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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

540 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hüttenhoff, Michael

Titel/Untertitel:

Der religiöse Pluralismus als Orientierungsproblem. Religionstheologische Studien.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001. 296 S. gr.8. ¬ 45,50. ISBN 3-374-01860-2.

Rezensent:

Marianne Grohmann

Hüttenhoffs "Religionstheologische Studien" wurden 1999 in Münster als Habilitationsschrift angenommen. H. versteht Theologie der Religionen als Teildisziplin der Systematischen Theologie, die Geltungsansprüche einzelner Religionen untersucht und theologisch beurteilt. Er definiert Religionen allgemein als "Orientierungssysteme [...], die Letzt-Orientierung an Andersheit vermitteln und realisieren" (13, 14 et al.).

Im ersten Teil seiner Arbeit beschreibt H. Grundzüge der aktuellen religionstheologischen Diskussionslage. Er setzt sich zunächst ausführlich mit den religionstheologischen Optionen zur Beschreibung des Verhältnisses der einzelnen Religionen zueinander auseinander: Das weit verbreitete Dreierschema - Exklusivismus, Inklusivismus/Superiorismus und Pluralismus - erweitert er um eine vierte, die religionskritische Option, die alle religiösen Geltungsansprüche bestreitet. H. selbst sieht dieses Dreier- bzw. Viererschema in einer je nach Kontext "schwankenden Terminologie" (31) mit einigen Differenzierungen als plausibel an. Er liefert eine "weiche" Definition von Pluralismus und gibt den Anspruch auf eine trennscharfe Definition der Optionen auf (76-77).

Dann gibt H. einen Überblick über die religionstheologische Diskussionslage des 20. Jh.s und beschreibt exemplarisch die wichtigsten Ansätze (78-153): die meist exklusivistische dogmatische Theologie der Religionen in evangelischer (z. B. Karl Barth, Paul Althaus) und katholischer Theologie (z. B. Karl Rahner, Joseph A. DiNoia), Wolfhart Pannenbergs Programm einer kritischen Theologie der Religionen, das H. dem Inklusivismus zurechnet, und das Programm einer globalen, pluralistischen Theologie mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Wilfred Cantwell Smith, Paul F. Knitter, John Hick). Während die sog. dogmatische Theologie nur schlaglichtartig beleuchtet wird, werden die pluralistischen Ansätze, v. a. Hick, ausführlich dargestellt und diskutiert. H.s Ziel ist eine "echte, den dogmatischen Ansatz überschreitende Vermittlung zwischen christlichen Lehren und Lehren anderer Religionen", wobei gleichzeitig die "Übereinstimmung mit den zentralen Lehren des Christentums und den aus ihnen folgenden Lehren über andere Religionen" gewahrt bleiben soll (86).

Im zweiten Teil seiner Arbeit (154-273) liefert H. als systematisch-theologischen Beitrag Grundzüge eines eigenen religionstheologischen Entwurfs: Er vertritt einen reflektierten Positionalismus, der sich der Standortgebundenheit jedes religiösen Orientierungssystems - in seinem Fall der christlichen Tradition - bewusst ist. Keine Religionstheologie kann einem Inklusivismus der Denkstruktur und einem kriteriologischen Egozentrismus entgehen.

Gleichzeitig plädiert H. für ein christliches Selbstverständnis, das mit einem potentiellen, monozentrischen religionstheologischen Pluralismus kompatibel ist: potentiell ist er, weil sich schwer nachweisen lässt, dass die Geltungsansprüche verschiedener Religionen auf höchstem Niveau tatsächlich gleichwertig sind; und monozentrisch ist er, weil im Rahmen christlicher Theologie Geltungsansprüche anderer Religionen nur dann als gleichwertig gelten können, wenn sie sich in irgendeiner Form auf dieselbe letzte Wirklichkeit beziehen wie der christliche Glaube. Der Exklusivitätsanspruch des christlichen Orientierungssystems ist aber aufzugeben, Superioritätselemente auszuscheiden oder neu zu interpretieren. Drei zentrale Begriffe der christlichen Theologie - Glaube, Christus und Gnade - werden so gedeutet, dass sie mit einem potentiellen Pluralismus kompatibel sind. Die Kapitelüberschriften sind an dieser Stelle unscharf, die Bereiche gehen ineinander über (183-210). H. setzt sich hier mit Entwürfen pluralistischer Christologie auseinander, die die Verbindung zwischen der Christuswirklichkeit und dem Menschen Jesus relativieren. Er selbst sieht eine pluralistische Christologie als möglich an, wenn die konstitutive Christologie der Tradition durch eine repräsentative ersetzt wird: In Christus hat sich die für den christlichen Glauben maßgebliche Offenbarung Gottes ereignet, gleichzeitig können an anderen Orten und zu anderen Zeiten für andere Menschen andere Erschließungsereignisse zentral sein. Um den Geltungsanspruch einer nichtchristlichen Religion zu Wort kommen zu lassen, konkretisiert H. seine Überlegungen anhand des Verhältnisses der mahayana-buddhistischen Vorstellung von Shunyata, der Leerheit, beim japanischen Zen-Philosophen Masao Abe und der christlichen Gottesvorstellung (234-265).

Die praktische, ethische Ebene des interreligiösen Gesprächs wird bei H. bewusst vernachlässigt: Er geht davon aus, dass die Positionalität menschlicher Orientierung einen ethischen Konsens unwahrscheinlich macht. Eine gewisse Affinität hat er zur ethischen Forderung, andere in ihrer Andersheit anzuerkennen, sich mit ihr auseinanderzusetzen und die eigene Position durch diese Andersheit in Frage stellen zu lassen.

H.s Arbeit gibt einen differenzierten Überblick über die aktuelle religionstheologische Diskussionslage, v. a. über pluralistische Ansätze aus dem angloamerikanischen Bereich. Die Struktur seines Werkes ist allerdings streckenweise unklar, die Kapitel sind teilweise wenig miteinander verzahnt. H.s eigene Standortbestimmung ist an einigen Punkten undeutlich: Die von H. postulierte kritische Einstellung gegenüber der eigenen Orientierung und die Bereitschaft, sie auch in Frage stellen zu lassen, ist sicher eine notwendige Grundhaltung im Gegenüber zu anderen Religionen. Es fehlen aber Kriterien dafür, wann eine solche Modifizierung des eigenen Orientierungssystems notwendig ist und wie weit die Bereitschaft geht, die eigene Orientierung zu überprüfen und Wandlungen zuzulassen. Es besteht hier die Gefahr, dass - gerade angesichts des Pluralismus innerhalb der einzelnen Religionen - die Grenzen unklar werden. H. gibt zwar Kriterien für Orientierungssysteme wie Konsistenz und Kohärenz an (270-271), es fehlen aber Kriterien dafür, welche Elemente anderer Religionen vermittelt werden können und wo die Grenze des Christlichen liegt.