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Ausgabe:

November/2002

Spalte:

1230–1232

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kölsch, Ruth-Erika

Titel/Untertitel:

Pastoralpsychologie als Suchbewegung und Erfüllung in Begegnung und Verantwortung. Hans-Joachim Thilo - Leben und Werk.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2001. 332 S. gr.8 = Forum Theologie und Psychologie, 4. Kart. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-5527-9.

Rezensent:

Jürgen Ziemer

Hans-Joachim Thilo ist einer der herausragenden Vertreter der deutschen Praktischen Theologie. Sein Name ist vor allem verbunden mit der Einführung und Anwendung des pastoralpsychologischen Paradigmas für die verschiedenen pastoralen und beraterischen Handlungsfelder der Kirche. Dabei ist Thilo im Grunde genommen keiner Schule fest zuzuordnen. Zu weit verzweigt sind seine Interessen, zu vielfältig die Impulse, die er in seinen Büchern verarbeitet, zu spezifisch die Prägung, die seinem Werk eignet. Ruth-Erika Kölsch hat es in ihrer Bonner Dissertation unternommen, den 1914 geborenen Theologen und Psychotherapeuten Hans-Joachim Thilo als Person und mit seinem ‘uvre zu porträtieren. Zweifellos hat Thilo eine solche Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Fachwelt und darüber hinaus verdient. Es ist der Vfn. zu danken, dass sie sich dem vielfältigen Schaffen Thilos mit großer Sorgfalt und innerem Engagement gewidmet hat. Sie hat nicht nur sämtliche gedruckte (und teilweise auch ungedruckte) schriftliche Arbeiten Thilos studiert und dargestellt, sondern darüber hinaus eine Reihe persönlicher Gespräche - sowohl mit Thilo als auch mit einigen seiner Weggefährten - geführt.

Der erste Teil der Darstellung (24-65) ist der Biographie Thilos gewidmet. Die Vfn. zeigt, wie sich ein Stück Zeit- und Kirchengeschichte in dem persönlichen Lebensweg eines herausragenden Theologen spiegelt. Offen werden die frühen Irrtümer und die späteren Wandlungen Thilos erwähnt. Von seiner durch nationalsozialistisches Gedankengut stark beeinflussten Dissertation von 1940 hat sich Thilo bald ganz eindeutig und unmissverständlich distanziert (35 ff.). Geschildert werden die Erfahrungen im Krieg und in der Gefangenschaft. Besonders die Begegnung mit Martin Niemöller ebnete dem jungen Thilo den Weg zurück in die Kirche des Nachkriegsdeutschlands. Zwei Ereignisse haben für die ganze spätere Wirksamkeit Thilos grundlegende Bedeutung erlangt: einmal die medizinisch-psychoanalytische Ausbildung, die er in Oxford begann, und zum anderen der Eintritt in die evangelische Michaelsbruderschaft im Jahre 1947. Tiefenpsychologie und Liturgie, das waren zeitlebens die Pole, zwischen denen sich Thilos Denken und Handeln als Therapeut, Theologe und engagierter Christ bewegte.

Nacheinander werden dann, beginnend mit "Der ungespaltene Mensch" (1957), von der Vfn. im zweiten Teil (66-232) die Bücher und wichtigen Aufsätze Thilos vorgestellt. Das geschieht in relativ großer Ausführlichkeit, mit reichlichen Zitaten bzw. Einzelnachweisen. Die Vfn. ist bemüht, durch genaue thematische Gliederung das Besondere des jeweiligen Themenkomplexes herauszuarbeiten. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den drei wohl bedeutendsten Arbeiten Thilos: der tiefenpsychologischen Grundlegung für die beratende Seelsorge (1971), der evangelischen Eheethik mit dem die nachfolgende Diskussion häufig bestimmenden Konzept einer "dynamischen Normativität" (1971) und der originellen Untersuchung zur therapeutischen Funktion des Gottesdienstes (1985). Bei manchen Werken wird, was besonders aufschlussreich ist, auch die sich daran anschließende wissenschaftliche Diskussion dargestellt (z. B. 158 ff.).

Die Berichte über die Veröffentlichungen von Thilo werden ergänzt durch zwei Exkurse zur Pastoralpsychologie (108-126) und zur Spiritualität (206-233). Damit wird das Wirken Thilos in einen weiteren Zusammenhang gestellt.

Abgerundet wird die Darstellung mit einem Versuch, systematisch die "Grundtendenz und Zielrichtung" der Theologie Thilos zu bestimmen. Die Vfn. findet dafür den schönen Titel: "Theologie der Zärtlichkeit". Damit gelingt es ihr, den Zusammenhang so unterschiedlicher Aspekte wie der Ethik, der Sexualität, der Psychoanalyse, der Meditation und Religionsphänomenologie im Thiloschen Denken zusammenzubringen. Im Anhang gibt es ein Verzeichnis der Lehrveranstaltungen Thilos an der Universität Hamburg sowie eine chronologisch geordnete Bibliographie einschließlich der zum Werk Thilos veröffentlichten Rezensionen.

Die Arbeit der Vfn. hat ihren besonderen Wert darin, dass sie auf umfassende Weise dem Werk Thilos Raum gibt und damit hilft, dass es auch künftig in der pastoralpsychologischen und pastoraltheologischen Diskussion den ihm gebührenden Platz behält. Die durchgängig spürbare enge Verbundenheit der Autorin mit ihrem "Gegenstand" ist vielleicht auch der Grund dafür, dass man dem Buch nur selten Anstöße für eine kritische und vorwärts weisende Auseinandersetzung mit den Positionen Thilos entnehmen kann.

Ob das Buch auch über den Kreis der speziell wissenschaftlich am Werk und an der Person Thilos Interessierten hinaus Interesse finden wird, ist mir eher fraglich. Die Kehrseite der manchmal geradezu pedantisch wirkenden Sorgfalt ist eine schwierige Lesbarkeit. Es gibt kaum einen Satz ohne Anmerkung. Das stört den Lesefluss ebenso wie die durchgehende Übergliederung des gesamten Stoffs. Es gibt nur selten eine fließende Zusammenhangsdarstellung über mehr als eine Seite hinweg. Das ist schade. Die vielen Einzelüberschriften helfen oft nicht zur Orientierung und Konzentration, sondern verursachen eher ein Gefühl von Unübersichtlichkeit. Man gelangt zu dem Eindruck, die Vfn. habe geradezu eine gewisse Scheu, bei den dargestellten Äußerungen von Thilo auch Akzente zu setzen, weniger Wichtiges wegzulassen und den Leser mit dem wirklich Wesentlichen zu konfrontieren.

Hier liegen Grenzen des Buches von Ruth-Erika Kölsch. Wer es freilich zu gebrauchen versteht, wird reichlich Anregungen erhalten und sich vergewissern können, wie aktuell und notwendig viele der Gedanken Thilos auch angesichts der heutigen Diskussionslage sind.