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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

444–446

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Overbeck, Franz-Josef

Titel/Untertitel:

Der gottbezogene Mensch. Eine systematische Untersuchung zur Bestimmung des Menschen und zur "Selbstverwirklichung" Gottes in der Anthropologie und Trinitätstheologie Wolfhart Pannenbergs.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2000. 457 S. gr.8 = Münsterische Beiträge zur Theologie, 59. Kart. ¬ 57,30. ISBN 3-402-03964-8.

Rezensent:

Alf Christophersen

Über die Konfessionsgrenzen hinweg sind die Arbeiten Wolfhart Pannenbergs seit geraumer Zeit zum Gegenstand zahlreicher kleinerer und größerer, teilweise monographisch angelegter Abhandlungen geworden. Die hier vorliegende, unter Anleitung von Thomas Pröpper an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster erstellte Dissertation widmet sich Pannenbergs Anthropologie und Trinitätslehre. "Zu den großen, immer wiederkehrenden und provozierenden Themenbereichen eines vor dem Forum der menschlichen Vernunft verantworteten christlichen und kirchlichen Glaubens gehören die Fragen nach dem Wesen des Menschen und dem Wesen Gottes" (9). Einleitend umreißt Overbeck so den Ausgangspunkt seiner Themenstellung. Im rückseitigen Klappentext des Buches wird dieser Satz auf "die Frage nach dem Verhältnis von Gott und Mensch" zugespitzt. Handelt es sich bei diesem Allgemeinplatz um einen verlagstechnischen Fehler?

O. gliedert im Anschluss an eine Einleitung (9-18) seine Untersuchung in vier Hauptkapitel: Zunächst werden unter der Überschrift "Bestimmung des Menschen und Bestimmung Gottes" die "Koordinaten der Denkform Wolfhart Pannenbergs" (19-102) zusammengefasst. Es schließt sich die "theonome Bestimmung des Menschen" als eine philosophisch ausgerichtete "Explikation der Gottbezogenheit des Menschen" an (103-240), worauf sich das dritte Kapitel dieser Bezogenheit als einer "theologische[n] Bestimmung des Menschen" aus trinitätstheologischer Perspektive zuwendet (241-322) und das Abschlusskapitel die "Geschichte der Realisierung" der menschlichen Gottbezogenheit als "Verwirklichung der Bestimmung des Menschen als ,Selbstverwirklichung Gottes'" erörtern möchte (323-439).

Angesichts des auf Grund "der bisherigen philosophischen und theologischen Denk- und Konfliktgeschichte" einzuhaltenden "Niveau[s]" (9) formuliert O.: "Es geht um das Verstehen des Menschen und seiner Identität in Bezug zum und Abhängigkeit vom trinitarischen Wesen Gottes, um eine rationale Verantwortung der vom Glauben vorgegebenen Wesensbestimmung des Menschen" (10). Anthropologie und Trinitätstheologie hängen somit untrennbar zusammen. Eine Verhältnisbestimmung von "Autonomie und Theonomie" (11) soll erfolgen, die die theonome menschliche Gottbezogenheit expliziert. Leitbegriffe der Darstellung sind dabei Subjektivität und Freiheit.

Diese von O. argumentativ nicht näher ausgeführten Gedanken bilden den Hintergrund für seine Auseinandersetzung mit Pannenberg, dessen anthropologisch motivierte und vermittelte Theologie eine "theonome Bestimmung des Menschen" liefere, wobei der anthropologisch gewonnene Befund "philosophisch reflektiert und theologisch beansprucht" (12) werde. O. wendet sich Pannenberg mit der Annahme zu, dass dieser "die interne Struktur des Subjekts und dessen ursprüngliche Fähigkeit des Sichverhaltens und Sichentschließens als solche [...] kaum oder gar nicht" thematisiere und sich somit für ihn "eine transzendentale Theorie des Selbstbewußtseins und der Freiheit [...] zu erübrigen" (14) scheine. Diese Defizite fänden sich nicht "in der transzendentalphilosophisch vermittelten Offenbarungstheologie" Pröppers, der ein "in seinen Ansprüchen an den Intentionen Pannenbergs zu bemessendes Denkkonzept" (14) vorgelegt habe. O. will die vermeintliche Überlegenheit eines offenbarungstheologisch verankerten transzendentalphilosophischen Freiheitsgedankens gegenüber Pannenberg darlegen. Vor diesem Hintergrund trägt er zunächst die entscheidenden Eckpunkte, wie sie sich aus dem bisherigen Werk Pannenbergs nahelegen, zusammen - von Duns Scotus' Prädestinationslehre über Analogie und Offenbarung, Offenbarung und Geschichte, die Hermeneutik, die Bestimmung des Menschen und die Christologie bis hin zur Wissenschaftstheorie. Auf dieser Basis bemüht sich O. in den beiden Folgekapiteln aus den Blickwinkeln der philosophisch begründeten Anthropologie einerseits und einer trinitätstheologisch angelegten Wesensbestimmung von Gott und Mensch andererseits um eine Näherbestimmung des ,gottbezogenen Menschen'.

Methodisch hält er sich zunächst eng an die Arbeiten Pannenbergs, die ausführlich referiert werden. Die Darstellung hat streckenweise Exzerptcharakter. Auf S. 210 sind in der Aussage "Nach dem Grundsatz Pannenbergs ,Gott kann nur durch Gott erkannt werden, wenn er sich selbst zu erkennen gibt'" die Worte "durch Gott" zu streichen. Am Ende der Kapitel eins bis drei werden unter der Überschrift "Einsichten" die Ergebnisse gebündelt, analog dazu erhalten vorhandene Unterabschnitte eigene Zusammenfassungen unter dem Stichwort "Ertrag". Neben der Konzentration des Stoffes erhält die Arbeit so zahlreiche Redundanzen, die den Lektürefluss bremsen. Zu dem gleichen Ergebnis führen häufige, viel zu lang gehaltene, teilweise kollageartig gruppierte Zitate und zahlreiche, umfängliche deskriptiv gehaltene Anmerkungen, die ebenso oftmals Wiederholungscharakter haben. Fehlende Prägnanz innerhalb der Darstellung wird auch dadurch verursacht, dass der Vf. Pannenbergs Argumentation nicht intensiv und distanziert genug behandelt. Insbesondere gilt dies für die Hegelrezeption, die in ihrer Relevanz für Pannenbergs Bestimmungen, gerade auch in der Trinitätslehre, unerkannt bleibt. Etwas mehr Eigenständigkeit - Hegels "Enzyklopädie" wird gar nach Pannenberg zitiert (s. 263, Anm. 93) - wäre hilfreich gewesen. O. stellt zwar die vielleicht nicht ganz unberechtigte Frage, ob Pannenberg "mehr als er intendiert in die Nähe der Denkbestimmungen Hegels und dessen Identifikation von ökonomischer und immanenter Trinität" (378) gerate, den argumentativ gehaltenen Versuch einer Antwort leistet er jedoch nicht.

Es sind viele Fragen, die O. immer wieder aufwirft, und sie laufen in ihrem Kern auf den Freiheitsgedanken zu, der bei Pannenberg unterbestimmt bleibe (vgl. 238). O. erkennt in der Ausrichtung an "Souveränität und Absolutheit Gottes [...] einen gefährlichen Zirkel [...], wenn nach dem Gegenüber von Gott und Mensch und damit nach der Freiheit Gottes und der Freiheit des Menschen gefragt wird" (322; vgl. 406). Im Rahmen der Theologie Pannenbergs habe der Mensch letztlich keine andere Möglichkeit, als Gott zu verherrlichen, die Differenz zwischen Gott und Mensch drohe aufgelöst zu werden. "Die menschliche Identitätsproblematik wird in philosophischer wie trinitätstheologischer Perspektive auf Grund des Primates Gottes zu Gunsten einer eschatologischen Ontologie [...] entschieden, d. h. einer Sichtweise, die den Menschen als Subjekt marginalisiert und seine Identität als von Gott aus der Zukunft auf ihn zukommend bestimmt" (436). Diese Abhängigkeit von der zukünftigen göttlichen Wirklichkeit habe für die menschliche Identität die Konsequenz, "daß sie faktisch mit dem Verlust von menschlicher Geschichte bezahlt" (436) werde.

Die breit hergeleiteten Überlegungen Pannenbergs werden im Abschlusskapitel - die Einleitung deutete es bereits an - mit Ausführungen Pröppers konfrontiert. "Der entscheidende Schritt" transzendentaler Freiheitslehre liege "in der Erfassung des Endlichen als Endlichen mittels der formal unbedingten Freiheit und damit in der Betonung der Differenz von Gott und Welt und Mensch, sowie der Beanspruchung der Frage absoluter Begründung" (413 f.). Das Erwirkte wird zu einem eigenen Wirken ermächtigt, seine Selbständigkeit und seine Freiheit werden gewahrt (s. 415) - so der Anspruch. O. hält im Rahmen seiner Pröpper-Rezeption Pannenberg den Bundesgedanken entgegen, der den Menschen als durch Freiheit bestimmten Partner Gottes ernst nehme: "Dem Menschen wird eine Selbstbeziehung erschlossen, die seine Identität für die Übernahme der Unterschiede von Gott und Mensch in den Selbstvollzug öffnet und frei in den Bund einstimmen läßt, den Gott dem Menschen in seiner Selbstoffenbarung anbietet" (438).

Einmal davon abgesehen, dass O.s Abgrenzungen von Pannenberg teilweise den Charakter einer trivialisierten Hegelkritik haben, zeichnen sich seine Anfragen dadurch aus, dass sie lediglich bislang schon häufig erhobene Kritikpunkte reformulieren, ohne - und das ist das entscheidende Manko des Buches - in den neueren, geschweige denn älteren forschungsgeschichtlichen Diskurs eingebunden zu werden.

So ist etwa das Problem, ob mit Gottes Strittigkeit die Fraglichkeit seiner Existenz einhergeht (96; vgl. 98 und 239), in der Debatte mit Pannenberg schon seit Jahrzehnten verhandelt worden. Die kaum argumentativ mit dem Haupttext verknüpfte Erwähnung von Sekundärliteratur und Gegenpositionen in den Fußnoten ist unbefriedigend. Das bloße Zitat der profilierten Stellungnahmen Eberhard Jüngels etwa ersetzt nicht die nähere Auseinandersetzung (s. 115 f., Anm. 63 und 368 f.; vgl. die Wiederholung des letzteren auf 427, Anm. 430). Auch das Personenregister (453 f.) hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Die hervorgehobene Gegenüberstellung von Pröpper und Pannenberg mag aus der Entstehungsgeschichte der Arbeit als Dissertation verständlich sein, erfolgt jedoch ohne nähere Begründung unvermittelt, ist in ihrer Einseitigkeit problematisch und in der Darstellung zu thetisch gehalten. O., der durchaus um die Notwendigkeit hermeneutischer Reflexion (vgl. 10) weiß, kommentiert zudem sein eigenes katholisches Vorverständnis nicht näher - in der Gegenüberstellung zum protestantisch bestimmten Entwurf Pannenbergs hätte ein besonderer, wohl auch innovativer Reiz der Arbeit liegen können und müssen.