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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

986 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Neijenhuis, Jörg, u. Wolfgang Ratzmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Gottesdienst zwischen Abbildern und Leitbildern.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2000. 143 S. m. 33 Abb. 8 = Beiträge zu Liturgie und Spiritualität, 5. Kart. ¬ 22,50. ISBN 3-374-01774-6.

Rezensent:

Thomas Klie

Vermag ein Sammelband den Anspruch einzulösen, nicht nur Meinungsvielfalt kritiklos abzubilden, sondern die wesentlichen Perspektiven auf den verhandelten Gegenstand unter bestimmten Fragehinsichten zu systematisieren, dann kann von der Lektüre mit gewissem Recht etwa im Vergleich zu einer Monographie ein Mehr an Lesefrüchten erwartet werden. Je bedeutsamer das Thema für das Gesamt einer Disziplin - und wer wollte das im Hinblick auf das Verhältnis von Gottesdienst und Liturgik in Abrede stellen? -, desto stärker fallen diese systematischen Aspekte ins Gewicht, zumal wenn mit insgesamt 143 Seiten ein knapper Umfang gewählt wurde. Der von Neijenhuis und Ratzmann besorgte 5. Band der "Beiträge zu Liturgie und Spiritualität" stellt diesbezüglich in mehrfacher Hinsicht einen Kompromiss dar. In ihm widmen sich die Autoren und Autorinnen den "inneren Bildern" vom Gottesdienst, denjenigen liturgischen Vorstellungen also, die "in stillen Stunden oder im Gespräch mit Freunden erträumt und erdacht" (7) sich im historischen Kontext zu komplexen "Abbildern und Leitbildern" verdichten.

Der hermeneutischen und normativen Relevanz von Geschichtsbildern geht im programmatischen ersten Beitrag Peter Cornehl nach. Als historische Belege führt er 33 Abbildungen an, die er eingehend diskutiert. Während Cornehl aus modernitätstheoretischen Gründen für eine interdisziplinäre Gottesdienstforschung eintritt, in der die ganze Palette liturgischer Formen und Vollzüge vergleichend in den Blick genommenwerden sollen, befragen Konrad Klek und Katharina Wiefel-Jenner diese Konzepte auf ihre aktuellen Wirkungen hin: Spitta und Smend anhand der "Erlebnis"-Kategorie bzw. R. Otto und Josuttis im Hinblick auf "das Heilige". Jörg Neijenhuis plädiert angesichts der fortschreitenden Ästhetisierung des Alltagslebens ("Erlebnisgesellschaft") für die Ausweitung liturgischer Erlebnisangebote. "Die Volkskirche wird nur bleiben, wenn sie erlebt wird." (89) Das Erleben muss jedoch, soll es im Gottesdienst nicht zum ästhetischen Selbstzweck verkommen, immer auch mit dem Überleben zusammengedacht werden. Einen stärker historischen Akzent setzt Jürgen Kampmann, der die Entwicklung der unierten preußischen Agenden bis hin zur Erneuerten Agende verfolgt. Einer der Väter dieser Erneuerten Agende, Frieder Schulz, umreißt anschließend in einer kurzen Thesenreihe die Bedeutung und Notwendigkeit der jüngsten Agendenreform. Dass die agendarischen Formen nur dann reformiert und fortgeschrieben werden können, wenn es in gelebte, d. h. in grundsätzlich auch erlernbare religiöse Praxis eingelagert ist, darauf verweist Günter Ruddat in seinem Praxisbericht über die "Liturgische Woche".

Ohne das "Nachwort" von Wolfgang Ratzmann läsen sich die hier zusammengefassten Aufsätze wie der Protokollband einer thematisch eher weit gesteckten liturgiewissenschaftlichen Konsultation. Der weite Reflexionshorizont rechtfertigt kaum die programmatische Überschrift - zu disparat zeigen sich die jeweils bearbeiteten Sachverhalte. Die Frage nach den Leitbildern und Abbildern des Gottesdienstes kommt in ihnen (mit Ausnahme von Cornehls Beitrag) allenfalls implizit zum Ausdruck. Ratzmann eröffnet jedoch noch einmal eine andere, systematischere Lesart, indem er alle Beiträge auf der Folie der die Autoren und Autorinnen jeweils leitenden Idealvorstellungen vom Gottesdienst liest. Hiernach erscheinen alle gleichermaßen motiviert durch die Suche nach einer in der Gegenwart "überzeugende(n) Option für den Gottesdienst". Zu Recht werden solche Bilder als "unverzichtbar zur liturgischen Orientierung" bezeichnet (136).

Mit Gewinn werden alle diejenigen in Gemeinde und Universität dieses Buch zur Hand nehmen, die bei der Gestaltung und Reflexion der Gottesfeier nach Angemessenheitskriterien fragen und diese historisch und theologisch begründen wollen.