Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2002

Spalte:

948–951

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ganoczy, Alexandre

Titel/Untertitel:

Der dreieinige Schöpfer. Trinitätslehre und Synergie.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001. VII, 264 S. 8. Geb. ¬ 39,90. ISBN 3-534-11194-X.

Rezensent:

H. Stinglhammer

Der Titel des jüngsten Buches des emeritierten Würzburger Dogmatikers Alexandre Ganoczy markiert bereits dessen theologische Option, die zugleich den Ertrag seines langjährigen Bemühens um eine aktualisierte Schöpfungstheologie bildet. G. will hier die gewohnte anthropologische Zentrierung des Schöpfungstraktates auf den universalen Kontext der Natur öffnen. Damit verknüpft er das Ziel, Theologie in das Gespräch mit den heute leitenden Naturwissenschaften zu bringen, die "Welt" als einen synergetischen Strukturzusammenhang interpretieren. Als theologisch-analoges Moment der Vermittlung wählt G. die synergetische Lesart eines trinitarisch profilierten Schöpfungsgedankens.

Diese synergetisch-trinitarische Hermeneutik ermöglicht nach G. - über den interdisziplinären Dialog hinaus - weitere theologische Optionen: So kann der christlich-biblische Schöpfungsglaube aus seiner substanzhaft-monokausalen Verkürzung befreit und auf die genuinen alttestamentlich-neutestamentlichen/johanneischen Perspektiven zurückgeführt werden, in denen Schöpfung als eine eigenwirkliche Struktur thematisiert wird, die in konkreativer Weise in und mit dem trinitarischen Schöpfer zusammenwirkt. Dies erlaubt es nicht nur, den Gedanken einer creatio continua theologisch zu explizieren. Zugleich kann darin der Gedanke einer creatio ex amore eingeholt werden, sofern die Werdewelt mit ihren kreatürlichen Differenzen transparent wird auf die sie ermöglichende Urstruktur der Trinität, die so als Synergie der Liebe aufscheint. Zugleich bietet diese strukturale Analogie eine Alternative zu pantheistischem Denken, das die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf einebnet. Darüber hinaus kann die Relevanz des Trinitätsglaubens am Ort der Schöpfungstheologie für das moderne Verstehen erschlossen werden.

Diesen Optionen korrespondiert folgende Gliederung: Nach Reflexionen hinführender Art (I) wird in einem ersten großen Komplex die Theologiegeschichte nach Verifizierungsmöglichkeiten für das trinitarische Synergieparadigma befragt. Dabei werden für die östliche Tradition Basilius, für die westliche Augustinus und die ihm folgende bzw. korrigierende Tradition bis hin zum Cusaner herangezogen. Dabei kommt - im Gegensatz zu Augustinus - gerade der Trinitätstheologie des Cusaners exemplarischer Wert für ein strukturales Schöpfungsdenken zu (II-V). Auf dieser Basis bietet der zweite Hauptteil eine systematische Erarbeitung einer synergetisch-trinitarischen Schöpfungslehre. Diese geht aus vom Gespräch mit der philosophischen Strukturontologie H. Rombachs (VII), von der her die biblische Botschaft vom dreieinen Schöpfer sowie der theologische Topos der creatio continua neu gelesen werden (VIII). Ein Blick auf verschiedene strukturale Modelle der Naturwissenschaften bildet das eigentliche Ende der Argumentation, sofern darin die wissenschaftspragmatische Plausibilität des vorgelegten Ansatzes auf der Ebene einer interdisziplinären Analogie untermauert wird (IX). Den Ertrag seiner Reflexion versammelt G. zuletzt in Perspektiven einer trinitarischen Seins- und Schöpfungslehre (X).

Auf der Ebene der inhaltlichen Durchführung nimmt die strukturontologische Relecture der traditionellen Trinitätslehre den größten Raum ein. Dabei zeigen sich für G. im Bereich der östlichen Patristik positive Ansätze für ein synergetisches Trinitätsdenken, sofern Gott hier als eine gleichursprünglich-relationale Struktur, als "Synontie der Wesengleichen" (38), kurz: als Konkreativität der Liebe in den Blick kommt. Ganz anders liegen die Dinge für G. im augustinisch geprägten Westen. Auf Grund seiner Betonung der göttlichen Substanz als Einheitsprinzip der Trinität - G. spricht von "Substanzbesessenheit" (52) - und seiner Betonung der Vorherrschaft des Vaters falle der Westen hinter die trinitarische Pluraleinheit des Ostens zurück. Die westliche Trinitätslehre formuliere dagegen eine göttliche "Monontie und Monergie" (46). Letztlich umkreise sie darin einen metaphysischen Solipsismus des Vaters, der der neutestamentlichen Botschaft von Gott als Liebe, als Hinwendung zum Du, nicht mehr gerecht werde (was die heilsökonomische Unterbelichtung des Geistes dokumentiere). Anfanghaft werde dieser patrozentrische Reduktionismus in den Trinitätstheologien Richard von St. Viktors und Bonaventuras überwunden. In theologisch konsistenter Weise werde dies aber erst bei Cusanus möglich, der das Wesen des einen Gottes konsequent als eine trinitarisch-perichoretische Struktur denke. Darin komme ihm paradigmatischer Wert für ein strukturales Schöpfungsdenken zu, sofern er - unter dem Vorzeichen negativer Theologie - das Verhältnis Schöpfer-Schöpfung als eine analoge In-Überstruktur begreift, die jede Gefahr des Pantheismus vermeidet. D. h.: Die Schöpfung gründet in ihren kreatürlichen Differenzen in den innertrinitarischen Perichoresen des überwesentlich-einen Gottes, aus denen sie hervorgeht und an denen sie in ihrem eigenen zeitlichen Werden in positiver Weise partizipiert. Dem Cusaner sei es daher gelungen, das synergetische In- und Miteinander zwischen Schöpfer und Geschöpf theologisch stimmig zu formulieren.

Mit dem trinitätstheologischen Denken des Cusaners ist nach G. die kriteriologische Vorgabe für eine strukturontologische Relecture der Schöpfungslehre im Horizont Heinrich Rombachs gegeben, deren Deutung des Seins als eines wechselseitigen Ereigniszusammenhangs theologisch positiv geltend gemacht werden könne. Dabei müsse allerdings der immanent-funktionale Ansatz der Strukturontologie sowohl durch die trinitarische Differenz Schöpfer-Geschöpf wie durch das Moment des Personal-Freiheitlichen korrigiert werden. Eine solcherart modifizierte synergetisch-trinitarische Schöpfungsperspektive auf der Linie Cusanus-Rombach erlaube es dann aber, den Glauben selbst in ein positiv-analoges Verhältnis zu den naturwissenschaftlichen Kontexten Symbiose, Synchronie und Resonanz zu beziehen, in denen die "Gesamtwirklicheit [...] als sich synergetisch bewegende Struktur greifbar und denkbar wird" (222). Von daher - und hier schließt sich der Gedankengang - erweise sich Synergie als interdisziplinäre Plattform, auf der ein Gespräch zwischen Naturwissenschaft und (Schöpfungs-) Theologie wieder neu möglich wird.

Hat G. in seinem Denkprojekt seine Optionen eingelöst? Mit Sicherheit ist dieses Buch als ein ebenso engagierter wie kreativer Versuch zu werten, (Schöpfungs-)Theologie auf die leitenden rationalen Standards hin anschlussfähig zu machen und aus dem Raum einer bloßen binnentheologischen Rationalität herauszuführen. Allerdings ist zu fragen, ob G. die Naturwissenschaften dabei nicht zu sehr in seine eigene Systematik eingespannt hat, mit der Konsequenz, sie in ihrem eigenen Selbstverständnis zu wenig ernst zu nehmen. Das zukünftige (und notwendige!) Gespräch mit den Naturwissenschaften wird dies erweisen. Zugleich bleibt zu bedenken, ob er der Theologie einen Dienst tut, sofern er das Trinitätsaxiom wissenschaftspragmatisch in einer überzogenen Analogie so nahe an das aktuelle Synergieparadigma heranführt. Denn dieses unterliegt als solches grundsätzlich den Kriterien der Falsifizierbarkeit - mit dementsprechend destruktiven Folgen für ein trinitarisches Schöpfungsverständnis! Trotz dieser Bedenken gelingt es G., in einer von Cusanus (und seiner negativen Theologie) her modifizierten Strukturontologie Schöpfungslehre als In-Über-Struktur von Gott und Welt theologisch konsistent zu formulieren und jenseits von Deismus und Pantheismus zu platzieren. Zudem holt er darin die Aussagen der Schrift ein, die alttestamentlich - etwa im ersten Schöpfungsbericht - von einem konkreativen Synergein von Schöpfer und Geschöpf spricht (vgl. Gen 1, 22.28), zu dem das Geschöpf von Gott - ex amore - ermächtigt ist. Insofern wäre Schöpfung nicht einfach als eine mechanistische Ableitung aus Gott zu denken, sondern als Einladung zu eigenständigem Werden. Allerdings wird G. sich fragen lassen müssen, ob sein Ansatz ihn nicht doch zu trinitarischen Überzeichnungen führt, die dem alttestamentlichen Bild vom Schöpfergott nicht entsprechen. Hinsichtlich seiner trinitätstheologischen Basis ist anzumerken, dass G. die östliche und die westliche Trinitätstradition pointiert-einseitig darstellt. Zwar charakterisiert die kommuniale Hermeneutik das östliche Trinitätsdenken in bedeutsamer Weise; aber es ist nicht so, dass sie im Westen einfach fehlt: Man denke etwa an die "relatio subsistens" des "Augustiners" Thomas von Aquin, auf die G. praktisch nicht eingeht. Und wo die neuplatonisch motivierte "Substanzbesessenheit" des Westens zu einer gewissen Patrozentrik führt, gilt dies in erheblichem Maße auch für die östliche Trinitätstheologie, was sich in ausgeprägten subordinatianischen Tendenzen wie auch im Ausfall des "Filioque" dokumentiert. Es scheint, dass G.s Nähe zum Rombachschen Strukturdenken ihn hier zu überzeichneten Urteilen führt, die beide Traditionen verkürzen und ihnen in ihrem gemeinsamen Anliegen nicht gerecht werden.

Insgesamt aber stellt dieser Entwurf ein Novum dar, das in einer ebenso anregenden wie spannenden Weise ein zeitnahes Theologisieren spüren lässt, das - trotz aller möglichen (vielleicht unvermeidlichen) Einseitigkeiten systematischen Denkens - den Aufbruch in Richtung auf die Naturwissenschaften wagt. Dies bleibt G. zu danken.