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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1203 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Blömer, Michael

Titel/Untertitel:

Die Kirchengemeinde als Unternehmen. Die Marketing- und Managementprinzipien der US-amerikanischen Gemeindewachstumsbewegung.

Verlag:

Münster: LIT 1998. 242 S. 8 = Hamburger Theologische Studien, 18. Kart. DM 39,80. ISBN 3-8258-3915-X

Rezensent:

Jan Hermelink

Angesichts der chronischen Organisationskrisen in den deutschen Landeskirchen hat sich das Interesse an Theoremen und Maximen aus der Erwerbswirtschaft in den letzten Jahren beachtlich verstärkt. Zu den kirchlichen Strömungen, die sich einschlägigen "Marketing- und Managementprinzipien" seit Anfang der 90er Jahre geöffnet haben, gehören die "Gemeindewachstumsbewegung" (im Folgenden: GWB) und andere evangelikale Konzepte der Gemeindeentwicklung. Die Methoden, mit denen jene Strömungen das "qualitative und vor allem das quantitative Wachstum der Gemeinden fördern" wollen (11), stammen jedoch, wie die anzuzeigende Hamburger Dissertation zu Recht bemerkt, im Wesentlichen aus der Bewegung des "Church Growth" in den USA. Die Frage, inwiefern eine kirchliche Gemeinde als Unternehmen begriffen und gestaltet werden kann, wird von B. darum im kritischen Rückgriff auf jene kybernetischen Konzepte bearbeitet.

Die beiden ersten Teile der Arbeit stellen die GWB dar. Zunächst werden Geschichte und "Selbstverständnis" knapp, aber differenziert geschildert (19-39). Aus den USA finden besonders die exemplarische "Willow Creek Community Church" sowie (auch im Folgenden) die Autoren D. McGavran, C. P. Wagner und W. Arn Berücksichtigung, für Deutschland konzentriert sich die Darstellung auf Chr. A. Schwarz. Sodann werden die "ekklesiologischen Voraussetzungen" der GWB rekonstruiert (40-88) und mit eigenen Überlegungen des Vf.s zur Unterscheidung von geistlicher und menschlich organisierter Gemeinschaft und deren Wachstum konfrontiert. Gewährsleute dieser recht thetischen Argumentation sind u. a. W. Kreck, M. Herbst und G. Breitenbach.

Die beiden folgenden Teile diskutieren ausführlich einzelne "Marketingprinzipien" (89-142), etwa die Profilierung des "Angebots" und die Orientierung an Zielgruppen; sowie einzelne "Managementprinzipien" (143-214) wie etwa die Formulierung eines Leitbildes, die Form der Leitung, Mitarbeiterförderung und organisatorische Struktur. Alle "Prinzipien" werden dreifach betrachtet: Einem (meist) kritischen Referat der einschlägigen GWB-Texte folgen jeweils Hinweise auf ähnliche Einsichten in gängigen Handbüchern der Unternehmensführung - hier wird vor allem populäre Managerlektüre herangezogen wie etwa "In search of excellence" von T. Peters und R. Waterman (New York 1982 u. ö.), dazu die "situative" Managementtheorie von P. Ulrich, E. Fluri u. a. Schließlich skizziert B. jeweils mögliche Anwendungen für die "volkskirchliche" Situation in Deutschland (ostdeutsche Verhältnisse und Autoren bleiben unbeachtet). Auch hier werden eher die Überlegungen von Breitenbach, H. Lindner und S. Hillebrecht zusammengefasst als eigene Vorschläge unterbreitet.

Das skizzierte Vorgehen führt nicht nur zu einigen thematischen Wiederholungen, sondern es lässt vor allem eine systematische Auseinandersetzung mit dem ausgebreiteten Material vermissen. Viel zu knapp etwa geht B. im Schlussteil der Frage nach, worin die Übereinstimmungen von evangelikaler Kybernetik und pragmatischer Managementlehre begründet sind (215-219): Ist das gemeinsame Interesse an sichtbarem Wachstum, an eingängigen Handlungsrezepten und an der Verdrängung realer Pluralität nur durch die gemeinsamen Wurzeln in der US-Kultur begründet - oder zeigt sich hier ein spezifisches Welt- und Menschenbild, das auch theologisch zu rekonstruieren und zu kritisieren wäre? Bei aller Reserve gegenüber der GWB - getadelt werden im Schlussteil vor allem ein theorieloser Biblizismus, ein technokratisches Kirchenverständnis, dazu einzelne Maximen wie das missionarische Homogenitätsprinzip - bleibt diese Studie doch der ekklesiologischen Grundperspektive jener "Bewegung" verhaftet. B. akzentuiert zwar das qualitativ-geistliche Wachstum der Gemeinde, das an messbaren Mitglieder- und Beteiligungszahlen nur unvollkommen abzulesen sei, gleichwohl wird auch hier durchgängig von der kirchlichen Gemeinschaft her argumentiert. Die einzelnen Glaubenden, deren "geistlichem Wachstum" doch nach reformatorischer Einsicht alle Gemeindeentwicklung zu dienen hat, kommen dagegen bei B. vor allem als Objekte, als "Zielgruppen" oder immer schon überzeugte Mitarbeiter in den Blick.

Hilfreich ist dieses - durchgängig wohlformulierte - Buch darum vor allem als eine knappe, abgewogene Darstellung der GWB selbst sowie als eine erschöpfende Übersicht der betriebswirtschaftlichen Sichtweisen, die sich in der Kirche inzwischen verbreitet haben: Eine methodische Wahrnehmung des "Gemeindeumfeldes" und der jeweiligen Gemeindearbeit selbst, die Entwicklung von profilierten Leitbildern, überprüfbaren Zielen und sachgemäßen Strukturen des kirchlichen Handelns - dies alles erscheint inzwischen auch außerhalb des evangelikalen Spektrums als wünschenswert. Inwiefern die hier referierten "Prinzipien" jedoch kritisch zu modifizieren sind, wenn man entschiedener von den "Abnehmern" und ihren geistlichen Bedürfnissen her denkt - das bleibt eine offene Frage.