitangabe in dieser Form bezieht sich aber nur auf die Geschichte des Platonismus selbst (5.345), nicht auf die seiner nachgewiesenen oder tatsächlichen Beziehungen zum Gnostizismus. 2. "Sethianism is now the earliest gnostic movement for which we possess a great deal of textual evidence, apparently antedating and forming a partial source for another equally well-documented form of Gnosticism, the Christian school of Valentinus (120-160 CE) and his followers" (747, vgl. 5). Doch die Frage, wie sich Sethianismus und Valentinianismus geschichtlich und sachlich zueinander verhalten, hat T. nicht untersucht und die nach der Bedeutung speziell der valentinianischen Gnosis als eines wichtigen Zwischenglieds "in der vom älteren zum neueren Platonismus reichenden Tradition"5 nicht realisiert. 3. Die bloße Wiederholung, die Vater-Mutter-Kind-Trias von AJ (BG) 29,18-30,6 gehe letztlich auf Platon, Timaios 50D zurück (193.210.252.313.314, Anm. 11, 374.500), erklärt nicht, wie aus dem platonischen ekgonos der gnostische Monogenes geworden ist, und versäumt vor allem die Frage zu klären, wie einerseits die gnostische Trias in die Geschichte der mittelplatonischen Drei-Prinzipien-Lehre6 einzustellen und wie andererseits ihr Verhältnis zu den sog. gnostischen Drei-Prinzipien-Systemen7 zu bestimmen ist. 4. Mindestens ein Dutzend Male verweist T. auf Porphyrios, vita Plotini 16, ohne auch nur einmal das philologische Verständnis der Stelle8 zu erörtern. So bringt er es schließlich fertig, weit weg von der philologischen Basis zu formulieren: "In his Life of Plotinus 16, Porphyry reports that revelations under the name of Allogenes and Zostrianos as well as others were studied and refuted at great length in Plotinus' seminars in Rome ca. 246-268 CE" (709). 5. Trägerkreise, die die sethianische Gnosis des 2. Jh.s vorbereiteten, waren u. a., so T., die "Pre-Sethian Sethites", d. h., "people who understood themselves as the distant offspring of Seth," mit Traditionen wie Josephus, Antiquitates 1 II.3 und "the sort of testamentary literature to be found in the Apocalypse of Moses and versions of the Life of Adam and Eve" (266), die schließlich gnostisch transformiert wurden (267-270, vgl. auch 230-238: "the Sethite Sacred history"). Aber es ist nicht die Aufgabe heutiger Forscher zu zeigen, dass sie das Zeug hätten, gnostische Mythen zu erfinden. Das Gleiche gilt mit Blick auf die eigenartigen Erwägungen zur hellenistisch-jüdischen Weisheitsspekulation (221 ff.), wonach über die jüdischen Sophia-Traditionen gesagt werden könne: "Unfortunately, there is a hidden ambiguity in these Jewish traditions, since wisdom can be understood as both good and bad." So schafft man, was man nicht hat: "roots in a form of heterodox Jewish speculation on the figure of Sophia" (223). Hier wäre ein Blick auf die mittelplatonische Doppelfunktion der Weltseele hilfreicher gewesen.9 6. In Anlehnung an J. M. Robinson präsentiert T. eine Reihe von "striking parallels" zwischen Apk 12,1-17, ApkAd V 77,26-82,19, Mk 1,9-13 und einigen Fragmenten des Hebräerevangeliums, die besagen, dass Apk 12 eine gemeinsame mythische Tradition als Geburtsgeschichte, ApkAd, Mk und Ev Hebr hingegen als Taufgeschichte interpretiert haben (159-162). Man wird "striking" im vorliegenden Fall mit "erschlagend" wiedergeben dürfen. 7. Der ursprüngliche Pronoia-Monolog in AJ II 30,11-31,25, dessen christliche Reminiszenzen (132 f., Anm. 4) literarkritisch so ausgeschnitten werden, dass man in 31, 22-25 einerseits den Numerus des Pronomens ändern muss, dann aber andererseits, gnostisch beurteilt, die Ungeheuerlichkeit produziert, dass die Pronoia die Chaosmächte rettet, gilt als "the initial inspiration and perhaps the direct source for the original composition of the Trimorphic Protennoia" (142). Aus der gleichen Quelle aber schöpften gnostisierende jüdische Täuferkreise und schufen, wie man von R. Bultmann lernen kann, einen Hymnus "composed in honor of the Baptist as the definitive advent of the Logos" (277). So steht also Johannes der Täufer immer noch in den Fluten einer heterodox jüdischen Taufsektenströmung und trägt - wohl aus seinen gnostischen Diensten befreit,10 aber nur vorübergehend -, dem mythischen Atlas gleich, das spekulative Gewölbe einer vorchristlichen Gnosis ganz allein.

Fussnoten:

1) Aufgrund entsprechender Vorarbeiten T.s konnte A. H. B. Logan in RGG4 III, 1054 schon diejenige Sicht des Sethianismus vorstellen, die Gegenstand des vorliegenden Buchs ist.

2) S. 61: "fourteen treatises from the Nag Hammadi Codices (NHC) and one from the Berlin Gnostic Codes (BG 8502)."

3) Gnosis und spätantiker Geist, Göttingen 31964, 85.

4) In dem mir zugegangenen Exemplar ist infolge Wiederholung der Seiten XVII-XX und 1-4 der entsprechende Satz gleich viermal zu lesen.

5) H. J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Platonismus zwischen Platon und Plotin, Amsterdam 1964, 263. Über Krämers Untersuchung referiert T. 29-37.

6) Vgl. H. J. Krämer, a. a. O., 21, 97 mit Anm. 248.

7) Die Gnosis, Bd. 1, unter Mitwirkung von E. Haenchen und M. Krause eingeleitet, übersetzt und erläutert von W. Foerster, Zürich/Stuttgart 1969, 315-399; H. Jonas, Gnosis 335-344.

8) Vgl. z. B. P. Henry, Plotins Standort in der Geschichte des Denkens, in: Die Philosophie des Neuplatonismus, hrsg. v. C. Zintzen, Darmstadt 1977, 118-164: 150-152.

9) Vgl. R. Bergmeier, "Königlosigkeit" als nachvalentinianisches Heilsprädikat, NT 24 (1982) 316-339: 320 f.

10) K. Rudolph, Die Mandäer. I Prolegomena, Göttingen 1960, 66 ff.