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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

415–418

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Thier, Sebastian

Titel/Untertitel:

Kirche bei Pelagius.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. IX, 358 S. gr.8 = Patristische Texte und Studien, 50. Lw. ¬ 118,00. ISBN 3-11-016314-4.

Rezensent:

Ralph Hennings

Diese Untersuchung zur Lehre von der Kirche bei Pelagius hat zum Ziel, "die theologischen Grundlagen der pelagischen Ekklesiologie nachzuzeichnen" (13). Indem Thier dies tut, stellt er bei jedem einzelnen Arbeitsschritt die Verbindung zu anderen zentralen Themen der Theologie des Pelagius her. Dabei ergibt sich, dass die Ekklesiologie nicht losgelöst von anderen Kerngedanken des Pelagius betrachtet werden kann. T. stellt sein Ergebnis in ausdrücklichen Kontrast zu der These von Carlos Garcia-Sanchez (Pelagius and Christian Initiation, Washington 1978), der durch eine Trennung von "orthodoxem" Frühwerk und "heterodoxem" Spätwerk eine "Rettung" des Pelagius aus katholischer Perspektive versuchte, die analog zum Umgang mit dem uvre Tertullians steht. T.s Verdienst ist, die Verflechtung der Themen Anthropologie und Ekklesiologie bei Pelagius aufzuzeigen und die Stringenz nachzuzeichnen, mit der Pelagius an seiner "Fundamentalunterscheidung von posse und velle" festhält, die er am Gnadenbegriff entwickelt hat.

T. wertet für seine Untersuchung hauptsächlich den Kommentar zu den paulinischen Briefen aus, die Pelagii Expositiones XIII Epistularum Pauli. Er zeigt dabei einen äußerst reflektierten Umgang mit der etwas sperrigen Quelle. Pelagius' Kommentar ist zwischen 405 und 410 entstanden, also vor seiner Verurteilung als Häretiker, und deshalb besser überliefert als andere seiner Schriften. T. gibt einen guten Überblick über den gegenwärtigen Stand der Debatte um echte oder unechte Pelagiusschriften (18-30) und eine kenntnisreiche Einführung in die Schwierigkeiten der handschriftlichen Überlieferung der Expositiones (30-40). Eine Einleitung zu seiner eigenen Vorgehensweise bei der Erarbeitung der theologischen Positionen des Pelagius aus seinem Kommentar schließt daran an (40-47), dazu kommen noch "konzeptionelle Überlegungen" (48-50). Mit diesem Vorlauf und der sorgfältigen Durchführung kann er sich getrost der Forderung Johann Taurers stellen, der auf einen reflektierten Umgang mit den Schriften des Pelagius drängt (Augustinianum 34, 1994, 313-358).

T.s Untersuchung ist in vier große Teile gegliedert. Im ersten Teil wird die grundlegende Bedeutung der Anthropologie für die Ekklesiologie aufgezeigt. T. weist nach, dass der Sünden- und Gnadenbegriff des Pelagius für dessen Lehre von der Kirche konstitutiv ist. Durch seine antimanichäische Betonung der Entscheidungsfreiheit des Menschen ergibt sich für die Ekklesiologie ein Entwicklungsgedanke, der dem individuellen Streben der Christen nach perfectio korrespondiert. Im zweiten Abschnitt zeigt T., dass Pelagius die Gemeinschaft der Gläubigen mit Gott vor allem als eine Angleichung der Willen denkt: "Gemeinschaft mit Gott [ist] nur in Harmonie von göttlichem und menschlichem Willen möglich. Eine solche Harmonie kann jedoch nur dann entstehen, wenn sich der Mensch dem Willen Gottes angleicht". Das heißt, dass die Gemeinschaft der Gläubigen stets um "Reinheit" und um "Heiligkeit" (102-115) bemüht sein muss. Erfolge auf dem Weg zur similitudo dei lassen sich dabei als "Verdienste" des Menschen beschreiben. Pelagius vergisst aber nie, darauf hinzuweisen, dass es Gott ist, der die Gemeinschaft mit ihm erst stiftet. Er ermöglicht (posse) das Wollen (velle) des Menschen. Zentral sind dazu die Abschnitte B.I.3.a "Ekklesiologie und Gnadenlehre" und B.I.3.b "Ekklesiologie und die Lehre von der similitudo dei". Den Zusammenhang von Gnade und Zugehörigkeit zur Kirche bei Pelagius beschreibt T. so: "Gnade bedeutet freilich nur die Ermöglichung zum Heil, sie ist nicht die Realität des Heils selbst. Um die Heilswirklichkeit herbeizuführen, muss der Mensch selbst durch seine Zustimmung zu Gott im Akt des Glaubens das Heil aus dem posse in das esse überführen. Anders formuliert: Pelagius begreift den Heilserwerb des Menschen synergistisch als ein Anknüpfen an eine von Gott gesetzte Möglichkeit. Dieses Verständnis der Gnade prägt auch Pelagius' Kirchenbegriff [...] "Dies hat er [sc. Gott] vorherbestimmt, dass die potestas, Gottes Kind zu werden, jeder besitzt, der glauben wollte." Kind Gottes zu werden, als ein solches der Kirche anzugehören, aber auch die daraus erwachsende Perspektive, mit Christus in Herrlichkeit aufzuerstehen, ist demnach ein von Gott selbst vorherbestimmtes posse des Menschen. Der Mensch seinerseits muss Gottes Angebot zum Heil annehmen und in freiwilliger Entscheidung tragen. Daher stellt Pelagius unter Aufnahme von Act 4,31 ausdrücklich fest (zu Eph 1,5, Exp. 345,19-346,12), dass nur derjenige Mensch in die Gotteskindschaft einbezogen wird, der ,glauben wolle' (credere voluisset)" (118-119).

Diese von T. "Fundamentalunterscheidung" genannte Diastase zwischen der göttlichen Ermöglichung menschlicher Möglichkeiten (posse) und dem menschlichen Ausschöpfen der ihm so gnadenhaft eröffneten Möglichkeit in einem willentlichen Akt (velle) zieht sich wie ein roter Faden durch die Darstellung. Sie erweist sich auch als Schlüssel zu der im dritten Teil behandelten Vorstellung, die Pelagius von der Einheit der Kirche hat. Denn es "handelt sich bei den membra des corpus Christi um Menschen, die an dem Entschluss, Mitglied der Kirche zu sein, kraft ihres freien Willens festhalten" (174). Aus diesem Grunde ist Pelagius nicht sehr an einer Auslegung der paulinischen Charismenlehre auf die kirchliche Hierarchie interessiert, wie sie etwa der Ambrosiaster vornimmt (168-170), sondern betont stattdessen die zentrale Bedeutung der doctrina mittels derer das velle der Christen "positiv, d. h. glaubensfördernd beeinflußt werden kann" (316). T. beschreibt im vierten Teil seiner Untersuchung die Bereiche Verkündigung und Seelsorge als zentrale Aufgaben der Amtsträger. Denn nur so können in der Sicht des Pelagius die Christen gestärkt werden, an ihrem Entschluss, zur Kirche zu gehören, festzuhalten und dabei nach immer größerer perfectio zu streben (220). Da Pelagius zudem in seiner Abendmahlslehre den Opfergedanken bewusst ausblendet, tritt priesterliches Handeln weitgehend in den Hintergrund. Stattdessen sieht er in der Kirche einen Platz für ein lehrendes Amt, das nicht in die kirchliche Hierarchie eingebunden ist. Darin darf man getrost eine Beschreibung des Selbstverständnisses des Pelagius als geistlicher Mentor erblicken (247). Dennoch lehnt Pelagius die sakramentalen Handlungen der Kirche nicht ab, er betont jedoch in jedem Fall die Eigenverantwortung der beteiligten Menschen. Das ist besonders deutlich bei der Taufe, in der Pelagius im Bekenntnis den zentralen Akt sieht (256-270) und bei der Buße, mit ihrer Betonung des Willens zur Umkehr. Im Abschnitt über die Buße sieht T., wie Garcia-Sanchez einen starken antinovatianischen Impuls in den Gedanken des Pelagius (270-294). Während das Schlusskapitel über das Abendmahl in der Theologie des Pelagius deutlich zeigt, dass "die Heiligkeit der Kirche das zentrale Motiv seiner Ekklesiologie darstellt". Deshalb bleibt er "seinem theologischen Ansatz treu, wenn er die Mahlfeier gedanklich mit der Heiligung der Christen verknüpft" (296). Diese Forderung nach einer Kirche "ohne Flecken und Runzeln" gilt in besonderem Maße für die Amtsträger. "Letztlich verfügen ja nur die christlichen Asketen, die eine Elite unter den Christen bilden, über die intellektuelle und moralische Reife, die notwendig ist, um den hohen Anforderungen, die Pelagius an das kirchliche Amt stellt, vollends gerecht zu werden" (252).

Hier zeigt sich, dass die Ekklesiologie des Pelagius zum einen von seiner theologischen Fundamentalunterscheidung zwischen posse und velle geprägt ist, zum andern aber nicht von seiner Lebensform als christlich-asketischer Mentor zu trennen ist. T. stellt abschließend fest, dass die pelagische Ekklesiologie Defizite aufweist, die vor allem darauf beruhen, dass es ihm insgesamt nicht gelungen ist, die Bedeutung der Kirche und ihre heilsvermittelnde Funktion überzeugend darzustellen (324). Seine Schüler und Gegner haben sich nicht zuletzt deshalb nahezu ausschließlich auf die Anthropologie und das Gnadenverständnis des Pelagius konzentriert. T. arbeitet hingegen die Ekklesiologie des Pelagius mit ihren Stärken und Schwächen heraus und besticht dabei durch den reflektierten Umgang mit den Quellen und sorgfältige Einarbeitung der exegetischen Literatur mit der sich Pelagius auseinandersetzt.

Hervorzuheben ist auch die Leserfreundlichkeit der Untersuchung, die durch zahlreiche Zusammenfassungen und einen übersichtlichen Aufbau sichergestellt wird. An manchen Stellen vermisst man allerdings Hinweise auf weiterführende Literatur, vor allem bei Themenbereichen, die nicht im Kernbereich von T.s Interesse liegen, aber dennoch angesprochen werden. Fahrlässig ist, dass T. bei seinen häufigen Verweisen auf den Römerbrief-Kommentar des Origenes weder die neue Ausgabe von Caroline P. Hammond-Bammel und ihre Aufsätze zu diesem Text, noch die deutsche Übersetzung von Theresia Heither benutzt hat.