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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

751–754

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Baumert, Norbert

Titel/Untertitel:

Charisma - Taufe - Geisttaufe. 1: Entflechtung einer semantischen Verwirrung. 2: Normativität und persönliche Berufung.

Verlag:

Würzburg: Echter 2001. 320 S. u. 399 S. 8. Kart. zus. ¬ 39,90. ISBN 3-429-02317-3.

Rezensent:

Walter Klaiber

Norbert Baumert SJ, Neutestamentler an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt/Main, hat sich mit diesen beiden Bänden ein doppeltes Ziel gesetzt. Er möchte Klarheit über die Bedeutung der neutestamentlichen Begriffe "Charisma" und "taufen mit Heiligem Geist" schaffen, um damit auch die Phänomene, die heute mit diesen Begriffen verbunden werden, sachgemäßer zu verstehen. Das doppelte Ziel zeigt sein doppeltes Engagement. B. schreibt als Neutestamentler, der in beiden Bänden auch eine Reihe älterer Studien verarbeitet. Aber er schreibt auch als Mitglied der "Charismatischen Erneuerung in der Katholischen Kirche", einer Bewegung also, in der das, was das NT mit den Begriffen "Charisma" und "Geisttaufe" beschreibt, auch heute von Christen als erneuernde Wirklichkeit erfahren wird. Das macht die Ausführungen von B. so spannend. Denn einerseits argumentiert er mit möglichst großer philologischer Genauigkeit; andererseits kann er in bestimmten Fällen auch Einsichten gegenwärtiger Erfahrung als Argument nachschieben. So ist es äußerst aufschlussreich, wie B. in 1Kor 12-14 ganz andere Akzentsetzungen findet als die herkömmliche Exegese. Nicht zuletzt möchte B. auch ganz bewusst als katholischer Theologe sprechen, der im Blick auf die Bedeutung der Texte für heute die Äußerungen des Lehramtes (bes. Vaticanum II) nicht außer Acht lässt.

Band 1 beginnt mit einem 1. Teil, "Charisma" im NT (9- 116), dem die Diplomarbeit eines Schülers von B., W. K. Delaney, zu Grunde liegt. Nach einem kurzen Überblick über die verschiedenen Definitionen von charisma stellt B. die für ihn entscheidende Frage: "Hat Paulus das Wort charisma, das im Koine-Griechisch seinerzeit im Umlauf war, mit derselben Bedeutung gebraucht, die es im Alltagsgriechisch hatte, oder hat er ihm einen verschiedenen, abgegrenzten technischen Sinn gegeben?" (25).

Den wenigen außerneutestamentlichen Belegen entnimmt B. die Bedeutung "Gabe, Geschenk". Er analysiert daraufhin die einschlägigen paulinischen Stellen, wobei eine möglichst exakte, aber zugleich mit erläuternden Paraphrasen versehene und deshalb nicht leicht zu lesende Übersetzung den Befund klarlegen soll. Als heuristisches Hilfsmittel nimmt er eine (hypothetische) Konsensdefinition in Anspruch, die er häufig zitiert und mit dem tatsächlichen semantischen Befund vergleicht. Sie lautet: Charisma ist eine "vom Heiligen Geist gegebene Befähigung zum Dienst am Heil anderer" (64, vgl. 75.84.107.221.271).

Diese Bedeutung liegt aber an keiner der paulinischen Stellen vor, sondern stellt eine typische Verwechslung von "meaning" und "reference" dar (vgl. 74 f.221). Stattdessen kommt man überall mit der Grundbedeutung "Geschenk" aus; der einzige "Bedeutungszuwachs" liegt darin, "daß der Bezug auf Gott (Gnade) gelegentlich in dem Wort mit anklingt" (82). Charisma ist also bei Paulus kein terminus technicus, und folglich gibt es auch keine "Charismenlehre" (82.232). Inhalt der Geschenke können sehr unterschiedliche Gaben sein (vgl. die Aufstellung 118), aber nie ist damit eine "Begabung" oder "Befähigung" gemeint, sondern immer eine konkrete Gabe; also nicht die "Prophetengabe oder Unterscheidungsfähigkeit", sondern "Geschenke wie Prophetien, Interpretationen", nicht "eine allgemeine Begabung zu heilen", sondern "konkrete Heilkräfte nach Art geistgeschenkter Medizin"; oder wie in Röm 12,6-8 die "Gütezeichen Gottes", die den Begabungen als "Kriterium für Echtheit" geschenkt werden (87 ff.; 118). So ist auch in 1Petr 4,10 nicht von den Charismen als Befähigung zur Verkündigung oder zum Dienst die Rede, sondern vom Geschenk eines je gegebenen einzelnen Wortes oder einer je gegebenen Kraft, das für andere verwaltet werden muss (107-112). Allerdings kann (in 1Kor 12,31) charisma zum "Sammelbegriff sowohl für die größeren Geschenke Liebe, Glaube, Hoffnung als auch für die demzufolge geringeren Geschenke Apostel/ Propheten/Lehrer (12,28a) sowie für die Manifestationen des Geistes im engeren Sinne (12,28b und 29b.30 = 12,7-10)" werden (118).

Diese Zitate zeigen etwas vom Scharfsinn, aber auch von der Problematik dieser Untersuchung. Sie kritisch zu würdigen, würde eine eigene Analyse der Texte fordern. Richtig dürfte sein, dass charisma bei Paulus (und nach ihm) offener und weniger "technisch" festgelegt gebraucht wird, als dies in der neueren Exegese oft angenommen wird. Aber es scheint mir genauso klar zu sein, dass mit der einfachen Bedeutung "Geschenk" eine ganze Reihe von Stellen für den Leser nicht verständlich gewesen wären. Das gilt für 1Kor 1,7 ebenso wie für 1Kor 12,4 (vgl. 5 f.) und Röm 12,6 und auch für die nachpaulinische Verwendung in 1Petr 4,10; 1Tim 4,14 und 2Tim 1,6. B. sieht das im Grunde selber, wenn er an den beiden letzten Stellen mit "(Gnaden-)Geschenk" übersetzt. Tatsächlich ist die Beziehung von charisma und charis sehr viel intensiver, als B. das wahrhaben möchte, und gibt dem Wort eine theologische Prägung im Sinne eines "semitechnical term" (so mit K. S. Hemphill, vgl. 14). So wird das Wort dann auch bei den Apostolischen Vätern (z. B. 1Klem 38,1; Ign Smyrn Einl. u. ö.) gebraucht. Richtig ist, dass die "Charismenlehre" des Paulus nicht schon im Begriff selber steckt, sondern von Paulus im Kontext entwickelt wird, allerdings nach meiner Erkenntnis gerade unter dem Gesichtspunkt, dass die Gnadengaben "zum Dienst am Heil anderer" einzusetzen sind.

Für B. ist dies freilich erst Inhalt des "modernen Charismabegriffs", der im letzten Jahrhundert entwickelt wurde, wie der 2. Teil, die "Geschichte des Wortes Charisma in der Theologie" (117-220) zeigen soll. Diese Entwicklung wird dann auch noch einmal zu Beginn des 3. Teils "Charismen Gottes und Heiliger Geist" (221-297) skizziert, der als ganzer der "Theologischen Reflexion und Pragmatik" gewidmet ist. Er behandelt grundsätzliche Fragen aus dem Bereich "Charisma und Amt", aber auch seelsorgerliche Überlegungen zu Herausforderungen in der Charismatischen Bewegung. Für diese Überlegungen will B. nun doch eine Bedeutung von "Charisma" zu Grunde legen, die sich "an den Grundoptionen des II. Vatikanums und der ökumenischen Dokumente orientieren" soll (248). Er definiert: "Charisma ist eine aus der Gnade Gottes hervorgehende, jeweils von Gott dem Heiligen Geist besonders, nämlich individuell und ereignishaft, zugeteilte Befähigung des einzelnen zum Leben und Dienen in der Heilsgemeinschaft der Kirche und in der Welt" (249 f.297).

In den weiteren Ausführungen, die viele Aspekte der Thematik verantwortlich und umsichtig bedenken, ist auffallend, aber nicht überraschend, dass B. gegen eine Abwertung des "Sprachengebetes" spricht. Schon im exegetischen Teil sah er in 1Kor 12 und 14 keineswegs die Tendenz, die Glossolalie zurückzudrängen; im Gegenteil, für ihn beziehen sich die pneumatika von 14,1 im Wesentlichen auf das Geschenk des "Sprachengebets", und so übersetzt er 14,1 sinngemäß: "Pflegt die Geist-Phänomene [des Sprachengebets], vor allem damit ihr prophetisch redet", und führt dafür auch die heutige Erfahrung an, dass das Sprachengebet ein "Tor" zur Prophetie ist (70 f.; vgl. 269). Deshalb ist es ihm auch wichtig, dass das Verständnis der Gnadengaben nicht so eingeengt wird "als ob Charisma immer nur in der Form eines Dienstes und nicht auch eines einfachen Lebensvollzuges, nur zum Aufbau einer Gemeinde und nicht auch des Empfängers selbst gegeben werden könne" (240). Insgesamt aber plädiert B. "für eine Akzentverlagerung von einer einseitigen Betonung von Sakrament und Ritus (katholisch) oder von Wort und Intellektualität (reformatorisch) zu einer größeren Offenheit für das je aktuelle, überraschende Wirken des Heiligen Geistes, das sich zwar an Wort und Sakrament ausweist und diese unterstützt, aber doch eigenständig ist" (297).

In Band 2 geht B. in ähnlicher Weise auf Begriff und Sache der sog. "Geistestaufe" ein. Er wählt dazu einen weiten Anmarschweg. Zunächst stellt er in Kap. 4 "Unser Sprechen vom Heiligen Geist" (11-42) in einer lockeren Systematik biblische Motive und heutige Fragen zu Offenbarung und Wirkung des Geistes vor. Dann wendet er sich in Kap. 5 "Taufe - Das Werden eines Begriffes" (43-96) semantischen Fragen des biblischen Zeugnisses von der Taufe zu. Dabei vertritt er die These, dass baptizein im NT noch wenig als terminus technicus, sondern meist in seiner bildhaften ursprünglichen Bedeutung "eintauchen in", "waschen mit" o. ä. gebraucht wird und auch dort, wo sich der technische Sprachgebrauch entwickelt, nicht alle heutigen Konnotationen enthält. Darum übersetzt er baptisma nicht mit Taufe, sondern mit Tauchbad oder "Tauchung". Folglich spricht auch Mk 1,8 par. oder Apg 1,5; 11,16 nicht von einem "Taufen", sondern von einem "Übergießen, Überschütten" mit dem Heiligen Geist (82-89).

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage nach der "Geisttaufe in der Bibel?" (97-140) und bei den Kirchenvätern (141-252) führt B. im Gespräch mit dem Buch von K. McDonell und G. T. Montague, Christian Initiation and Baptism in the Holy Spirit. Evidence from the First Eight Centuries, 21994 (deutsch: Eingliederung in die Kirche und Taufe im Hl. Geist, 1998), an dessen Übersetzung er selber beteiligt war. Er weist darauf hin, dass im NT nicht von ungefähr das Substantiv "Geisttaufe" fehlt. Das Wort suggeriert einen "Ritus", der entweder mit der Wassertaufe verbunden oder als selbständiges Durchbruchsereignis gesehen wird, was beides den viel offeneren Aussagen des NT über die Geistverleihung nicht gerecht wird. Anhand einer Überprüfung der jeweiligen Texte kritisiert B. auch den Versuch McDonells, bei vielen Kirchenvätern die Erwartung bezeugt zu finden, dass mit der Taufe die Erfüllung mit dem Heiligen Geist, die sich durch Charismen manifestiert, verbunden sei.

Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit McDonells These, dass "Taufe im Heiligen Geist" Wesenselement christlicher Initiation und damit normativ sei, führt B. zu Beginn von Kap. 8 "Systematische Klärung" (253-306). Er sieht in den neutestamentlichen Aussagen einen metaphorischen Ausdruck für "das gesamte Wirken des Erhöhten, insofern er den Menschen Geist sendet, und man muß der Versuchung widerstehen, die betreffenden Aussagen auf ein punktuelles Ereignis, etwa eine Initiation einschränken zu wollen" (265). Das führt B. ins Gespräch mit den Erfahrungen und theologischen Reflexionen in Pfingstbewegung und Charismatischer Erneuerung, das er in Kap. 9 "Gespräch mit einigen Autoren" (307-361) fortsetzt, dem manchmal nur mühsam zu folgen ist, weil es auch deren Gespräch mit anderen Autoren referiert.

Dem folgt mit "Zusammenschau und Ergebnis" noch einmal eine knappe und differenzierte Darstellung der Problemstellung. Die Lösung B.s lautet: Was seit Beginn des 20. Jh.s als "Geisttaufe" erfahren wird, darf weder sakramental noch charismatisch normativ verstanden werden, sondern ist "eine konkrete Gnade heute, von der niemand sagen kann, wie lange sie so andauern wird" (365), und die auch nicht so beurteilt werden sollte, "als ob [sie] die einzige und universale Form des vollen Geistwirkens sei" (367). Dennoch ist diese Erfahrung ein wichtiges Gottesgeschenk für unsere Zeit. "Die Botschaft des pfingstlich charismatischen Aufbruchs in die Christenheit und in die Menschheit hinein ist, auf Grund des neuartigen Wirkens des Geistes, das die Betreffenden erfahren haben, alle Christen und alle Menschen zu ermutigen, sich dem Geist Gottes zu öffnen, damit er in jedem Leben auf seine Weise und nach seiner Wahl in Fülle wirken kann" (a. a. O.). Auch wer die philologischen und exegetischen Argumente B.s nicht überall teilen kann, wird dankbar feststellen, dass diese Ergebnisse dem Geist der neutestamentlichen Aussagen entsprechen und eine hilfreiche Grundlage für das ökumenische und seelsorgerliche Gespräch mit pfingstlichen und charismatischen Kreisen sind.