Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1085–1087

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dvorak, Rainer

Titel/Untertitel:

Gott ist Liebe. Eine Studie zur Grundlegung der Trinitätslehre bei Eberhard Jüngel.

Verlag:

Würzburg: Echter 1999. 394 S. gr.8 = Bonner Dogmatische Studien, 31. Kart. DM 48,-. ISBN 3-429-02140-5.

Rezensent:

Wolf Krötke

Die Einigkeit darüber, dass Gottes Wesen Liebe ist und dass diese Liebe als die Wirklichkeit des trinitarischen Gottes verstanden werden muss, kann sicherlich als ein ökumenisches Ausrufezeichen in der christlichen Theologie angesehen werden. Evangelische und katholische Dogmatik stimmen hier in einer Weise zusammen, die - weil es ja wahrlich nicht um eine Nebensache geht! - ein großes Potenzial weiterer ökumenischer Verständigung darstellt. Die Würzburger Dissertation von R. Dvorak über die Trinitätstheologie Eberhard Jüngels macht das auf ihre Art eindrücklich deutlich.

Diesen ökumenischen Kontext muss man vor Augen haben, um die Absicht der Arbeit nicht als ein wenig schmal zu empfinden. Sie besteht darin, "die Grundlegung der Trinitätslehre bei Eberhard Jüngel ... aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen und möglichst unvoreingenommen zu verstehen" (32). Immerhin unterscheidet sich eine solche "werkimmanente, paraphrasierende Interpretation" (34) angenehm von der heute so beliebten "Rekonstruktion der Konstruktion" theologischer Entwürfe, bei der es um die Entlarvung von Irgendetwas geht, was ihre Verfasser gerade nicht sagen. Der Vorzug dieser einfühlsamen Darstellung ist es vielmehr, eine profilierte evangelische Entfaltung des christlichen Gottesverständnisses mit dem Interesse katholischer Dogmatik (vgl. 32 f.) in eine um Verstehen bemühte Beziehung zu setzen.

Im Sinne dieses Anliegens ist es sachgerecht, dass dem Weg, der bei Jüngel zur Identifizierung des Wesens Gottes mit der Liebe führt, ein weitaus größerer Raum gegeben wird als der Darstellung der "trinitätsheologischen Durchführung" jener Identifizierung im letzten, vierten Kapitel der Arbeit (vgl. 311-339). Der Vf. zeichnet in einem ersten Teil (vgl. 42-197) zunächst das "Dogmatikprogramm Jüngels" nach, das als "Selbstexplikation des Glaubens ... in einer theologia crucifixi ... zur Trinitätstheologie" führt (185). Dem zugeordnet ist die explizite Darstellung der Christologie im dritten Teil (vgl. 275-310), während der zweite sich um die theologiegeschichtlichen Bezugspunkte von Jüngels Denken bei K. Barth und in der Bultmann-Schule bemüht (vgl. 198-272). Der Vf. vermag in all diesen Durchgängen den Gewinn der Klarheit eines Gottesverständnisses zu zeigen, das sich als "konsequente Exegese" der biblischen Texte grundlegend auf die Glaubenserfahrung der Offenbarung Gottes bezieht. Eine Reihe von Problemen, auf die er dabei stößt, geben mehr dem Bedürfnis nach größerer Ausführlichkeit Ausdruck, als dass sie wirkliche Aporien benennen. Das gilt z. B. für den Wunsch nach intensiverer Würdigung des Alten Testaments (vgl. 96), aber auch nach einer "Theologie der Religionen" (vgl. 347). In der Christologie vermisst der Vf. eine hinreichende Verdeutlichung der ontologischen Dimension der Auferweckung Jesu Christi (vgl. 290) und meint vor der Gefahr des Doketismus warnen zu müssen, wenn die Geschichte des irdischen Jesus bis zum Tode am Kreuz als Gottesgeschichte verstanden wird (vgl. 309). Diese Problematiken werden sich klären lassen. Nur der Einwand, dass sich die Theologie nach Jüngel zum ,medium salutis' (K. Schwarzwäller) mache (178), greift richtig daneben. Er verdankt sich einer unzureichenden Erfassung des Verhältnisses von Gottes Wort, Verkündigung und Theologie.

Der nachhaltigen Rückfrage bedürftig ist jedoch die Auflösung des Problems der "natürlichen Theologie", die der Vf. für möglich hält (vgl. 190-197). Ausweislich der Auseinandersetzung zwischen E. Jüngel und W. Pannenberg sollen die Wege der "natürlichen Theologie" und der Offenbarungstheologie auf zwei "Typen" theologischen Denkens zurückgeführt werden, die sich auch in der katholischen Theologie finden (vgl. 197). An dieser Stelle wäre eine differenziertere Besinnung auf die zentrale Kategorie der "Unterbrechung" des Weltzusammenhanges und der menschlichen Existenz durch die Wahrheit Gottes vonnöten. Der Vf. möchte diese "Unterbrechung" charakteristischerweise im Sinne einer mutatio des Alten verstehen (vgl. 78). Doch dann würde das Neue der offenbaren Wahrheit gerade nicht neu bleiben. Es würde vielmehr in einen veraltenden Zusammenhang (auch der Konstruktion eines Gottesgedankens) eingefügt werden. Die theologia naturalis steht darum permanent in der Gefahr, so zur Offenbarung Gottes "hinzuführen", dass dem dort erschlossenen Gottesverständnis bestimmte, zeitbedingte Grenzen gesetzt werden. Das ist auch bei der Auseinandersetzung um das trinitarische Verständnis Gottes als Liebe zu bemerken.

Der Vf. stellt in Jüngels christologisch-theologischem Denken und vor allem in der Trinitätslehre ein "pneumatologisches Defizit" (188) fest. Es verdanke sich der Orientierung des Verständnisses der Liebe am "dialogischen Personalismus" (333). Denn der verführe dazu, die Liebe vom "absoluten Subjekt" des Liebens her zu verstehen. Jüngels Trinitätslehre wird darum ein "patrozentrisches Gefälle" bzw. ein "subordinatianischer Zug" (vgl. 334) zum Vorwurf gemacht. Der Vf. nimmt hier Einwände auf, die auf katholischer und evangelischer Seite schon längst im Schwange sind. Ihr Hintergrund ist die aus dem Anliegen der natürlichen Theologie gespeiste Sorge, Gott könne nicht hinreichend vermittlungsfähig gedacht werden, wenn er (als Vater) mit dem Lieben von sich aus anfange. Um dazu ein Urteil zu gewinnen, darf jedoch das Verständnis des Heiligen Geistes bei Jüngel nicht auf die Bestimmung des ,vinculum caritatis' zwischen Vater und Sohn reduziert und vom Gedanken der ausstrahlenden Liebe Gottes isoliert werden, wie es leider in der Darstellung des Vfs. geschieht (vgl. 335). Das Ausstrahlen der Liebe zwischen Vater und Sohn, die andere mit einbezieht, ist nach Jüngel das Wesen des Heiligen Geistes, der geradezu die Gottheit Gottes wahrt (vgl. Gott als Geheimnis der Welt, 51986, 464). Er ist insofern die "wichtigste" Person für das Verständnis des trinitarischen Gottes als Liebe. Er ermöglicht es, Gott als Liebe und nicht nur als Liebenden zu verstehen. Insofern hat sich in dieser Denkweise das Problem der "Patrozentrik" schon erledigt und muss nicht erst von einer "erneuerten Pneumatologie" (335) erwartet werden, über die der Vf. ansonsten nichts Näheres mitteilt.

Die "Folgerungen", die er aus Jüngels Trinitätslehre zieht (vgl. 336-339), zeigen zudem, dass es so schlimm mit der "Patrozentrik" beim Verständnis der Liebe, die Gott ist, nicht steht, wie dieses Schlagwort unterstellt. Der Vater als Schöpfer muss auf Grund dieser Trinitätslehre vielmehr als das genaue Gegenteil eines "autoritären" Patriarchen verstanden werden, indem er sich im schöpferischen Akt zu Gunsten der Geschöpfe selbst "begrenzt". Das "Absolutheitsaxiom, das Apathieaxiom und das Unveränderlichkeitsaxiom" sind durch das trinitarische Verständnis Gottes als Liebe "untaugliche Axiome geworden" (337).

Dass die dargestellte Theologie damit einen "Markstein" (H. Fries) für alle theologische Verantwortung des Gottesglaubens gesetzt hat (vgl. 347), will diese Arbeit vor allem hervorheben und mit ihren Anfragen sogar noch unterstreichen. Diese Anfragen beziehen sich freilich nicht auf die grundlegende Identifizierung Gottes mit der Liebe, so dass ihre biblische und sachliche Evidenz schon wieder allzu selbstverständlich zu werden droht.