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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

566 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Valliere, Paul

Titel/Untertitel:

Modern Russian Theology. Bukharev, Soloviev, Bulgakov. Orthodox Theology in a New Key.

Verlag:

Edinburgh: Clark 2000. X, 443 S. 8. Lw. ¬ 29,95. ISBN 0-567-08755-7.

Rezensent:

Stefan G. Reichelt

Paul Valliere, Professor of the Humanities an der Butler University in Indianapolis, legt uns nach diversen Arbeiten zur russischen Philosophie- und Geistesgeschichte, wie der Dissertation über den Mystiker Michail M. Tareev von 1975 und Aufsätzen über Sophiologie (1996) und Solovievs und Schellings Philosophie der Offenbarung (2001), nun eine ansprechende Studie zur modernen russischen Theologie vor.

Grundlegend unterteilt er, wie auch seine Lehrer Vater Alexander Schmemann und Vater John Meyendorff (vgl. IX u. 1), letztere in die dominierende Neopatristische und die Russische Schule, welche in den letzten Jahren mehr und mehr in Vergessenheit geriet, wegen ihrer vielversprechenden Ansätze aber wieder stärker ins Licht der westlichen und der orthodoxen Öffentlichkeit gerückt werden sollte. Verheißungsvoll scheint besonders die Anerkennung einer dogmatischen Entwicklung in der Orthodoxie, auch über die sieben ökumenischen Konzilien hinaus, zu sein. V. nimmt sich der Aufgabe der Erforschung und Vermittlung der schöpferischen Impulse der russischen Schule an, dem er die drei - mit Ausnahme des Ersteren recht bekannten - Vertreter Aleksandr Matveevich Bukharev (Archimandrit Feodor; 1824-1871), Vladimir Sergeevich Soloviev (1853-1900) und Sergei Nikolaevich Bulgakov (1871-1944) in ihrem biographischen Kontext vorstellt. Lässt auch die Begründung der Auswahl "Bukharev, Soloviev and Bulgakov have been selected to represent the beginning, middle and end of the Russian schools, respectively [...] Bukharev was not the first Russian Orthodox thinker of the modern age [..] But Archimandrite Feodor represents the starting point of the Russian school better than the lay philosophers because he was a church theologian" (8) Fragen offen - auch Solovev war "lay theologian" und hätte demzufolge in der Auswahl keinen Platz finden dürfen -, ist die Arbeit als Ganze doch eine reife Frucht. Auf der Grundlage ausgiebiger Quellenstudien versteht es der Autor, drei Porträts zu präsentieren, die dem mit russischer Geistesgeschichte Vertrauten wertvolle neue Detailinformationen bieten und auch für den Nichtfachmann verständlich und gewinnbringend sind.

So wird der 1863 laisierte Aleksandr M. Bukharev unter der Überschrift "Orthodoxy and the modern world" auf den Seiten 19-106 in erster Linie als Schatzgräber orthodoxer Dogmatik, verantwortungsvoller Erneuerer und früher Ökumeniker bzw. Präökumeniker, Vladimir S. Soloviev auf den Seiten 107-224 als Mystiker und kritischer Denker an einer Zeitwende, vehementer Vertreter einer Theologie des Gottmenschentums oder der Menschlichkeit Gottes sowie ein den Herausforderungen der Ökumene im Innersten verbundener Systematiker und Sergei N. Bulgakovs Denken (225-372) als in seiner Entwicklung von marxistisch inspirierter Nationalökonomie über die Hinwendung zur Orthodoxie bis hin zur vollen Ausprägung der "Dogmatics of the humanity of God" vorgestellt.

Gleichsam als begrifflicher Schlüssel und roter Faden für die im Einzelnen doch recht unterschiedlichen Theologen dient V. das Thema der "Menschlichkeit Gottes" (vgl. Einleitung, 11, 15), ein neuer Übersetzungsvorschlag für den Terminus "bogocelovecestvo" (Gottmenschheit), der dem Kenner protestantischer Theologie im 20. Jh. u. a. durch die Spätschrift Karl Barths "Die Menschlichkeit Gottes" (1956) bekannt ist. Diese "Menschlichkeit Gottes" hat für orthodoxe Theologen der Russischen Schule im Gottmenschen Jesus Christus ihren tiefsten Grund und strahlt von dort auf alle Bereiche menschlichen Seins, wie Natur, Gesellschaft und nicht zuletzt auch Kirche aus.

Weitere relevante Themen der Russischen Schule, welche mutatis mutandis auch Bukharevs, Solovievs und Bulgakovs Denken konstituieren, sind u. a. das Konzept der All-Einheit (vseedinstvo), die Idee der Kosmodizee und die Sophiologie - die Lehre vom gottmenschlichen Grund des Alls (vgl. 388).

Diese hier nur in Auszügen angedeutete Ideenfülle der Russischen Schule in den Spiegelungen und Brechungen dreier repräsentativer Denker in gut lesbarer Form beschrieben zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst V.s. Hinzu kommt die einfühlsame Einbettung der Denksysteme in theologie- und philosophiegeschichtliche Fragestellungen - wie etwa die Beziehung östlicher zu westlicher Theologie -, die den jeweils spezifischen Beitrag um so deutlicher hervorscheinen lassen. Eine ausführliche Bibliographie neuerer und klassischer russischer und sonstiger Literatur zeugt vom soliden Fundament der Studie. Der Sach- und Personenindex ermöglicht das schnelle Auffinden der gesuchten Informationen.

So dürfen wir die neue Einführung in die moderne russische Theologie von V. als gelungenes Lesebuch warm empfehlen und ihr eine große und aufmerksame Leserschaft auch im deutschsprachigen Raum wünschen.