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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

72–74

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kolb, Robert

Titel/Untertitel:

Martin Luther as Prophet, Teacher, and Hero. Images of the Reformer, 1520-1620.

Verlag:

Grand Rapids: Baker Books; Carlisle: Paternoster Press 1999. 279 S. m. Abb. gr.8 = Texts and Studies in Reformation and Post-Reformation Thought. Kart. $ 21,99. ISBN 0-8010-2214-2 u. 0-85364-997-9.

Rezensent:

Frank Hofmann

Im Lutherjahr 1983 bemerkte Bernhard Lohse, dass es "für die Geschichte des Lutherbildes vielfach noch an den nötigen Detailuntersuchungen und deshalb auch an einer befriedigenden Gesamtdarstellung fehlt. Hier warten noch zahllose Themen auf Bearbeiter." (Bernhard Lohse: Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, 1983, 212) Ein Thema hat seinen Bearbeiter gefunden: Auf der Basis früherer Einzeluntersuchungen (vgl. 263 f.) hat der amerikanische Systematiker Robert Kolb eine materialreiche Studie über das Bild Martin Luthers im Jahrhundert nach dem für die lutherische Reformation so wichtigen Jahr 1520 vorgelegt. (Auf eine in deutscher Sprache publizierte Vorarbeit sei an dieser Stelle hingewiesen: Robert Kolb: Die Umgestaltung und theologische Bedeutung des Lutherbildes im späten 16. Jahrhundert, in: Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, hrsg. v. Hans-Christoph Rublack, SVRG 197, Gütersloh 1992, 202-231 [234]).

K. vermisst in der bisherigen Literatur eine Untersuchung darüber, auf welche Weise das Bild ("image") und das Denken Luthers lutherisches Denken und Handeln im ersten Jahrhundert nach seinem Auftreten geformt haben (10). Er will untersuchen, wie Luthers Botschaft und sein Werdegang die Ansichten der deutschen Lutheraner des 16. Jh.s von Gott und der menschlichen Geschichte umgeformt haben (11). Mit den Be-griffen "Prophet", "Lehrer" und "Held" benennt K. drei - sich gegenseitig nicht ausschließende - Konzeptionen, die bereits in den ersten Jahren der Reformation auf Luther angewandt wurden und sich in den folgenden Jahr(zehnt)en weiter entwickelten (11 f.).

K.s Buch gliedert sich in zwei Teile: Der erste Teil "Theander Lutherus" (Kapitel 1-5) ist dem Bild Luthers als Prophet, Lehrer und Held gewidmet, während der zweite Teil "Opera Omnia Reverendi Domini Martini Lutheri" (Kapitel 6-8) sich den Prinzipien und Beweggründen der Lutherausgaben im ersten halben Jahrhundert nach seinem Tod widmet.

Das erste Kapitel zeichnet das Bild nach, das Luthers Zeitgenossen von ihm entwarfen. K. ordnet dieses Bild in seinen spätmittelalterlichen Kontext ein: Sowohl das einfache Volk als auch die humanistisch geprägten Gelehrten hofften auf einen Propheten, suchten einen Lehrer und sehnten sich nach einem Helden (37). Schon Anfang der 20er Jahre kann K. hagiographische Tendenzen in der öffentlichen Darstellung des Reformators nachweisen (28).

Das zweite Kapitel widmet sich dem Bild des Propheten: Im Gefolge der Führungskrise nach seinem Tod (39) wurde Luther zu einer normativen Autorität ("adjudicatory authority"; 45), wobei die Autorität seiner Person auf seine Schriften transferiert wurde (54 f.). Texte Luthers fanden Eingang in verschiedene corpora doctrinae (56). Allerdings wurden Luthers Werke nicht allgemein als sekundäre Autorität neben der Heiligen Schrift anerkannt (65 f.), wie es später beim Konkordienbuch der Fall war (72.120). Nicht zuletzt unter dem Einfluss der massenhaft publizierten Bilder (75 f.) wurde Luther als deutscher Prophet gegen die Herrschaft Roms stilisiert (Kapitel 3). Im Konflikt mit den "Sakramentariern" gewann Luther als Lehrer und Garant der reinen Lehre Bedeutung (Kapitel 4), was zur Neuherausgabe entsprechender Luthertexte führte (vgl. die exemplarische Zusammenstellung, 109). Populäre Darstellungen Luthers, beispielsweise diverse Bühnenstücke und Publikationen zum Reformationsjubiläum 1617, stilisierten den Reformator zum Helden des deutschen Freiheitskampfes gegen den Papst (126.131); doktrinäre Elemente traten demgegenüber in den Hintergrund (Kapitel 5).

Die Edition von Luthers Werken erfolgte in zwei verschiedenen Richtungen: Einerseits bemühte man sich um die vollständige Herausgabe seiner Werke (Kapitel 6), andererseits knüpfte man an die mittelalterliche Florilegientradition an und publizierte thematisch orientierte Sammlungen oder bestimmte Einzelschriften (Kapitel 7). Sowohl die eine wie die andere Gattung fand ihre Käufer und Rezipienten: Durch die Edition seiner Werke setzte Luther gewissermaßen seine öffentliche Lehrtätigkeit fort (142), die Tischredenausgaben prägten das volkstümliche Lutherbild (153 f.), Postillen, Bibelauslegungen und Katechismen unterstützten lutherische Pfarrer in ihrer Verkündigung (157.174), durch seine Lieder und Gebete übte Luther weiterhin Einfluss auf die Frömmigkeit aus (163.170). Lutherworte werden für polemische und kontroverstheologische Zwecke verwendet (183.188 f.). Schon früh entstehen erste Hilfen zum Lutherstudium (190 ff.). Dennoch bemerkt K., dass nach Luthers Tod nicht annähernd so viele seiner Schriften erschienen und gekauft wurden, wie zu seinen Lebzeiten (194).

Im 8. Kapitel stellt K. die Gattung der "Loci communes Lutheri" vor, in denen Luthers Erben seine Theologie in die "Denkform" (Wolfgang Brückner) der melanchthonischen Loci pressten (199). Die jeweiligen Herausgeber konzipierten ein Gerüst von Fragen, auf die Luther antworten sollte. So ist es nicht erstaunlich, wenn K. urteilt, die erste derartige Sammlung von Johannes Corvinus aus dem Jahre 1564 lese sich wie die Agenda der Gnesiolutheraner (208). Im Schlusskapitel bietet K. unter dem Stichwort "Theander Luther" eine prägnante Zusammenfassung seiner Ergebnisse (225-230).

K.s Darstellung wird durch eine Reihe von aussagekräftigen Abbildungen von Titelblättern der besprochenen Werke illustruiert. Abgerundet wird die Studie durch eine tabellarische Übersicht über die Druckgeschichte der Wittenberger und der Jenaer Lutherausgabe (231 f.), eine Bibliographie (233-267; besonders die Zusammenstellung der zahlreichen benutzten Werke des 16. und 17. Jh.s verdient Aufmerksamkeit: 233-259) und ein Register (269-278).

Mit diesem Buch liegt eine weitere hilfreiche Detailuntersuchung vor, die dazu beiträgt, die komplizierte Geschichte der Rezeption und Wirkung des Wittenberger Reformators zu erhellen. Leider nur eher beiläufig erläutert K. die Frage, wie Luther selbst sich zu dem jeweiligen Bild, das andere von ihm gewonnen hatten, verhalten hat (z. B. 31 f. zur Vorstellung des prophetischen "Elia"). Gerade unter rezeptionsgeschichtlicher Fragestellung wäre eine eingehendere Diskussion der Frage von Interesse gewesen, inwieweit Luther selbst die von ihm entworfenen Bilder, die K. überzeugend darstellt, zu beeinflussen und eventuell auch zu korrigieren versucht hat. Jedenfalls macht K.s Studie deutlich, dass bereits in dem untersuchten Zeitraum von 1520 bis 1620 die Interessen der jeweiligen Rezipienten das Bild Luthers prägten und damit seine weitere Wirkungsgeschichte nachhaltig beeinflussten. Schon der Luther der lutherischen Konfessionalisierung ist nicht mehr der "historische Luther".