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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1269–1271

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Henten, Jan Willem van, and Athalya Brenner [Eds.]

Titel/Untertitel:

Families and Family Relations. As Represented in Early Judaisms and Early Christianities: Texts and Fictions. Papers Read at a Noster Colloquium in Amsterdam, June 9-11, 1998.

Verlag:

Leiden: Deo Publishing 2000. IX, 266 S. gr.8 = Studies in Theology and Religion, 2. ISBN 90-5854-014-6.

Rezensent:

Bernd Kollmann

Der vorliegende Sammelband vereint sechs Aufsätze in sich, die im Rahmen eines im Juni 1998 in Amsterdam abgehaltenen Kolloqiums zu Familienstrukturen in frühen jüdischen wie christlichen Quellen entstanden sind und sich mehrheitlich auf dem zunehmend an Bedeutung gewinnenden Gebiet der Gender Studies bewegen. Wer eine Art Kompendium zum Thema erwartet, wird sich allerdings enttäuscht sehen, da die disparaten, inhaltlich nicht wirklich ineinander greifenden Beiträge durch den Titel des Aufsatzbandes nur notdürftig zusammengehalten werden. Auf die ebenfalls abgedruckten knappen "responses", die eine Reihe berechtigter Kritikpunkte benennen, kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.

An ein von den Herausgebern verantwortetes Einleitungskapitel (1-10) schließt sich zunächst ein den alttestamentlich-jüdischen Befunden gewidmeter Teil mit vier Beiträgen an: Michael L. Satlow sucht in "The Metaphor of Marriage in Early Judaism" (13-42) zu zeigen, dass das maßgeblich von Hosea geprägte Motiv eines Ehebundes zwischen Gott und Israel im antiken Judentum weitgehend ignoriert oder untergraben wurde, da dieses Bild den "theologischen Alptraum" impliziert habe, Gott könne seinem Volk den Scheidebrief ausstellen. Im frühen Christentum hingegen sei die Ehe-Metapher mit der Vorstellung von der Gemeinde als Braut Christi aufgenommen worden. Recht gewagt ist in diesem Zusammenhang die These, das neutestamentliche Ehescheidungsverbot sei als Anpassung der menschlichen Lebensgestaltung an das theologische Denken von der Absicht geleitet, im Bild von der Liebesbeziehung zwischen Christus und Kirche den Scheidungsgedanken erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Ingo Kottsieper untersucht in "We have a Little Sister: Aspects of the Brother-Sister Relationship in Ancient Israel" (49-80) Familienstrukturen im Alten Testament und kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass sich patriarchale Strukturen erst in hellenistischer Zeit entwickelt hätten, als die Rolle der Frau in der Familienhierarchie geschwächt worden sei, "under the impact of Hellenism it was just a small step for the societies of Ancient Israel to change the old family structure, in which the father already was the representative of his family, to a hierarchical structure in which the father became an absolute leader and the women lost power" (79).

Nachfolgend wendet sich Rachel Hachlili unter Heranziehung unterschiedlichster Zeugnisse (u. a. Josephus, Neues Testament, Grabinschriften, Papyri) dem Thema "Hebrew Names, Personal Names, Family Names and Nicknames of Jews in the Second Temple Period" (83-115) zu und arbeitet in ihrem materialreichen Beitrag heraus, wie die vielfältige hebräische Namensgebung soziale Strukturen im Judentum des Zweiten Tempels widerspiegelt. Auf recht wackeligen Beinen steht allerdings die statistische Auswertung des Materials, insbesondere was die Rückschlüsse der Vfn. auf die prozentuale Verbreitung bestimmter Namen im palästinischen Judentum angeht.

Die Abhandlung "Domesticity and the Spindle" (118-134) von Miriam Peskowitz schließlich basiert auf Teilen ihres 1997 erschienenen Werkes "Spinning Fantasies: Rabbis, Gender, and History" und untersucht Familienstrukturen im Judentum nach der Tempelzerstörung. Im Zentrum der Betrachtung steht die unterschiedliche Beurteilung der Wollspinnerei im Alten Testament und in der rabbinischen Tradition. Während die Spindel in Prov 31 für die wirtschaftliche Gleichstellung der zum Lebensunterhalt der Familie beitragenden Frau stehe, sei sie im Mischnatraktat Ketubbot (Hochzeitsverschreibungen) hierarchisches Symbol, indem der Frau ohne ökonomische Notwendigkeit Hausarbeit abverlangt wird, damit sie so ihrem Mann Ehrerbietung erweise.

Der nachfolgende neutestamentliche Teil beschränkt sich auf zwei Beiträge: Philip Eisler bemüht sich in "Keeping It in the Family: Culture, Kinship and Identity in 1 Thessalonians and Galatians" (145-184) um den Nachweis, dass in der mediterranen Welt der paulinischen Gemeinden der Verwandtschaftsverbund (kinship) die entscheidende soziologische Größe dargestellt und Paulus sich gegenüber den Thessalonichern wie Galatern gezielt einer "language of kinship" bedient habe, um in diesen Gemeinden Gruppenidentität zu fördern und bestimmte theologische Normen durchzusetzen.

Sjef van Tilborg wendet sich mit seinem Beitrag "The Women in John: On Gender and Gender Bending" (192-212) den Frauengestalten des Johannesevangeliums zu. Nach Beobachtungen zur narrativen Funktion von Frauen im Plot des Evangeliums richtet er den Fokus auf das ambivalente Frauenbild des vierten Evangeliums, in dem sich traditionelles weibliches Rollenverhalten und emanzipatorische Elemente mischten.

Unter dem Strich bietet der mit Bibliographie und Registern versehene Sammelband eine Reihe informativer und zuweilen auch innovativer, thematisch allerdings nur locker miteinander verbundener Beiträge. Ihre Lektüre ist trotz streckenweise recht hypothetischer Argumentationsmuster anregend und schärft einmal mehr das Bewusstsein dafür, wie in der Lebenswelt des antiken Judentums und frühen Christentums Familienstrukturen und Geschlechterrollen immer wieder sozialen Wandlungen unterworfen waren.