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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

184–186

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Perkins, Pheme

Titel/Untertitel:

Peter. Apostle for the Whole Church.

Verlag:

Edinburgh: Clark 2000. VII, 209 S. 8 = Studies on Personalities of the New Testament. Kart. £ 12.95. ISBN 0-567-08743-3.

Rezensent:

Lutz Doering

Nach R. Peschs Werk über "Simon-Petrus" (1980) ist in den letzten Jahren eine Reihe von Monographien über den "ersten" Apostel erschienen.1 Das zeugt von einer wachsenden Bedeutung des prosopographischen Zugangs, wie er auch durch Arbeiten zu anderen Gestalten des frühen Christentums oder im Titel der von D. Moody Smith herausgegebenen Reihe "Studies on Personalities of the New Testament" dokumentiert wird. In dieser Reihe hat Pheme Perkins, Professorin für Neues Testament an der (kath.-)Theol. Fakultät des Boston College, Massachusetts, mit dem anzuzeigenden Buch ein solides und lesbares Werk über Petrus vorgelegt.

P. schreibt sowohl für Fachleute als auch für das breitere Publikum. Methodisch verbindet sie das klassische historisch-kritische Instrumentarium mit neueren Fragestellungen wie soziologischen Zugängen (26), narrative und reader-response criticism (54, 74) und einem Augenmerk für Rhetorik in der Brief-Exegese (110). Diese Ausgewogenheit resultiert in einer doppelten Befragung der Texte: einmal als Quellen für eine "Geschichte Petri", zum andern als Entwürfe eines je spezifischen "Petrus-Bilds". Beim Zweiten liegt P.s Schwerpunkt.

In der "Introduction" (1-17) legt P. ein deutliches ökumenisches Interesse offen, das die Untersuchung anleitet und am Schluss wieder explizit wird. Nachdem sowohl die frühere römisch-katholische Herleitung päpstlicher Autorität vom biblischen Petrus als auch die protestantische Vorordnung des Paulus, in historischer Hinsicht v. a. vorangetrieben durch die Tübinger Schule, aufgegeben worden ist, nehme man heute die Vielgestaltigkeit des frühen Christentums wahr. Hier erweise sich Petrus als ein kirchlicher "centrist" (5, 9 f., mit J. Dunn u.a.), der integrative Kraft habe und so der "Apostel für die ganze Kirche" werden könne.

Der Hauptteil des Buchs besteht aus sieben Kapiteln. Ich beschränke mich auf Schwerpunkte und auf Details, die zur Rückfrage einladen. Kap. 1 zeichnet mit groben Strichen "a life of Peter" (18-51). Nach Hinweisen u. a. zu Kriterien historischer Rückfrage - angelehnt an die von J. P. Meier für die Rückfrage nach Jesus formulierten (A Marginal Jew I, 1991, 167-195) - erhebt P. zunächst den Befund der Evangelien (galiläischer Fischer, Kontakt zum Täufer [?], Berufung, Messiasbekenntnis "in first-century Jewish terms" [43], Satanswort, Verleugnung, Martyrium [Joh 21,18 f.]). Dann wendet sie sich den Angaben der Apg und der Paulusbriefe zu: anfangs Leiter der Jerusalemer Gemeinde, während des Apostelkonzils eine der drei "Säulen", dann Aufenthalt in Antiochien; mehrfache Verfolgung in Jerusalem; später verliert sich die direkte Spur. Wie sich die aus Apg und Gal 2,11-14; 1Kor 1,12 zu schließende Mission an Nichtjuden zu der in Gal 2,9 festgehaltenen Adressierung an "die Beschneidung" verhält, ob damit der hauptsächliche Bereich bezeichnet ist (so Böttrich) oder ob Petrus einen Wandel vollzogen hat (so Pesch), bleibt unklar. Hypothetisch bleibt die Deutung von 1Kor 1,12 auf einen Besuch des Apostels in Korinth (37, aber 120). Arg knapp äußert sich P. zum archäologischen Befund auf dem Vatikan und in Kafarnaum (38 f., zu Betsaida nur ein Hinweis [40], aber nichts zur Topographie), ebenfalls knapp zum Namen "Petrus/Kephas" (39 ff., wo man einen Hinweis auf P. Lampe, NTS 25 [1978/79], 227-245, vermisst).

In Kap. 2 und 3 stellt P. geschickt je zwei Petrus-Bilder zusammen: das von Mk und Mt (52-80) sowie das von Lk-Apg und Joh (81-108). Im Mk sei Petrus der wichtigste Jünger, den anderen aber nicht übergeordnet. Die knappe (wenig gegliederte) Diskussion der 15 Szenen mit Petrus zeigt, dass die Jünger im Erzählverlauf Identifikationsfiguren blieben; negative Züge verdankten sich literarischen Techniken, nicht einer Petrus-kritischen Haltung (58-66, 72 f.). Bei Mt oszilliere das Petrus-Bild: Teils sei er repräsentativer, teils einzigartiger Jünger, aber ohne sukzessionsfähiges Amt (71). Zu seiner Verbindung mit "Lehre" heißt es: "it is halachah, practice, not doctrine that is founded on the apostle" (71), wofür P. neben Mt 16,19 (Schlüsselwort) auch 15,15 (zur Reinheit), 17,24-27 (zur Tempelsteuer) und 18,21 (zur Vergebung) anführt (66). Ob dieser Gegensatz berechtigt ist und die genannten Themen, vor allem die Vergebung, bei Mt "Halacha" sind, bleibt zu fragen (auch ist "Halacha" nicht "Praxis"!).

Für Lk zeigt P. vor allem, wie die Jünger, unter ihnen Petrus, entlastet werden (84-87). An der Apg akzentuiert sie die Wunder des Apostels (88 ff.) und seine Rolle beim Überschritt zur Heidenmission, an der sie sowohl Bedeutung wie Einbindung Petri hervorhebt (90-94): So bedeute die Kornelius-Erzählung (Apg 10 f.) nicht den Durchbruch zur Heidenmission, da die Taufe des Kämmerers durch Philippus 8,26-40 voransteht (doch ist der Kämmerer nach 90 "proselyte"). Die Rolle von Apg 10 f. bleibt dabei unklar. Am Joh interessiert P. der Kontrast zwischen Petrus und dem Lieblingsjünger (96 ff.), der Petrus als Vorbild überflügle. Joh 21 korrigiere aber nicht eine antipetrinische (Vor-)Stufe des Joh, sondern erkenne die Hirtenfunktion Petri für Gemeinden außerhalb des joh Kreises an (98-101, 103). Sollte Petrus nur zum Weiden mancher Schafe bestimmt worden sein?

Kap. 4 (109-130) wendet sich den neutestamentlichen Briefen zu. Wie Paulus Petrus darstellt, könne mit dem Joh verglichen werden: Zwar könne er seine Bedeutung nicht ignorieren, aber "Peter's weaknesses are exploited to highlight God's presence in the Pauline mission" (118). 1Petr 5,1.13 wird sehr eng auf die Gefangenschaft in Rom gedeutet (anders J. Herzer, Petrus oder Paulus?, 1998, 264 ff.). Dass sich der Brief im Namen Petri an eine Gegend richtet, in der die paulinische wie die joh Tradition stark sei, weise hin auf seine Bedeutung für die Kirche als ganze (120). Soll der Name dem Schreiben vor allem apostolische Autorität verleihen (122)? Oder ist der Brief auch sachlich zu Recht mit diesem Apostel verbunden (Dschulnigg, Herzer)? 2Petr nutze in Abwehr der sich auch auf Paulus berufenden Gegner (2Petr 3,15 f.) die Autorität Petri, die sich auf Augenzeugenschaft bei der Verklärung (1,16 ff.) gründet - "an appeal which Paul could never invoke, the link between the apostle and the historical Jesus" (125).

In Kap. 5 "Peter, Witness and Martyr" (131-150) diskutiert P. Texte des 2. und 3. Jh.s, die das neutestamentliche Bild vervollständigen wollen. Zunächst (132-138) geht es um solche, die Evangelien-Stoffe erweitern (ApkPetr [äth., griech.]; EvPetr- gegen H. Köster u. a. hier eingeordnet), dann (138 f.) um Belege, die auf das Martyrium Petri bezogen werden können (1Clem 5,4; IgnRöm 4,3 [zurückhaltend]; AscJes 4,3), schließlich (140-147) um die Ausgestaltung des Petrus-Bilds in den apokryphen Petrusakten (ActPetr [kopt. Fragment BG 8502,4; Actus Vercellenses]) sowie den gnostischen "Taten Petri und der zwölf Apostel" (ActPt [NHC VI,1]).

Kap. 6 (151-167) entfaltet das Thema "Peter and Authentic Tradition" nach drei Seiten: in der Inanspruchnahme des Petrus gegen den als Gnostiker stilisierten Simon Magus bei Irenäus, Hippolyt, Eusebius und in den Pseudoklementinen (152-156, doch heißt magus nicht great, so aber 153!), sodann in gnostischen Texten, und zwar zunächst (156-159) solchen, in denen Petrus als Vertreter des konventionellen Christentums in Konflikt mit Maria Magdalena steht (EvThom 114; EvMar [BG 8502,1] 17,10-18,21; PistSoph) bzw. Thomas nachgeordnet wird (EvThom 13), dann (159-163) solchen, in denen er als gnostischer Apostel auftritt (EpJac [NHC I,2] - Jakobus nachgeordnet; EpPetr [NHC VIII,2]; ApkPetr [NHC VII,3]).

Kap. 7 "Peter, Bishop of Rome" (168-181) führt die Entstehung der römischen Bischofslisten (168-173) und das andere Verständnis von Schlüsselgewalt und Stuhl Petri bei Cyprian vor (174 ff.); an Origenes zeigt P. die Deutung von Mt 16,17 ff. auf jeden Christen (177).

In der "Conclusion" (183-186) weist P. auf die Bedeutung des Apostels in einer Kirche hin, die von westlicher Hegemonie Abschied nimmt: Petrus biete Integration in Verschiedenheit und die Fähigkeit, sich auf Veränderungen einzustellen. Was bedeutet da "Petrusdienst"? P. hält den Vorbildcharakter Petri für alle Christen fest, sieht aber auch Raum für eine Einzelperson. Aber: "A Petrine ministry for the Christian churches of the twenty-first century certainly cannot be limited to the historical form that it has taken in the bishop of Rome" (186).

Abgerundet wird das Buch durch fünf Exkurse, eine Auswahlbibliographie (187-197), ein Sach- und Autorenregister (199-203) sowie ein Bibelstellenregister (205-209).

P. bietet über weite Strecken wenig Neues, sondern eher ein konzises und - zumeist - auch zuverlässiges Kompendium historischer Grundlinien und verschiedenartiger Bilder von Petrus. Der besondere Reiz des Buchs liegt ohne Zweifel in der kompetenten und bündigen Besprechung auch der außer- und nachneutestamentlichen Zeugnisse, die über einige der vergleichbaren Bücher hinausgeht. Aus nordamerikanischer Perspektive geschrieben, verarbeitet das Buch eine Vielzahl vor allem dort beheimateter Diskurse, verbindet sie aber durchaus mit Ergebnissen europäischer Forschung. Leserinnen und Leser diesseits des Atlantiks können dabei einiges lernen, werden freilich nicht von allem gleichermaßen beeindruckt sein und auch manches vermissen. Beachtlich sind die ökumenischen Impulse, mit denen P. ihre Fachgrenzen überschreitet. Allen, die an Petrus interessiert sind, kann die Lektüre dieses Buchs nur empfohlen werden.

Das Buch ist bereits 1994 im Verlag der University of South Carolina erschienen. Die vorliegende Neuausgabe erklärt sich aus der Übernahme der Reihe durch T & T Clark in Zusammenarbeit mit Augsburg Fortress.

Fussnoten:

1) R. Pesch, Simon-Petrus. Geschichte und geschichtliche Bedeutung des ersten Jüngers Jesu Christi, PuP 15, Stuttgart 1980 (Rez. ThLZ 109, 1984, 38 f. [O. Betz]); C. Grappe, Images de Pierre aux deux premiers siècles, EHPhR 75, Paris 1995; P. Dschulnigg, Petrus im Neuen Testament, Stuttgart 1996 (Rez. ThLZ 122, 1997, 906 f. [T. Fornberg]); C. Böttrich, Petrus. Fischer, Fels und Funktionär. Biblische Gestalten 2, Leipzig 2001 (vgl. Rez. R. Pesch., o. 173 f.).