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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

903–905

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Limbeck, Meinrad

Titel/Untertitel:

Das Gesetz im Alten und Neuen Testament.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997. XII, 253 S. 8. Pp. DM 58.-. ISBN 3-534-02442-7.

Rezensent:

Hans Hübner

Meinrad Limbeck dürfte von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft mit der Abfassung seiner Schrift "Das Gesetz im Alten und Neuen Testament", die die atl. und ntl. Gesetzesauffassungen zusammenfassend darstellt, beauftragt worden sein, weil er sich bereits auf diesem Gebiet durch eine Reihe von Publikationen qualifiziert hat. Am bekanntesten ist wohl "Die Ordnung des Heils. Untersuchungen zum Gesetzesverständnis des Frühjudentums" (Düsseldorf 1971; s. ThLZ 97, 1972, 830-834 [O. Plöger]). Nun ist die Gesetzesfrage heftig umstritten. Dieser Streit eskalierte z. T. bis zur persönlichen Diffamierung. Ein wenig simplifizierend gesagt: Die Skala reicht von der Behauptung eines scharfen Neins zur atl. Tora im NT bis zu Versuchen, eine möglichst maximale Kontinuität vom atl. Gesetz hin zu seiner ntl. Rezeption zu konstruieren. Zuweilen lässt sich dabei leider ideologische Verhärtung nicht übersehen. L.s Buch bemüht sich hingegen in der Diskussion mit der Forschung um ein Gespräch, das die aus unterschiedlichen Richtungen kommenden Autoren in ihrer jeweiligen Argumentation ernst nimmt. Dem entspricht, dass das Pendel seiner Position weder in die eine noch in die andere extreme Richtung ausschlägt.

Für die Rez. bieten sich zwei Wege an: 1. Ein kursorischer Überblick über das ganze Buch. 2. Ein Dialog mit dem Vf. an einer für die Thematik zentralen, womöglich neuralgischen Stelle. Der zweite Weg scheint mir am ehesten geeignet zu sein, um L. möglichst optimal gerecht zu werden. Ich wähle dazu das 9. Kap. "Paulus und das Gesetz", weil es hier um das Zentrum der ntl. Theologie geht, aber auch, weil sich L. hier wiederholt auf meine Publikationen bezieht und somit schon seinerseits den Dialog mit mir begonnen hat. Zuerst aber die Übersicht über sein Buch: Vorwort - I. Einführung - II. Klarstellungen - III. Das Bundesbuch - IV. Das Gesetz und die Propheten - V. Das Deuteronomium - VI. Die Priesterschrift - VII. Das Gesetz in der Krise - VIII. Jesus und die Tora - IX. Paulus und das Gesetz - X. Das Matthäusevangelium - XI. Die Funktion des Gesetzes. Das Buch schließt mit einem Literaturverzeichnis und einem Bibelstellen- und Sachregister.

Angesichts des breiten und vielfältigen Spektrums der exegetischen Auffassungen zum Thema "Gesetz bei Paulus" erklärt L. (115): Auf dem Hintergrund der paulinischen Gesetzespraxis verliert mancher Theologenstreit über das paulinische Gesetzesverständnis an Gewicht, während sich andererseits im Leben und Denken des Paulus überraschende Querverbindungen zu früher Erkanntem zeigen.

Lassen wir uns in diesem Sinne also ruhig einmal von L. führen! Der 1. Abschnitt des 9. Kap.s ist überschrieben ",Also: Das Gesetz ist heilig ...' (Röm 7,12)". Der Vf. verweist zunächst auf die Herkunft des Paulus (P.) aus einem frommen jüdischen Elternhaus und seinem daraus resultierenden Eifer für das Gesetz und die väterlichen Überlieferungen (Gal 1,13 f.). Er war "nach Röm 2,14 f. ... davon überzeugt, dass Gott den Menschen, die ohne das Gesetz leben (müssen), seinen Willen ins Herz geschrieben hat". Nach eigener Erfahrung wusste er nach Röm 7,14-23 auch davon, "daß die Weisungen des Gesetzes auch seinem eigenen Inneren nicht widerstrebten, sondern letztlich seinem eigenen positiven Willen entgegenkamen und entsprachen" (116).

Für L.s P.-Sicht ist im Anschluss an diese Feststellung folgende Äußerung konstitutiv (116): "... dann spricht alles dafür, dass Paulus das "untadelige Leben im Gesetz" (vgl. Phil 3,5 f.) als etwas erlebt hatte, das seinem Leben Sinn und Reichtum gab - und das kaum, weil es ihm allmählich ein Gefühl der Selbstgerechtigkeit vermittelt hätte! Denn es lag nun einmal nicht im Trend der frühjüdischen Theologie und Religiosität, in denen ein Gefühl der Selbstgerechtigkeit oder den Wahn der "Selbsterlösung" hervorzurufen, die die Gebote und Satzungen der Tora zur bewussten Grundlage ihres Leben machten."

In Anm. 10 begründet er das unter ausdrücklicher Ablehnung meiner Position ("Derartige Unterstellungen scheinen in der ntl. Exegese unausrottbar zu sein"; dieses Verdikt trifft auch J. Gnilka und A. de Oliveira, vor allem aber R. Bultmann) in doppelter Weise: 1. Selbst in den ntl. Texten fänden diese negativen Deutungen des frühjüdischen Gesetzeseifers keinen tragfähigen Anhalt. 2. Dass sich die jüdischen Frommen wenigstens nach Paulus der eigenen Leistungen gerühmt und die eigene Gerechtigkeit gesucht hätten, hätte nach dem Erscheinen von R. Liebers, Das Gesetz als Evangelium (Zürich 1989), eigentlich nicht mehr geschrieben werden dürfen. Nun kann ich hier nicht auf dessen nicht ganz unproblematische Sicht eingehen.1 Zu L.s Argumentation sei aber Folgendes gesagt: Warum hat er in diesem Zusammenhang Röm 3,27 übergangen? Wenn P. dort fragt, wo die kauchesis geblieben sei, wenn sie durch das "Gesetz des Glaubens" (wie immer man diese Wendung interpretiert) ausgeschlossen sei, nicht aber durch das "Gesetz der Werke" (wiederum: wie immer man diese Wendung interpretiert), dann ist doch in seiner Frage eindeutig impliziert, dass er eine Einstellung vor Augen hat, in der man sich auf Grund des "Gesetzes der Werke" in Sachen Rechtfertigung rühmt.2 Ohne eigene Interpretation dieses Verses sollte man hier aber nicht von unausrottbarer Unterstellung sprechen. Ausdrücklich sei jedoch gesagt (und ich habe es auch früher immer wieder gesagt), dass mit der paulinischen Abweisung eines Sich-Haltens an das "Gesetz der Werke" historisch und theologisch auf keinen Fall das gesamte Judentum diskriminiert werden kann!

So stimme ich L. durchaus zu, wenn er schreibt (117): Wer in Israel für das Gesetz eiferte - und dazu gehörte auch Paulus mit seinem untadeligen Wandel im Gesetz! - , der tat es (in der Regel [sic!] ) nicht, um sich vor Gott selbst zu rechtfertigen oder um sich selbst zu erlösen. Eben: "in der Regel"! Wenn in Röm7, der Retrospektive des Gerechtfertigten auf den noch nicht Gerechtfertigten, - auch mit L.! - das autobiographische Moment zumindest am Rande mit impliziert sein dürfte, warum dann nicht auch in Röm 3,27? Kann P. nicht in dieser Retrospektive seinen früheren Gesetzeseifer und auch den anderer in einer derartigen Perspektive gesehen haben?

Der 2. Abschnitt des 9. Kap.s ist überschrieben "Der Schatten auf dem Gesetz". Was L. hier zu Phil 3 und Röm 7 (im Anschluss an G. Theißen, Psychologische Aspekte paulinischer Theologie [FRLANT 131, Göttingen 1983] sagt, ist erwägenswert (in Anm. 8 übrigens auch in Zustimmung zu meiner Deutung von Röm 7), ebenso, was er auf S. 119 zum sog. Apostelkonzil ausführt.3

Noch eine kritische Anmerkung zu S. 121 einschließlich Anm. 42: Mit dem Hinweis auf Ps 51,7 und 1QH XII,29-32 ist keinesfalls bewiesen, dass Paulus dem noch unter dem Gesetz Stehenden die volle Erkenntnis des dämonischen Ausmaßes der amartia zuerkennt. Nach Röm 7,15 weiß doch der unter die Sündenmacht Verkaufte gar nicht, was er tut! In Anm. 42, wo L. als Vertreter der in seinen Augen falschen Auffassung, der noch im Raum der Sünde Befindliche könne durch das Gesetz nicht die Sünde in ihrer Tiefendimension und totalen Macht erkennen, Hofius, Luz, Käsemann, Schlier und mich nennt, erwähnt er auffälligerweise Röm 7,15 nicht, auf S. 121 wohl diese Stelle, aber gerade nicht im Blick auf das dort stehende ou ginosko.

Im 3. Abschnitt "Fragen an das paulinische Gesetzesverständnis" versucht L. die allgemeine Verstehbarkeit der paulinischen Gesetzeslehre darzulegen. Hierzu wäre eine längere Diskussion mit ihm vonnöten, die hier nicht geschehen kann. Es sei nur darauf hingewiesen, dass er mit gutem theologischen Recht darauf verweist, dass die negativen Aussagen des Paulus über das Gesetz die Auswirkung der dunklen Seite seines Gottesbildes ausmachen (124). Auch dies wäre ein abendfüllendes Thema. Der 4. und zugleich letzte Abschnitt "Das Gesetz des Christus" bringt richtige Aspekte. Zu fragen ist jedoch, ob hier nicht für das "Gesetz des Christus", als Weisung verstanden, zu stark das Wesen des Gesetzes herausgestellt wird - trotz entgegengesetzter Formulierungen. Schade, dass er hier nicht die sachliche Differenz von Gal 5,14 und Röm 13,8-10 zulässt.

Alles in allem: ein informatives, ein anregendes und ernst zu nehmendes Buch mit eigenständigen exegetischen Positionen. Es verdient seine Lektüre, freilich seine kritische Lektüre. Und zur Kritik wäre mehr zu sagen, als ich sie hier an dem einen Kapitel dieses Buches expliziert habe. Aber gerade die kritische Auseinandersetzung mit ihm lohnt sich.

Fussnoten:

1) Seine in gewisser Weise in Kontinuität zu seiner Dissertation stehende Monographie "Wie geschrieben steht". Studien zu einer besonderen Art frühchristlichen Schriftbezuges, Berlin 1993, habe ich in ThRev 91 (1995), 472-474, rezensiert. Auf seine Dissertation werde ich zu gegebener Zeit zu sprechen kommen.

2) J. D. G. Dunn, The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998, 363 und ib. Anm. 120, um nur diesen zu nennen, hat zumindest in der Kritik dieser Auffassung (er nennt außer mir noch Käsemann und Cranfield, die Bultmanns Exegese folgen) Röm 3,27 thematisiert.

3) Nicht ganz klar ist mir allerdings, ob die in diesem Zusammenhang an meine Ausführungen gestellte Frage in Anm. 25 die Antwort offenlässt oder ob sie nur rhetorisch gemeint ist, nämlich als Ablehnung.