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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1305–1307

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Burkhardt, Helmut

Titel/Untertitel:

Christ werden. Bekehrung und Wiedergeburt - Anfang des christlichen Lebens.

Verlag:

Gießen-Basel: Brunnen 1999. 207 S. 8 = TVG Orientierung. Kart. DM 26,80. ISBN 3-7655-9077-0.

Rezensent:

Peter Zimmerling

Helmut Burkhardt, der bis zum Jahr 2000 Dozent für Systematische Theologie am Theologischen Seminar St. Chrischona bei Basel war, legt mit der vorliegenden Studie eine Arbeit vor, die auf Grund der Aktualität ihrer Themenstellung mit dem Interesse von Theologie und Kirche rechnen darf. Leben wir doch im westlichen Europa derzeit in einem "Katastrophengebiet für die Kirche", um Peter L. Berger zu zitieren. Spätestens seit der Wende von 1989 ist es auch in den alten Bundesländern nicht länger zu übersehen, dass Christsein keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, wann die Zugehörigkeit der Bevölkerung zu den beiden großen christlichen Kirchen unter die 50 % Marke sinkt. B.s Frage, wie einer Christ wird, erscheint noch dringlicher, wenn man sich klarmacht, dass wir eine bis zu den aktiven Gemeindegliedern säkularisierte evangelische Kirche vor uns haben. Man darf also gespannt sein, welche Überlegungen der Autor in die gegenwärtige Diskussion einbringt.

Das Buch gliedert sich in drei Hauptteile. Erster Teil: Von der Nichtselbstverständlichkeit des Christseins; Zweiter Teil: Die christliche Lehre von der Bekehrung; Dritter Teil: Die christliche Lehre von der Wiedergeburt. Dabei geht es im ersten Teil um eine Art kirchliche Situationsanalyse, wobei sich der Autor- nach einem kurzen Einblick in die Geschichte der Volksmission in Deutschland - vor allem mit der EKD-Studie "Christsein gestalten" (4. Auflage 1986) und mit den Ergebnissen der EKD-Synode von 1988 zum Thema "Christ werden - Christ bleiben" kritisch auseinandersetzt. B. kommt zu dem Schluss, dass die Synode eine "verpaßte Chance" darstellte, indem sich der Themenschwerpunkt von Anfang an von der Frage des Christwerdens auf die Frage des Christseins verlagerte. Überdies kritisiert er die Tendenz des Synodal-Papiers, Christ-werden als einen lebenslangen Prozess zu verstehen, anstatt dessen Entscheidungscharakter deutlicher hervorzuheben.

Der zweite Teil des Buches steht sowohl umfangmäßig als auch vom inhaltlichen Gewicht her eindeutig in dessen Zentrum. B. entfaltet darin in drei Unterabschnitten eine "christliche Lehre von der Bekehrung", indem er den biblischen Befund, die Rolle der Rede von der Bekehrung im Verlauf der Kirchengeschichte und schließlich systematisch-theologische Konsequenzen für die Gegenwart, d. h. für die kirchliche Verkündigung und Praxis heute zieht. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass es für das Neue Testament kein Christsein ohne Bekehrung im Sinn einer Umkehr der Lebensausrichtung zu Jesus Christus gibt, wobei diese keine eigene Leistung, sondern Geschenk Gottes durch Wort und Geist ist (56). Beim kirchengeschichtlichen Durchgang geht der Autor exemplarisch vor und zeigt, dass sich jeweils sehr unterschiedliche Interpretationen der Bekehrung durchgesetzt haben. Schwerpunkte bilden die Auffassung von der Bekehrung bei Franz von Assisi, bei Ph. J. Spener und A. H. Francke als zwei herausragenden Vertretern des älteren Pietismus, H. S. Reimarus und I. Kant als Vertretern der Aufklärung und F. Schleiermacher als Begründer der liberalen Theologie. Die Bekehrungslehre der Erweckungsbewegung wird am Beispiel von A. Tholuck und J. T. Beck entfaltet. B.s systematisch-theologische Überlegungen wollen zeigen, dass die biblische Lehre von der Bekehrung gleichermaßen in ihrem Entscheidungs- wie in ihrem Geschenkcharakter zur Geltung gebracht werden muss, wenn es zu einer Erneuerung der Kirche kommen soll.

Der dritte Teil des Buches stellt eine Art kleiner Apologie der von der Kirche seiner Meinung nach vergessenen Lehre von der Wiedergeburt dar. Trotz des relativ schmalen neutestamentlichen Textbefunds bemüht sich der Autor zu zeigen, wie wichtig die Wiedergewinnung des damit gemeinten Sachverhalts für die Kirche heute ist. Kein anderes Symbolwort bringe so anschaulich die Alleinwirksamkeit Gottes bei der Rettung des Menschen zum Ausdruck, kein anderes auch so nachdrücklich die Neuheit des Lebens des Christen, die Konkretheit des neuen Lebens in Jesus Christus und den persönlichen Charakter des Gottesverhältnisses.

Immer wieder spürt der Leser, wo dem Autor das Herz schlägt: Es gelingt diesem, Grundlinien einer biblischen Lehre von der Bekehrung zu entfalten und diese engagiert - in der Tradition von Pietismus und Gemeinschaftsbewegung - in heutigen Überlegungen und Diskussionen zur Geltung zu bringen. Dabei geht es B. darum, zu zeigen, dass die Lehre von der Bekehrung angesichts der gegenwärtigen kirchlichen Lage nicht länger pietistisches Sondergut bleiben darf. Indem sie den Entscheidungscharakter des Christseins unterstreicht, stellt sie ein wirksames Mittel gegen die Selbstsäkularisierung der Kirche (Wolfgang Huber) dar.

Zum Schluss möchte ich noch kurz auf drei Schwachpunkte des vorliegenden Buches hinweisen. Der dritte Teil, "Die christliche Lehre von der Wiedergeburt", wirkt beinahe wie ein Annex, da in systematisch-theologischer Hinsicht nur wenig Neues zur Lehre von der Bekehrung hinzukommt. Schade ist auch, dass B. im ersten Teil des Buches nur auf ältere Verlautbarungen der EKD zurückgreift. Neuere Veröffentlichungen - wie z. B. die Studie "Wachsen gegen den Trend. Auf dem Weg zu einer missionarischen Kirche" (Büro der Landessynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 1998) hätten gezeigt, dass inzwischen in vielen Landeskirchen ein verstärktes Nachdenken zum Thema Christwerden und -sein eingesetzt hat. Eine grundsätzlichere Frage soll schließlich wenigstens angedeutet werden: Es hat mir nicht recht eingeleuchtet, wie B. mit seiner Betonung des Entscheidungscharakters der Bekehrung der - auch von ihm abgelehnten - Lehre einer subita conversio entgehen will. Selbst so namhafte Vertreter des älteren Pietismus wie N. L. von Zinzendorf haben die Lehre von der Bekehrung aus diesem Grund zurückgedrängt zu Gunsten der Entfaltung dessen, was Leben als Christ, was Nachfolge bedeutet. In diesem Zusammenhang hätte ich mir einen Hinweis darauf gewünscht, dass gerade in traditionell pietistischen Kreisen durch die Betonung der Lehre von der Bekehrung auch viele Ängste hervorgerufen worden sind.