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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1101–1103

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Laudien, Karsten

Titel/Untertitel:

Die Schöpfung der ewigen Wahrheiten. Die Bedeutung der philosophischen Gotteslehre bei René Descartes.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2001. 348 S. gr.8 = Erfahrung und Denken, 87. Kart. ¬ 68,00. ISBN 3-428-10208-8.

Rezensent:

Werner Schüßler

Diese 1997 von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommene Dissertation beschäftigt sich mit einem Thema, das in der Descartes-Forschung immer etwas stiefmütterlich behandelt wurde, nämlich - wie der Titel schon sagt - mit Descartes' Lehre von der Schöpfung der ewigen Wahrheiten. Hierin sieht Laudien die eigentliche Gotteslehre Descartes'. Sie bildet ihm zufolge gleichsam den "Hintergrund seiner philosophischen Interessen" (47), ja in dieser Lehre sieht er geradezu "das latente Organsationszentrum der Philosophie Descartes'" (50).

Es ist keine Frage, dass sich Descartes in diesem Punkt nicht unwesentlich sowohl von mittelalterlichen Denkern als auch von nachfolgenden Generationen - ich denke beispielsweise an Leibniz - unterscheidet. Denn Letzterer lehrt ja bekanntlich, dass die ewigen Wahrheiten von Gott nicht geschaffen, sondern mit seinem Verstand identisch sind.

Demgegenüber lehrt Descartes die Erschaffung nicht nur der materiellen Gegenstände, sondern auch der logischen und mathematischen Gesetze. So sind nach ihm Sätze wie der, dass 2 + 2 = 4 ist, nicht deshalb ewig wahr, weil sie unabhängig von den materiellen Gegenständen bestehen und mit dem göttlichen Verstand identisch sind, sondern sie sind deshalb ewig wahr, weil Gott sie so, wie sie sind, geschaffen hat. Wenn es also Gott nicht gäbe, dann gäbe es auch nicht diese ewigen Wahrheiten. Gott hätte also prinzipiell auch andere Gesetze erlassen können als die, die er nun einmal tatsächlich erlassen hat. Damit entstehen natürlich Probleme und Fragen, wie die, ob dann überhaupt noch etwas absolut wahr und ewig ist, Fragen, denen L. in seiner Untersuchung nachgeht.

Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile. Im ersten Teil "A. Epochengründer versus Klassiker - Einleitung und Forschungsgeschichte" (11-52) geht L. in einem ersten Abschnitt dem Descartes-Bild in Deutschland nach (13-25), um dann in einem zweiten seine Stellung in der französischen Philosophie des 19. Jh.s zu skizzieren (25-31). Abgeschlossen wird dieser erste Teil mit einem "Forschungsbericht" (32-51). - Der zweite Teil "B. Der Umschlag von mentalistischer zu metaphysischer Gegenstandsbestimmung" (52-103) beschäftigt sich mit den "Regulae" und "Le Monde", wobei hier aber der Bezug zum Thema nicht immer deutlich wird. - Das Kernstück der Untersuchung bildet ohne Zweifel der dritte Teil "C. Die Erschaffung der ewigen Wahrheiten" (104-175). Nur allzu gerne wird Descartes' Standpunkt in dieser Frage als "Voluntarismus" charakterisiert. L. kann aber hier überzeugend nachweisen, dass diese Etikettierung die Sache nicht trifft. Denn: "Die Neutralisierung der Differenz von Wille und Verstand widerstreitet einer sinnvollen Anwendung des Begriffs für den göttlichen Willen. In der indifferenten göttlichen Macht ist deshalb die Überbietung derjenigen Alternative (Voluntarismus/Rationalismus) angegeben, aus der sich der Begriff definiert [...] Indifferenz Gottes ist [...] ein Charakteristikum der Allmacht, die selbst die Differenz von wahr und falsch begründet und in der deshalb Wille und Verstand voneinander nicht unterschieden werden können." (157)- Der vierte Teil ist dem "Discours" gewidmet (176-230), der fünfte und letzte Teil beschäftigt sich mit Descartes' Dualismus (231-327). Besonders auch in diesen beiden letzten Teilen wird der Bezug zum eigentlichen Thema nicht immer deutlich. Ein Literaturverzeichnis und ein Namenregister beschließen die Untersuchung.

Hinter Descartes' Lehre steht letztlich die Überlegung, dass der vollkommene Gott auch eine vollkommene Allmacht besitzen muss. D. h. diese Allmacht kann auch nicht durch logische oder mathematische Gesetze eingeschränkt sein. Das ist der eine Grund. Der zweite Grund für diese Lehre liegt im Begriff von Gottes Einheit. Wenn diese Einheit nämlich ernst genommen wird, dann kann hier nicht zwischen Erkennen und Wollen getrennt werden. Erschaffen bedeutet bei Gott immer ewiges Erschaffen. Das Geschaffensein bezieht sich also nicht auf irgendeinen Zeitpunkt, sondern will nur besagen, dass diese Wahrheiten abhängig sind von Gott. Die Frage, ob Gott die ewigen Wahrheiten ändern kann, ist so zu beantworten: Prinzipiell könnte er es; er macht es aber nicht, da er selbst unveränderlich ist.

Mit diesen Überlegungen sind die wesentlichen Einwände aus dem Wege geräumt. Inwieweit hier im Hintergrund das Problem der "analogia entis" steht, das Descartes auf Grund seiner neuen Form einer "Ersten Philosophie" ja nicht akzeptieren kann, wäre zu klären gewesen. Insgesamt stellt sich die Frage, ob L. Descartes Lehre von der Erschaffung der ewigen Wahrheiten nicht für andere Bereiche seines Denkens überstrapaziert. Aus diesem Grunde wage ich auch zu bezweifeln, ob diese Lehre die klassische metaphysische Theologie wirklich zersetzt - wie L. meint (110).

Ohne Zweifel bewegt sich die Untersuchung auf einem hohen Reflexionsniveau. Und doch ist kritisch anzumerken, dass sie sich zuweilen in Einzelheiten verliert, was nur allzu oft den "roten Faden" vermissen lässt. - Der Vf. wäre auch gut beraten gewesen, lateinischen Zitaten im Text eine Übersetzung beizugeben. Unschön ist die allzu häufige Verwendung des Konjunktivs. - Eine Benutzung der folgenden Arbeiten, die man vermisst, wäre ohne Zweifel hilfreich gewesen: J. Barnes, Le Dieu de Descartes et les vérités éternelles, in: Studia Philosophica 55, 1996, 163-192; E. M. Curley, Descartes on the creation of the eternal truths, in: Philosophical Review 93, 1984, 569-597; H. G. Frankfurt, Descartes on the creation of the eternal truths, in: Philosophical Review 86, 1977, 36-57.