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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

264–267

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Khoury, Adel Theodor, u. Georg Girschek

Titel/Untertitel:

Das religiöse Wissen der Menschheit. Bd. 2.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2002. 528 S. gr.8. Geb. ¬ 60,00. ISBN 3-451-26672-5.

Rezensent:

Klaus Hock

Die auf zwei Bände angelegte Veröffentlichung über Das religiöse Wissen der Menschheit ist als großes Werk aus einem Guss konzipiert. Entsprechend knüpft der zweite Band unmittelbar an die bisherigen Großkapitel (1. Mythen von der Schöpfung, 2. Allgemeine Offenbarung in religiöser Weltdeutung) an, und zwar mit dem dritten Buch über Heilsmittler. In einem einleitenden Kapitel klären die Autoren zunächst einige der in diesem Band verhandelten Grundbegriffe und Kategorien: Offenbarung, natürliche und gestiftete Religion, Prophet(ismus), Priester, Medizinmann und Magier sowie heilige Schriften. Das ist hilfreich, denn im Fortgang wird auf diese Grundkategorien immer wieder Bezug genommen. So wollen die folgenden Ausführungen beispielsweise "den Schamanen als typische Gestalt des Propheten bei den Naturvölkern gelten" lassen (17), oder im Zusammenhang mit der Frage nach dem Prophetismus im Christentum die Gestalt Jesu vor dem Hintergrund der allgemeinen Kategorie "Prophet" in differenzierter Weise erfassen, denn hier "überlappen sich ... die im Neuen Testament formulierten verschiedenen Einschätzungen der Gestalt Jesu: Er ist königlicher Messias, prophetischer Messias, politischer Befreier" (82). Das gesamte dritte Buch besteht dann in einer großen Entfaltung der religionsgeschichtlichen "Gestalten, Texte und Wirkungen" in chronologisch-systematischer Ordnung, soweit sie sich durchhalten ließ: Schamanismus, Altägypten (Heilige Schriften) sowie Prophetismus bei den Griechen, im Alten Testament, im Judentum der hellenistisch-römischen Zeit sowie Christentum und Prophetismus einerseits, altiranische Religionen, Manichäismus, Mandäische Religion und Islam andererseits. Hieraus wird ersichtlich, wie der Schwerpunkt - je nach religionsphänomenologischer Differenzierung - einmal mehr auf den Gestalten, ein andermal mehr auf den Texten liegt, wobei in bestimmten religionsgeschichtlichen Phasen beide Aspekte eng miteinander verbunden sind, am deutlichsten wohl im Falle von Muhammad und dem Koran. Zwei Abschlusskapitel des dritten Buches beschäftigen sich nochmals mit der spezifischem Frage der Unterscheidungsmerkmale zwischen echter und falscher Prophetie im Alten Testament und im frühen Christentum. Sie geben dem gesamten Kapitel zugleich eine bestimmte (und bestimmende) Perspektive: Auch Muhammad und der Koran wissen ja um Kriterien wahrer Prophetie, auch hier wird eine Scheidung zwischen echter und falscher Prophetie vorgenommen, wie die Autoren im Text ja auch hinreichend entfalten (161 ff.) - allerdings innerhalb des Kapitels über den Islam und nicht am Ende des dritten Buches.

Heilswege ist das vierte Buch überschrieben. Die Autoren nähern sich diesem Komplex gewissermaßen "von außen nach innen" - vom Allgemeinen, beinahe Formalen, Äußeren, zum Besonderen, Inhaltlichen und Inneren: von der Beschreibung des Heils "in Zeit und Raum" über den Kult als "Heilsgerichtete Handlungen" hin zur Frage der Gottesbeziehung zwischen Gottesferne, Gottesnähe und Vereinigung mit Gott. "Lösungen von unheilvoller Immanenz" ist der letztgenannte Abschnitt überschrieben, und er ist vornehmlich damit befasst, in einer material- und kenntnisreichen Darstellung "Grundmuster" des menschlichen Bemühens aufzuzeigen, durch verschiedene Methoden der Lebenssteigerung und durch den Gewinn göttlicher Gunst aus dem Schatten und der Abhängigkeit von bedrohlichen, unheilvollen Mächten der Immanenz herauszutreten.

In einem abschließenden Teil "Lebenseinheit Gottheit, Mensch und Welt" ziehen die Autoren nochmals Bilanz - nicht nur des vierten Buches, sondern ihrer Gesamtdarstellung des religiösen Wissens der Menschheit. Dabei gehen sie davon aus, dass der Mensch stets im Mittelpunkt eines doppelten Kreises steht: als Mitglied seiner Gesellschaft und als Mitglied der übergeordneten Einheit, die auch diesem Schlusskapitel ihren Namen gegeben hat. In den Religionen der "Naturvölker" sind diese Kreise beinahe deckungsgleich, wobei der Religion eine, sogar die entscheidende Integrationsleitung zukommt. Auf das Spannungsverhältnis zwischen Schöpfung und Gottheit - worüber die Urstandsmythen beredt Auskunft geben - und die daraus resultierende Spannung zwischen (je urzeitlich begründeter) Heilsordnung und Chaos reagieren die Menschen mit dem Versuch, Kosmos zu sichern und Heil zu vergegenwärtigen: im Ritus, insbesondere im Opfer als "menschliche[m] Beitrag zur Bewahrung des Kosmos und seiner Harmonie, schließlich Einsatz zur Sicherung der Gewogenheit übermenschlicher Macht, göttlicher Gunst" (418). Doch die Entwicklung geht weiter und überschlägt sich geradezu dort, wo der Mensch aus seinem Drang nach Nutzung, Steuerung und schließlich Unterwerfung der Natur "[n]ach dem Aufbrechen der Verbundenheit mit der Schöpfung ... sich dem anderen Pol einstiger Lebenseinheit zu[wendet], dem Göttlichen" (420), von dem er seine Unabhängigkeit erklärt und das er verdrängt, bis er schließlich "den Glauben an Bestimmungen, Normen und Modelle ... abgelegt und sich in den Mittelpunkt der Welt gestellt [hat], wo er sich ziemlich mächtig fühlen mag, obgleich ein Spielball seiner selbst" (ebd.). Angesichts der im Verlauf dieses Prozesses den Menschen bedrängenden Aufgaben und Probleme bietet Religion "der Angst des Menschen vor sich selbst und seiner Spezies Heimat und Zuflucht an ... [und] stellt ihn unter die Maxime einer vom transzendenten Gott geschenkten Schöpfungsharmonie" (ebd.).

Auch der zweite Band dieses integralen Werkes über Das religiöse Wissen der Menschheit setzt die Tendenzen des ersten fort: die kenntnisreiche Entfaltung einer Vielfalt religionsgeschichtlicher Beobachtungen, die z. T. recht ins Detail gehen, dabei stets jedoch in klarer und verständlicher Sprache bar allen akademischen Dünkels durch die Religionsgeschichte führen. Doch einige Monita, die den ersten Band betrafen, sind gleichermaßen im Blick auf den zweiten aufrechtzuerhalten, so insbesondere, was die Terminologie betrifft: Dass immer und immer wieder von "Naturvölkern" die Rede ist, bei denen die Autoren auch noch eine "einheitliche Mentalität" (414) zu entdecken meinen, ärgert, zumal damit ein Religionsverständnis einhergeht, bei dem von "weniger entwickelter Religion" (361) die Rede ist, der die "entwickeltere Religion" gegenübergestellt wird, die u. a. "das materielle durch das geistig-sittliche Opfer" ersetzt (380). Selbstverständlich kennt die Religionswissenschaft Entwicklungen der Religionsgeschichte - ob diese aber so verläuft, wie hier bisweilen angenommen zu werden scheint, ist doch mehr als fraglich. Das Gesamtwerk zeigt außerdem, dass das religiöse Wissen der Menschheit - und das heißt auch: die Religionsgeschichte insgesamt - aus einer sehr spezifischen Perspektive wahrgenommen wird: Finden beispielsweise der Manichäismus, der Mandäismus oder der Islam ausführliche Darstellung in eigenen Kapiteln, so kommt etwa der Buddhismus nur am Rande in den Blick - vielleicht deshalb, weil er keine Religion ist? Oder zumindest "Religion" nur in einem eingeschränkten Sinne? Letzteres mag hinsichtlich der Gesamtdarstellung durchaus im Sinne der Autoren sein - denn ihre Kriterien scheinen sich doch vernehmlich aus der abendländisch-christlichen Religionsgeschichte abzuleiten. Immer wieder wird beispielsweise nach "Offenbarung" gefragt, und im Zentrum des Interesses steht "Religion und hierin Glaube" (421).

Die Autoren gehen davon aus, dass sich Religion als Manifestierung "religiösen Glaubens in Theologie, Kult, Ethik und Institutionalisierung" vollzieht; bei aller Unterschiedlichkeit beriefen sich alle Religionen "in ihrem Grund auf die subjektive Erfahrung freier göttlicher natürlicher oder unmittelbarer Offenbarung". Die Frage nach ihrer Wahrheit gebe sich jedoch nicht "mit subjektiver Überzeugung und system-immanenter Legitimation zufrieden, sondern verlangt nach einem allgemeingültigen Maßstab zur Beurteilung des Wahrheitsanspruchs von Glaube und Religion" (422). Dieses Kriterium scheint den Autoren in der "Heilswirksamkeit der Religionen" vorzuliegen, "in der Kompetenz, dem Menschen das ersehnte Heil in allen seinen Dimensionen nahezubringen und aufscheinen zu lassen" (423) - und ein solches Kriterium anzulegen, gehört zur "Aufgabe der Theologie ...: die Religionen an ihrem Anspruch zu messen, zu läutern oder zu entfalten" (ebd.).

Es geht also um - Theologie, und wie sich vermuten lässt, um eine Theologie, die sich mit der Strapazierung des Konzepts der "natürlichen Gotteserfahrung" gegenüber der "Offenbarungsreligion", wie sie das gesamte Werk durchzieht, in ganz spezifischer Weise positioniert. Das ist legitim. Aber, so frage ich mich am Schluss: Was hat das mit Religionswissenschaft zu tun, zumal im Blick darauf, dass das abschließende Kapitel mit dem Titel "Religionswissenschaft und der Anspruch von Religion auf Wahrheit" überschrieben ist? Tatsächlich ist in diesem Abschnitt nur einmal von Religionswissenschaft die Rede: dort, wo es heißt, sie habe "die Frage nach der Stimmigkeit des theologischen Systems zu stellen" (423) - wodurch ihr de facto die Position einer ancilla theologiae zugemessen wird. Damit erweist sich das Vorhaben, das religiöse Wissen der Menschheit unter der Perspektive einer religionsphänomenologischen Betrachtung zu sehen, als explizit theologisches Projekt: Wir haben es mit einer Theologie der Religionsphänomene oder Theologie religiöser Phänomene zu tun. Das ist gleichfalls legitim. Die bereits im ersten Band geäußerte Behauptung jedoch, Religionsphänomenologie vertrete "keinerlei theologische Tendenz" (Bd. I, 15), ist damit ad absurdum geführt, die Religionsphänomenologie selbst in Theologie aufgehoben. Auch das ist legitim - dem Bemühen um eine doch so dringend notwendige Differenzierung von Religion, Theologie, Religionsphänomenologie und Religionswissenschaft allerdings wenig dienlich.