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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1188–1190

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stoellger, Philipp

Titel/Untertitel:

Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XV, 583 S. gr.8 = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 39. Lw. DM 198,-. ISBN 3-16-147302-7.

Rezensent:

Markus Buntfuß

Hinge die Lesbarkeit der Welt von der Lesefreundlichkeit ihrer Interpretationen ab, stünde es vermutlich schlecht um unser lebensweltliches Orientierungswissen. Wie Blumenbergs Annäherungen an den Zusammenhang von geschichtlicher Weltdeutung und menschlicher Lebensweltorientierung selten einer gewissen Hermetik entbehren, so hat der Vf. mit seiner theologischen Blumenberg-Interpretation eine nicht leicht zu lesende Arbeit vorgelegt. Das soll nicht heißen, dass sich die Mühe der Entzifferung nicht lohnt. Denn das Verdienst der Studie besteht darin, in weit verzweigten Analysen die theologischen Tiefenschichten des Blumenbergschen ‘uvres freizulegen (1. Teil: Hans Blumenbergs Metaphorologie) und für die hermeneutische Selbstbesinnung der Theologie fruchtbar zu machen (2. Teil: Remetaphorisierung der Theologie und Retheologisierung der Metaphorologie).

Entgegen einer sich auf Blumenbergs Theologiekritik berufenden antitheologischen Deutung kann der Vf. überzeugend nachweisen, dass jener wesentlich von theologischen Fragestellungen geleitet ist. In diesem Sinne rekonstruiert der Vf. die Anfänge Blumenbergs als Suche nach einem der neuzeitlichen Spaltung des Erfahrungshorizontes in Glauben und Wissen vorausliegenden ursprünglichen Denken, das Blumenberg in Abgrenzung von Heidegger nicht in der Vorsokratik, sondern in der augustinisch-fransziskanischen Theologie verortet, welche für ihn überhaupt "die Bezugsgröße für seine Sicht der christlichen Tradition" (77) darstellt. Mit den Mitteln Heideggers versuche Blumenberg die mittelalterliche Scholastik gegen dessen Destruktion der Metaphysik zu retten, indem er die Frömmigkeit des augustinischen Denkens als Existentialontologie avant la lettre zu begreifen sucht. Die Ursprünglichkeit und Einheit des darin vertretenen Wirklichkeitshorizontes sei jedoch in der Folge verloren gegangen und werde unter neuzeitlichen Bedingungen nur noch indirekt, nämlich auf der Ebene lebensweltlichen Vollzugssinns rezipiert. In Folge dieser Verschiebung von der Lehre zum Leben stoße die theoretische Neugierde an ihre begrifflichen Grenzen, wo sie diesen Einheitshorizont zu vergewissern sucht, wodurch der Weg zur Metaphorologie und zur Theorie der Unbegrifflichkeit eröffnet werde. - In diesem Zusammenhang konstatiert der Vf. bereits beim frühen Blumenberg eine signifikante Umbesetzung vom Gottesgedanken auf das Verständnis von ,Welt' als dem Inbegriff von Offenbarkeit des Seienden im Ganzen, was nicht nur die Wende von der Theologie zur Lebenswelthermeneutik, sondern auch die für Blumenberg charakteristische "Aufladung der ,Lebenswelthermeneutik' mit Bedeutsamkeit verständlich" (27) mache. Die Gegebenheitsweise von Welt könne sich von daher nicht auf den Begriff oder die theoretische Einstellung gründen, sondern erschließe sich u. a. im Horizont der metaphysischen Lichtmetaphorik, die den Anfang von Blumenbergs Metaphorologie bildet.

In eingehenden Textanalysen zeichnet der Vf. dessen Denkweg von der initialen Lichtmetapher über die Paradigmen zu einer Metaphorologie bis zur Emanzipation von der Begriffsgeschichte in Gestalt einer Theorie der Unbegrifflichkeit und darüber hinaus zum späten Horizontwandel einer Rückbindung an die Lebenswelt nach. Dabei hebt der Vf. zu Recht die besondere Bedeutung von topisch-traditionellen sowie verschatteten Hintergrundmetaphern für die Konstitution geschichtlicher Weltbilder und kultureller Lebenswelten hervor. "Absolute Metaphern sind in der Regel traditionelle Metaphern, wegen des Alters ihrer zentralen Themen und der pragmatischen Gewöhnlichkeit ihrer Funktion. Der Lebensraum dieser Metaphern sind ursprünglich die "Wirklichkeiten, in denen wir leben" und ihre Lebenszeit ist nicht ein ,Sein zum Tode', sondern die endliche Wiederkehr des immer wieder Variierten." (87)

Im zweiten Teil der Arbeit werden einzelne Motive Blumenbergs aufgegriffen und in den traditionellen Themenbestand der Theologie eingezeichnet. Zunächst sondiert der Vf. die Möglichkeiten, Blumenbergs These von der Geburt der Kultur aus der Nachdenklichkeit für die theologische Rede von Gott, Mensch und Sünde fruchtbar zu machen, wobei Nachdenklichkeit als Entlastung von der eskalierenden Konkurrenz zwischen menschlicher und göttlicher Selbstbehauptung interpretiert wird.

Daran anschließend erörtert der Vf. anhand der Dialektik von Bestimmtheit und Unbestimmtheit, inwiefern die Theologie ihre Aufgabe nicht nur in fortschreitender begrifflicher Bestimmung, sondern auch in der Rückgewinnung von lebensweltlicher resp. religiöser Unbestimmtheit zu sehen hat. "Eine Theologie, der es tatsächlich gelingen sollte, vollständige und definitive Bestimmungen ihrer ,Gegenstände' zu erreichen, ,zerstörte sich selbst'" (382). Als Beispiel einer solchen theologischen Umgangskultur mit Unbestimmtheit kommt die Kunst der Vermutung bei Nikolaus von Kues zu stehen, bevor in einem weiteren Schritt Blumenbergs eigene Arbeit an einer möglichen Wiederkehr Gottes in Gestalt der Erinnerung eines Verlustes über den Tod Gottes diskutiert wird.

Ein imaginärer Dialog zwischen Jüngel und Blumenberg liefert den Stoff für die letzten beiden Kapitel. Der Vf. arbeitet die Konvergenz der Horizontintentionen beider Autoren heraus, die in der kritischen Arbeit an der Neuzeitproblematik besteht. Während Jüngel jedoch die Dynamik der dabei freigesetzten Metaphern in der Grundmetapher der Kreuzestheologie an ihr Ziel gelangen lässt und somit sistieren will, eröffnet Blumenberg mit seiner Remetaphorisierung des Passionsgeschehens in der Matthäuspassion einen Fraglichkeitshorizont, der sowohl dem Ernst der Neuzeitproblematik als auch der Dynamik der Metaphorologie gerechter wird, weshalb er bei diesem imaginären Dialog das letzte Wort behält.

Der Vf. misst mit seinen Studien ein weites Feld an Texten, Traditionen und Problemen aus und beweist neben einer profunden Literaturkenntnis auch exegetischen Spürsinn bei der Spurensuche nach Blumenbergs leitenden Fragestellungen. Der nach einem orientierenden Leitfaden der Interpretation suchende Leser bleibt jedoch am Ende enttäuscht, freilich um sich sogleich bewusst zu werden, dass der Grund dafür im Gegenstand der Untersuchung selbst liegt, denn den "nach Blumenbergs Ansichten Fragenden verwirren oder enttäuschen die Texte ... in gewisser Weise, denn sie führen dezidiert in die Irre: über Umwege und in Textlabyrinthe, in denen der Leser sich selber entzogen wird und vor lauter Entdeckungen die gezielte Frage nach Blumenbergs Ansichten vergessen kann - und das zeigt, dass sie für diese Frage nicht geschrieben sind." (337)

Das Bedürfnis nach dem kürzesten Weg und die Suche nach Eindeutigkeit lässt sich weder mit Blumenbergs Texten noch mit deren Interpretation befriedigen. Aber auch, wenn für diese Fragen nicht geschrieben wurde, kann man entdecken, dass die direkten Fragen und Wünsche nicht die einzig möglichen sind, und wie man anders fragen könnte, um nicht nur auf die Erfüllung eigener Wünsche aus zu sein.