Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1119–1121

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Frühling, Frank

Titel/Untertitel:

Streiten und Bewahren. Die religionspädagogische Rezeption und Kritik der Dialektischen Theologie.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1997. 304 S. 8 = Europäische Hochschulschriften, Reihe XXXIII: Religionspädagogik, 16. Kart. ISBN 3-631-30820-5.

Rezensent:

Peter C. Bloth

Man kann die Lektüre dieser Heidelberger Theologischen Dissertation, die 1996 auf Grund der Gutachten von Heinz Schmidt und Gerhard Rau angenommen wurde, je nach Interesse ebenso gut mit "Teil 3: Religionspädagogik und Dialektik - Aporien und Chancen" (221-275) beginnen wie mit "Teil 1: Dialektische Theologie" (15-78). Im ersten Falle erhielte man eine Skizze der religionspädagogischen Lage: Der Autor sieht sie zwischen "liberaltheologischer Allianz" (ab 229 passim) aus "andauernde[r] Troeltsch-Renaissance" und "postmoderne[r] Fragmentierung der Lebenswelt" (231 f.) einerseits sowie andererseits "christologischem Wirklichkeitsmonismus dialektischer Theologie" (223. 225 u. ö.). So, nämlich als aporetisch und chancenreich zugleich, macht er sie zum Gegenstand seiner Untersuchung.

Begänne man mit Teil 1, erführe man dasjenige Verständnis von Dialektischer Theologie, welches dem Vf. zufolge allein die Aporien der Religionspädagogik theologisch überwinden und ihre Chancen nutzen hülfe. Es ist - kurz gesagt - Karl Barths Theologie, vor allem in seiner Versöhnungslehre aus KD IV/1 (bes. 33-38). Zwar werden hier nach (!) Barth auch E. Brunner, R. Bultmann und F. Gogarten knapp behandelt; ihrer aller Theologien können jedoch neben dem barthschen, in das "Verhältnis von Transzendenz und Immanenz" gefassten dialektischen Wirklichkeitsbegriff nicht so bestehen, dass sie als "heuristische Kategorie" (26 und passim) genügten. Der Rez. lässt hier unerörtert, dass der Vf. die Lehre der Genannten aus den dreißiger Jahren umstandslos mit Barths erst 1953 in KD IV/1 erreichter "vollen" Dialektik konfrontiert. Aber das Thema der Arbeit lohnt die Beobachtung, dass der Vf. über Gogarten z. B. behauptet, "wirkungsgeschichtlich" seien von ihm "keine nennenswerten Einflüsse auf die religionspädagogische Diskussion ausgegangen" (17); dennoch führt er in weiten Partien des Teiles 2 ("Die religionspädagogische Rezeption und Kritik dialektisch-theologischer Elemente", 79-220), etwa bei Untersuchung von G. Bohne und O. Hammelsbeck (81 ff.101 ff.), das theologische "Scheitern" auf die Rezeption Gogartens zurück - dessen bekannter Einfluss z. B. auf Magdalene v. Tiling und ihr Denken über Erziehung bleibt indes völlig außer Acht.

Dem Teil 2 kommt, sieht man ihn von der ausgebreiteten Position K. Barths und ihrer Kritik an allen sonstigen dialektischen Theologien aus, offenbar die Aufgabe zu, acht bedeutsame religionspädagogische Entwürfe zwischen 1930 und etwa 1990 an Barths Grundeinsichten vom Anselm-Buch (1931) bis KD IV/1 zu messen. Diesem weithin deskriptiv-deduktiven Verfahren korreliert in vielen, vor allem historischen Sachverhalten eine nicht eigens begründete Enthaltsamkeit des Autors gegenüber der Forschungsliteratur. Über Bohne und Hammelsbeck - für diesen ist S. 113 mit Anm. 430 als m. E. wenn nicht peinliche so doch peinigende Bemerkung zur "Wirkungsgeschichte innerhalb der Christenlehre auf dem Gebiet der ehemaligen DDR" beachtlich! -, über M. Rang und H. Kittel - in der "Zusammenfassung" (206 ff.) dürfen natürlich dessen von F. Rickers seit Jahren monoton unterstrichene Affinitäten zum "preußisch-deutschen Militärstaat" (215; Anm. 868 Fehlinterpretation) und zum Nazismus auch hier nicht fehlen - bis hin zu K. E. Nipkow (127 ff.), G. Otto (165 ff.) und S. Vierzig (185 ff.): In manchen Akzentuierungen ist das eine nicht ohne Gewinn nachgezeichnete Linie von Positionen, die aber doch "leider" allesamt der sachgemäßen theologischen Dialektik Barths entraten. Einzig (vgl. 218) Heinz Schmidt (144-164) habe eine "dialektische Religionspädagogik als existenzdialektische Konkretion" (162 ff.) aus dem "dialektischen Vorsprung von Botschaft und Theologie gegenüber gegenwärtiger Lebenswelt" (153) erarbeitet. Als Probierstein für die auch didaktische Stimmigkeit der analysierten Vorstöße, das ist an dieser Dissertation besonders lehrreich, betrachtet der Vf. die bei allen Autoren in Teil 2 gesondert erfragte ideologiekritische Kraft ihrer Ansätze. Während er den Älteren theologisch fragwürdige Genügsamkeit im Ziel "schonfreier Raum für den Religionsunterricht" (in der "Zusammenfassung" ab 207 häufig, zuweilen auch "Freiraum") anlastet, führt nur H. Schmidt, natürlich nicht etwa Otto und Vierzig, in dieser Frage aus transzendenter Begründung zum "Nein" einer normativ "bestimmten Negation" (220).

Das Bindeglied zwischen den ersten beiden und dem Teil 3, der ja neben den "Aporien" auch die "Chancen" von "Religionspädagogik und Dialektik" behandeln soll, stellt mit dem Unterteil "Dialektik contra Liberalismus" ein 1986 publizierter Aufsatz von G. Sauter (EvTh 46, 127 ff.) dar; er fand nach des Vf.s Meinung "nicht das ihm zustehende Gehör" (226-231): "Zur theologischen Revision religionspädagogischer Theorien". Aus dessen Analyse nun wird, u. a. durch nochmaligen Rückgriff auf K. E. Nipkows Denken, interessant entwickelt, wie sich unter den Prämissen und Normsetzungen dialektisch-theologischer Religionspädagogik eine "Erziehung zum homo politicus" (244 ff.), "Dialog durch Position" in einer "multireligiöse[n] Gesellschaft" (252 ff.; "Streitkultur contra Nivellierung" 272 ff.) verstehen und als "elementare Theologie" (243 f.) didaktisch organisieren ließe (z. B. 250 ff.).

In diesen Partien liegen viele gute Anregungen beschlossen - ein Urteil, das auch trotz des (aus theologischer Vorsicht vor der "liberalen Allianz"?) immer wieder eingeflochtenen Verweises auf Barths "Sprachlosigkeits-Dialog" (etwa 77.125.242.271) ausgesprochen sei. Ein ander Ding sind die häufiger, auch im Anschluss an Sauter zu findenden Urteile in Sachen des Verhältnisses von Systematischer und Praktischer Theologie, hier: Religionspädagogik (227 ff.233 f.277 u. ö.), in denen dem Rezensenten - Dialektik hin oder her - ein überholtes Dependenzmodell theologischer Disziplinen vorzuwalten scheint. Insgesamt: ein in seiner Einlinigkeit spannendes, jedoch kritisch zu lesendes Buch.