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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1309 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Gäumann, Andreas

Titel/Untertitel:

Reich Christi und Obrigkeit. Eine Studie zum reformatorischen Denken und Handeln Bucers.

Verlag:

Bern-Berlin-Bruxelles-Frankfurt/M.-New York-Oxford-Wien: Lang 2001. 584 S. 8 = Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte, 20. Kart. ¬ 70,00. ISBN 3-906766-75-6.

Rezensent:

Gottfried Seebaß

Der Straßburger Reformator Martin Bucer, an dessen 450. Todestag im vorigen Jahr sogar mit einer Briefmarke der deutschen Post erinnert wurde, erfreut sich nach wie vor der Aufmerksamkeit reformationsgeschichtlich-theologischer Forschung - dies nicht zuletzt auf Grund seines Einsatzes für die Einheit der Kirche. Dabei hat sich die hier vorzustellende, von Gottfried Hammann betreute Dissertation nicht weniger vorgenommen, als eine "Gesamtschau des reformatorischen Denkens und Handelns Bucers und sein[es] Verhältnis[ses] zur Obrigkeit" vorzulegen, "eine kohärente Gesamtdarstellung des Bucerschen Denkens und Handelns im Rahmen seines Umfeldes". Glücklicherweise geht der Vf. dann aber doch so vor, dass er sich vor allem auf das Verhältnis zur Obrigkeit "anhand ausgewählter Probleme" beschränkt.

Die Studie hat einen bestechend klaren Aufbau. Nach einer kurzen Einführung mit Rückblick auf die einschlägigen Arbeiten (1) folgt eine "Einführung in das Leben Bucers und seinen Kontext" (2), wobei eben auf den Kontext besonderer Wert gelegt wird. Hier wird das Leben des Predigers und Superintendenten in die Geschichte der Reichsstadt Straßburg eingezeichnet, wie sie sich auf Grund der neueren Literatur darstellt. Dabei geht es zunächst um den Weg Bucers "vom Flüchtling zum ersten Pfarrer von Straßburg" sowie seine zunehmende Bedeutung für die Straßburger Politik in den dreißiger Jahren. Nach einem kurzen Blick auf sein Wirken für die Reformation in Deutschland folgt dann die Zeit, in der Bucer einerseits mit dem Superintendentenamt den Höhepunkt seiner Straßburger Karriere erreicht, andererseits aber auch die Auseinandersetzungen um Heiligung und Buße in der Stadt sich bis zum Interim ständig verschärfen, so dass es schließlich zum englischen Exil kommt. Anschließend wird eine auf das regnum Christi konzentrierte, in Umsicht und Klarheit vorzügliche Darstellung der Theologie Bucers geboten (3), in der - im deutlichen Unterschied zur Theologie Luthers - das neue Leben des Christen, seine Heiligung in der Erfüllung des göttlichen Gesetzes, aber ebenso auch das regnum Christi als die erneuerte sichtbare Kirche und ihr Verhältnis zum regnum mundi im Mittelpunkt stehen. Was hier als theologisches Konzept Bucers vorgestellt worden ist, wird in den beiden folgenden Kapiteln im Blick auf die Umsetzung in die städtische Realität hinein verfolgt: Dabei geht es zunächst um die enge Zusammenarbeit Bucers mit dem Rat (4). Diese zeigt sich in der Abschaffung der Bilder, vor allem aber in der deutlichen Verbesserung des Schulwesens und im Einsatz für Neugründungen wie ein Predigerseminar und das Gymnasium als der für Bucer wesentlichen Grundlagen zur Verwirklichung des regnum Christi. Einsichtig erläutert wird aber auch, warum sich Bucer bei der Aufhebung der geistlichen Privilegien zurückhielt und wegen der für ihn bestehenden Einheit von städtischer Gesellschaft und kirchlicher Gemeinde auch keine Notwendigkeit sah, sich angesichts einer funktionierenden städtischen Fürsorge auf diesem Gebiet zu engagieren. Dem stehen dann die Kontroversen mit dem Magistrat (5) gegenüber. Sie entzünden sich einmal an Bucers unablässiger Forderung, die Messfeiern in der Stadt zu verbieten und zum andern an seiner Forderung, gegen die in Straßburg sich sammelnden Dissidenten unterschiedlichster Couleur vorzugehen. Der Kampf gegen die Messe hatte schließlich 1529 Erfolg, aber zu einem in Bucers Sinn konsequenten Vorgehen gegen die Dissidenten war der Rat selbst nach dem Zusammenbruch des Täuferreichs in Münster nicht zu bewegen.

Von erheblich größerer Bedeutung aber waren die Auseinandersetzungen über die Kirchenzucht, die Bucer als "Hör-, Lehr- und Sittenzwang" durchsetzen wollte und die sich an den beiden Punkten der Beschickung Einzelner durch die Geistlichen und dem kleinen Bann festmachten. Aus Sorge vor einem neuen Papsttum war der Rat nicht bereit, eine eigene kirchliche Zucht zuzulassen, als sich zeigte, dass die von den städtischen Organen (Siebenergericht, Zuchtgericht, Zunftgerichte und Kirchspielpfleger) nicht wirklich erfolgreich war. Angesichts der Sensibilität des Vf.s wundert man sich, dass die Frage nicht gestellt wird, ob denn - gerade unter den Bucerschen Voraussetzungen der Einheit von städtischer und kirchlicher Gemeinde - eine rein kirchliche Zucht und ein bürgerlich nicht wirksamer Ausschluss vom Abendmahl überhaupt sinnvoll und möglich sein konnte. Das Verlangen nach Heiligung und Buße war dann für Bucer auch der einzige Weg, die im Interim drohende Strafe Gottes und den Untergang des regnum Christi in Straßburg abzuwenden. Dass der Rat sich aus politisch einsichtigen Erwägungen heraus entschließen musste, das Interim anzunehmen und gegen das Zentrum des Widerstandes, die Geistlichen und die christlichen Gemeinschaften vorzugehen, führte schließlich zur Entlassung Bucers und zum Exil.

Ein abschließendes Kapitel (6) nimmt Bucers Aktivitäten für das regnum Christi im Deutschen Reich in den Blick, konzentriert sich dabei allerdings auf die Fälle, in denen er nicht nur über gelegentliche Korrespondenzen, sondern wirksam Einfluss nehmen konnte. Hier geht es um die mit der Einführung der Reformation in den Städten Ulm und Augsburg verbundenen kirchlichen Ordnungen, um seinen Einsatz zur Beilegung des Abendmahlstreites, um Bucers Beteiligung an den Religionsgesprächen und den Reformationsversuch in Köln, schließlich um den durch seine enge Verbindung zu Philipp von Hessen ermöglichten Einfluss auf die Kirche dieses Territoriums, mit einer eingehenden Würdigung der Stellung Bucers zu den Juden.

Das Programm ist groß, wird aber vom Vf. in höchster Konzentration und unter ständigem Rückverweis auf die Quellen - darunter erfreulicherweise auch die großen Kommentare Bucers- bewältigt und kann daher in seinen einzelnen Abschnitten geradezu als ein kleines Nachschlagewerk und schnelle Hinführung zu einschlägigen Bucer-Texten genutzt werden. Gelegentlich ebnet die notwendige Konzentration dann freilich auch ebenso notwendige Differenzierungen ein, wenn etwa behauptet wird, der Leib Christi sei die unsichtbare Gemeinschaft der Erwählten, was zwar für die (wenigen!) Spiritualisten, aber nicht für die Menge der Täufer zutrifft. Außerdem erzwingt die Fülle gelegentlich eine Kürze, die - etwa im Blick auf die Reformation in Ulm und Augsburg, aber auch an vielen anderen Stellen- Bekanntes gut zusammenfasst, aber nichts wesentlich Neues zu bringen vermag, obwohl sich G.s Anmerkungen durchgehend kritisch mit Quellen und Literatur befassen. Insgesamt ist erfreulich, dass der Vf. eingehend die Umsetzung von Bucers Theologie in das städtische Umfeld Straßburgs thematisiert und sich eben deswegen auch von allen anachronistischen Urteilen über die Bedeutung Bucers und seiner Theologie fernhält. Völlig zu Recht weist er mehrfach darauf hin, dass Bucers Beteiligung an den Religionsgesprächen und sein so zurückhaltender Reformationsversuch in Köln eben nicht Ausdruck eines modernen Ökumenismus sind, sondern lediglich als ein Schritt auf dem Weg zur vollen Reformation betrachtet wurde, die nach Bucers Überzeugung der Predigt des Wortes folgen musste und die dann auch mit Hilfe der Obrigkeit - und zwar durchaus intolerant - durchgesetzt werden musste.