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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

818–821

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Tietz-Steiding, Christiane

Titel/Untertitel:

Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft. Eine erkenntnistheoretische Untersuchung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1999. XII, 340 S. = Beiträge zur historischen Theologie, 112. Lw. DM 168,-. ISBN 3-16-147187-3.

Rezensent:

Michael Weinrich

Das Projekt dieser Tübinger Dissertation (E. Jüngel/J. Moltmann) besteht in einer Analyse der vernunftkritischen Erkenntnistheorie Dietrich Bonhoeffers, wie sie sich vor allem aus seinen Frühschriften rekonstruieren lässt. Es nimmt zunächst schon deshalb für sich ein, weil es sich nicht in die verbreitete Bonhoeffer-Apologetik einreiht, die inzwischen nicht nur alle wichtigen theologischen Weichenstellungen des 20. Jh.s bei Bonhoeffer zumindest vorbereitet findet, sondern auch immanent für jede inhaltliche Harmonisierung zwingende Gründe beizubringen versteht, was dazu geführt hat, dass Bonhoeffer inzwischen zu einem protestantischen Heiligen und einer Art Übertheologe geworden ist, der über jede Kritik erhaben zu sein scheint. In ebenso behutsamer wie kleinschrittiger Vorgehensweise werden die Begründungszusammenhänge, die Referenzen und Zusammenhänge sowie die angezielte Reichweite der erkenntnistheoretischen Aussagen Bonhoeffers untersucht.

Dabei bemüht sich die Vfn. vor allem, den vermuteten An-sprüchen und Perspektiven von Bonhoeffer selbst gerecht zu werden. Gleichzeitig werden auch verschiedentlich - gleichsam als kritische Kontrollfragen - die zentralen Aussagezusammenhänge, auf die sich Bonhoeffer stützt bzw. die er zur eigenen Abgrenzung heranzieht, auf ihre eigene Intention hin untersucht, um diese in einen kritischen Vergleich mit der Verwendung bei Bonhoeffer stellen zu können. Das Hauptinteresse liegt aber nicht in der Verifikation von Bonhoeffers theologiegeschichtlichen und systematischen Wahrnehmungen, sondern auf der Feststellung der immanenten Stimmigkeit und Stringenz, in der Bonhoeffer mit seinen Wahrnehmungen ein eigenes Konzept vorträgt.

Im Zentrum steht die in der Bonhoeffer-Forschung gern umgangene und im Übrigen sehr unterschiedlich wahrgenommene Habilitationsschrift Bonhoeffers ,Akt und Sein' mit der zunächst schlicht formulierten Aufgabenstellung, nun einmal präzise nachzuvollziehen, was Bonhoeffer dort tatsächlich tut (16). Ausgehend von der Feststellung, dass die Begriffe ,Akt' und ,Sein' in durchaus unterschiedlicher Weise verwendet werden, versucht die Vfn., mit einer gründlichen systematischen und ideengeschichtlichen Untersuchung - soweit es überhaupt möglich ist - Klarheit in verschiedene Gedankenkomplexe und ihren Zusammenhang zu bringen, über die man bisher stillschweigend hinweggegangen ist.

Von theologischem Interesse sind die mit einer Erkenntnistheorie jeweils verbundenen anthropologischen Implikate, die unversehens auch die Entfaltungsmöglichkeiten der Gottesfrage tangieren, weil im Selbstverständnis des Menschen die Beziehung zur Transzendenz bereits mit eingeschlossen ist. Bonhoeffer profiliert seine eigene Position mit Hilfe von exemplarisch wahrgenommenen philosophischen Konzepten, die er gleichsam von ihrer Theologieverträglichkeit her kritisch betrachtet, d. h. er stellt ihren Umgang mit der Transzendenz unter die theologische Kontrollfrage, ob er den notwendigen Raum für das christlich orientierte Offenbarungsverständnis lässt (vgl. 22 f.).

Zwar bescheinige Bonhoeffer dem Transzendentalismus eine ihn gegenüber dem Idealismus auszeichnende Zurückhaltung, aber diese Zurückhaltung bleibe negativ motiviert (salopp formuliert: nichts Genaues weiß man nicht), so dass der Mensch auch hier seine Selbstbezüglichkeit nicht grundsätzlich in Frage stelle, auch wenn er bereit ist, vor den Grenzen des Ichs nicht einfach die Augen zu verschließen. Er komme schließlich auch nicht umhin, den Menschen aus sich selbst heraus zu verstehen, wie es dann im Idealismus zu einem die ganze Wirklichkeit einbeziehenden Konzept werde. Der Idealismus befreie sich von jedem Einspruch der Transzendenz und führe zu einem ,System der Vernunft', in dem der Mensch schließlich zu einem Gefangenen seiner selbst werde. Am kompliziertesten verhalte es sich jedoch bei dem von der Ontologie eingeschlagenen Weg, da sich schon bei der Bestimmung dessen, was überhaupt den Anspruch einer Ontologie erheben darf, Inkonsequenzen und Bestimmungsansprüche einschleichen, die dem rein rezeptiven Charakter der ,echten' Ontologie im Verständnis Bonhoeffers entgegenlaufen.

Die Phänomenologie Husserls bediene sich substantiell idealistischer Philosopheme, so dass die für Ontologie charakteristische Vorordnung des Seins vor das Bewusstsein im Ergebnis aufgegeben werde (vgl. 51). Auch Schelers Wertphilosophie ziele auf ein System, was nach Bonhoeffer zwangsläufig sowohl den ontologischen Grundgedanken in Frage stelle als auch eigenmächtig jeden Platz besetze, an dem sich ein transzendenter Gott zeigen könnte. Zwar vermag Bonhoeffer in der Fundamentalontologie Heideggers den Versuch einer ,echten' Ontologie zu erkennen (Ontologie als Hermeneutik des Daseins), indem er das Dasein als eine bestimmte Möglichkeit seiner selbst zu beschreiben versuche, aber die Schlüsselfunktion, die schließlich dem Gewissen als Ausdruck des Daseins selbst zukomme, verfehle schließlich die gesuchte Realität. Allerdings vermag die Vfn. zu zeigen, dass Bonhoeffer in seiner Orientierung der Realität weder dem Anliegen Heideggers noch dem eigentlichen Problem der Ontologie gerecht wird (vgl. 71 ff.), was grundsätzlich die Frage nach der Reichweite der von Bonhoeffer benutzten Vorstellungen von ,Sein' und ,Akt' aufwirft (vgl. 75 ff.).

Für Bonhoeffer scheitern alle philosophischen Versuche, die Existenz des Menschen als endliche Existenz zu erreichen, weil sie - wenn auch zweifellos in sehr unterschiedlicher Weise - immer den Anspruch auf Unendlichkeit des Menschen stellen; der gesuchte realistische (nach den Darlegungen von T.-St. weniger der ,ontologische') Ansatz werde erst durch die Offenbarung Gottes ermöglicht (vgl. 81). Außerhalb der Offenbarung bleibe die Vernunft des Menschen ebenso wie dieser selbst in sich selbst verkrümmt (vgl. 85). Damit ist ein Dilemma bezeichnet, das von der Philosophie im Grunde gar nicht angemessen bedacht werden kann, weil sie die Problematik, die in der Anmaßung ihres eigenen Anspruchs liegt, nicht wirklich zu erkennen vermag. Dennoch können nach Bonhoeffer die Transzendentalphilosophie und die Ontologie der Theologie eine Hilfe dafür sein, das Verständnis von Offenbarung klarer zu bestimmen (vgl. 87).

Die entscheidende Brechung bekommt das alles bestimmende Ich bei Bonhoeffer durch die Rezeption eines Personverständnisses, das in der Sozialität konstituiert ist und in der Perspektive der personalistischen Philosophie die Abhängigkeit des Ichs vom gegenüberseienden Du konzipiert ist. In christlicher Wahrnehmung werde das Du durch Gott in besonderer Weise autorisiert. Hier kommt bereits die Offenbarung mit ins Spiel, die dann im nächsten Kapitel einerseits von der Religion und andererseits von den Möglichkeiten des Menschen überhaupt abgegrenzt wird; ihr vermag allein der Glaube zu entsprechen. Auch dieses Resultat bedarf sofort der Präzisierung, indem nun näherhin zu bestimmen ist, was Glaube in seinem Verhältnis zur Offenbarung heißt, was vor allem in der kritischen Stellungnahme Bonhoeffers zu Karl Barth, Rudolf Bultmann und Rudolf Seeberg geschieht; zudem wird die Wahrnehmung der ,ontologischen' Spielart durch Bonhoeffer am Beispiel Erich Przywaras analysiert. Dabei stellt sich heraus, dass die verschiedenen untersuchten Konzepte verschiedene Wahrheitsmomente bereitstellen, die Bonhoeffer aufzunehmen versucht, ohne in die von ihm beschriebenen Fehler zu verfallen (vgl. 245).

Schließlich zeigt die Vfn., dass es insbesondere die Ekklesiologie ist, auf deren Ebene sich die verschiedenen von Bonhoeffer herausgearbeiteten Elemente integrieren lassen, denn sie sei der Ort, an dem sich die konstitutive Personalität mit einem von Christus abgeleiteten Verständnis von Offenbarung und Glaube so vermitteln lasse, dass der eine Mensch dem anderen zum Christus wird. Die Kirche sei als Kollektivperson die gesuchte Akt-Seins-Einheit, die als die gegenwärtige Seinsweise Christi wahrgenommen und realisiert werden könne.

Das Erkennen des Menschen sei auf den Glauben (actus directus) verwiesen, der seinerseits ganz und gar von Gott abhängig sei. Davon zu unterscheiden sei einerseits die predigende Erkenntnis als Reflexion auf die Situation und andererseits die theologische Erkenntnis als Reflexion auf die rechte Lehre - Theologie als das "Gedächtnis der Kirche" (288). "Theologie sagt also: Gott vergibt Sünden; Predigt sagt: Dir ist vergeben; Glaube sagt: Mir ist vergeben!" (296) - In ihren kritischen Rückfragen am Schluss der Untersuchung stellt die Vfn. vor allem fest, dass Bonhoeffer unbemerkt verschiedene Ebenen miteinander vermischt habe. Der Eindruck einer in sich stimmigen Antwort trüge daher. Vielmehr gelinge ihm seine integrative Antwort nur, weil er "ganz unterschiedliche Fragen auf unterschiedliche Weise beantwortet" (309, vgl. 301 f.).

Es ist in dieser Besprechung nur möglich, die verschiedenen Fragestellungen der Untersuchung zu skizzieren, um die Untersuchung für die eigene Lektüre interessant zu machen. Von der Präzision der zum Teil sehr differenzierten Antworten dieser Untersuchung kann wohl nur die eigene Lektüre überzeugen. Den wünschenswerten Leserinnen und Lesern kann von dieser Besprechung nur ein überaus interessantes und sowohl philosophisch als auch theologisch ergiebiges Studium in Aussicht gestellt werden. Die Mühen, die sie zweifellos dabei auf sich zu nehmen haben, entsprechen den Mühen, die mit den angesprochenen fundamentaltheologischen Problemen auf den Plan gerufen werden. Wer jedoch hofft, nun auf dem Wege der Analyse von Bonhoeffers Überlegungen eine stimmige Lösung des theologischen Erkenntnisproblems überhaupt geliefert zu bekommen, wird dieses Buch enttäuscht zur Seite legen.