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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

746–748

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fitzpatrick-McKinley, Anne

Titel/Untertitel:

The Transformation of Torah from Scribal Advice to Law.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 200 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 287. Lw. £ 35.-. ISBN 3-85075-953-7.

Rezensent:

Eckart Otto

Die von Fitzpatrick-McKinley vorgelegte Monographie wurde 1993 vom Department of Hebrew, Biblical and Theological Studies des Trinity College Dublin als Dissertation, die von A. D. H. Mayes betreut wurde, angenommen. Während ihr "Doktorvater" vor allem durch Studien zum Deuteronomistischen Geschichtswerk und zum Deuteronomium sowie die Kommentierung dieses Buches bekannt wurde, wendet sich die Vfn. dem "Bundesbuch" zu, um nach den Konsequenzen der Verschriftung von Rechtssätzen für ihre gesellschaftshistorische Verortung zu fragen. Entgegen der durch Friedrich Carl von Savigny repräsentierten Theorie, in der Rechtsgeschichte inkarniere sich die Geschichte eines "Volksgeistes", will die Vfn., gestützt auf die Gegenposition von A. Watson1, eine Autonomie des verschrifteten Rechts von gesellschaftlichen Entwicklungen für das Bundesbuch in Anschlag bringen. Sie schließt sich M. Fishbanes These der innerbiblischen Schriftgelehrsamkeit an, die sich auch in der Auslegung biblischer Rechtstexte niedergeschlagen habe, um den "Sitz im Leben" einer eigengesetzlichen Schriftgelehrsamkeit in der Fortentwicklung biblischen Rechts zu lokalisieren und von da ausgehend das biblische Rechtskonzept als "moral advice of scribes" zu definieren. Erst in persischer Zeit seien aus Weisheitssprüchen Regeln religiöser Pflichten geworden und aus diesen in hellenistischer Zeit durch die Identifizierung dieser Regeln mit der griechischen nomos-Konzeption Gesetze im quasi-modernen Sinne entstanden. Die Vfn. will also eine umfassende Theorie zur biblischen Rechtsgeschichte vorlegen.

Die These der Eigengesetzlichkeit des Rechts in Israel begründet die Vfn. einerseits mit Argumenten, die Watson für die römischen XII-Tafelgesetze in Anschlag gebracht hat, ferner mit dem Hinweis auf "legal transplants", d. h. die Rezeption von Rechtssätzen des Keilschriftrechts im biblischen Recht, als Erweis der Ferne des Rechts zur israelitisch-judäischen Gesellschaft. So diskussionswürdig die Grundthese der Vfn. ist, so wenig können die von ihr herangezogenen Argumente als Begründung dienen, da die Eigengesetzlichkeit der römischen Rechtstradition nicht direkt auf die altorientalische Schultradition übertragbar ist und die Frage nach der Rezeption von Sätzen des Keilschriftrechts in der Hebräischen Bibel sehr viel komplexer zu beantworten ist, als es die Vfn. mit Watson tut. Ja man wird fragen dürfen, ob nicht die Grundthese der Vfn. zu einfach strukturiert ist. Wenn sie gegen die bisherige Forschung, die sie unisono von F. C. von Savigny geprägt sieht, das Bundesbuch von der Gesellschaftsentwicklung abkoppelt, so hat sie damit Recht gegen die Ansätze, die das Bundesbuch restlos in gesellschaftlich bedingte Interessen auflösen, wie es J. W. Marshall2 tut. Doch ist das Bundesbuch ein priesterlicher Programmtext, der zwar auf Krisensymptome der judäischen Gesellschaft reagiert, doch keineswegs als solcher rechtswirksam wurde, wie nicht zuletzt am Brachejahrgesetz in Ex 23,11 f. und dem Gesetz zur Sklavenfreilassung in Ex 21,2-11 ablesbar ist.

Pauschalthesen helfen nicht weiter, wenn es darum geht, das komplexe Verhältnis zwischen gesellschaftlich-religiöser Voraussetzung Politischer Theologie für die Rechtssammlungen als gelehrte Programmtexte und deren Wirkungen auf die Gesellschaft und ihre religiöse Entwicklung zu klären. Vor allem greift es wohl zu kurz, wenn die Vfn. aus der Tatsache, dass die Rechtsentwicklung in Juda wie in allen antiken Kulturen in der Hand ausgebildeter Eliten lag, schließt, dass gesellschaftliche Impulse nur durch deren Filter als Interessen der Eliten Einfluss auf das Recht nehmen konnten. Hier unterschätzt sie bei weitem die judäischen Priester, die gerade nicht als Funktionäre von Eliteninteressen tätig waren, sondern aus religiösen Impulsen heraus Modellvorstellungen der Gesellschaft, die nach ihren Interpretationen den Gotteswillen widerspiegelten, entwickelten. Sie sollten die Antwort auf Krisenerfahrungen sein bis hin zur Krise des Exils, auf die das deuteronomistische Deuteronomium als Verfassungsentwurf für das Neue Israel nach dem Exil antwortet.

Der Engführung in der These der Vfn. korrespondiert, dass sie mit J. Goody3 der Meinung ist, dass die Verschriftung des Rechts zu seiner Erstarrung beitrage und es somit von den Entwicklungen der Gesellschaft abgekoppelt werde. Genau das Gegenteil ist der Fall. Erst mit der Verschriftung, die dem Recht Dauer verleihen soll, wird eine als solche reflektierte Reformulierung und damit Reformierung des Rechts möglich und mit der durch die Verschriftung geschaffenen Distanz des Rechts von der Gesellschaft, die die Vfn. zu Recht betont, eine programmatische Kritik an der Gesellschaft durch das Recht. Eben dies ist besonders der Fall des deuteronomisch-spätvorexilischen und des deuteronomistisch-exilischen Deuteronomiums, aber auch bereits des Bundesbuches, das nur wenig älter ist als das deuteronomisch-spätvorexilische Deuteronomium.

Die Vfn. schließt sich der zunehmend an Boden gewinnenden These an, dass weder die keilschriftlichen noch die biblischen Rechtssammlungen originär Legalfunktionen hatten, sondern "scientific treaties" seien. Die bisherige Forschung aber habe nicht ausreichende Gründe beibringen können, warum diese Rechtssammlungen in den Schreiberkreisen tradiert wurden. Die Vfn. will diese Fragen durch die Interpretation des biblischen Rechts in Analogie zum Dharma-Konzept als moralische Ratschläge von Schreibern beantworten. Problematisch sind die Voraussetzungen, da die Vfn. postuliert, dass es eine undifferenzierte altorientalische "weisheitliche Moraltradition" gegeben habe, die Konzepte von Dharma, Ma'at, kittu(m) und Tora also identisch seien. Im Gegensatz zum ägyptischen, mit der Ma'at-Konzeption verbundenen Rechtsverständnis, das die Gerechtigkeit im König inkarniert sieht, ist das biblische Rechtsverständnis auf Grund seiner unbeschadet der josianischen Professio- nalisierung der Ortsgerichte prinzipiellen Königsferne durch eine "Exkarnierung" des Gerechtigkeitsgedankens in die Rechtssätze und ihre Sammlungen gekennzeichnet und darin dem frühen griechischen Recht vergleichbar. Gerade diese Differenz zwischen dem altorientalischen Rechtsverständis einerseits und dem Judas und Griechenlands andererseits muss die Vfn. um der These der altorientalisch-judäischen Einheitsmoralität der Schreibereliten willen übergehen, wenn sie die Schreiber, auf die das Bundesbuch zurückzuführen sei, als Theoretiker der königlichen Macht beschreibt, obwohl der König, anders als in den jeweils mit Prolog und Epilog versehenen keilschriftlichen Rechtssammlungen, im Bundesbuch keine Funktion hat und auch in das Deuteronomium erst deuteronomistisch mit dem Königsgesetz in Dtn 17,14-20 eingeführt wird. Der König als Patron der Schreiber liefert der Vfn. im Gegensatz dazu den Schlüssel, um die Transformierung der weisheitlichen Moralregeln zu Rechtssätzen zu erklären, schließt sie doch aus Dtn 17,19, dass der König seine Hofschreiber konsultierte, wenn er einen Rechtsstreit zu entscheiden hatte. Werde schon damit eine erste Weiche zur Umdeutung der Weisheitsregeln zu solchen des Rechts gestellt, so seien noch wirkungsvoller die Verschriftung der Regeln und die Emanzipation der Schreiber von der Institution des Königs als Folge der Verschriftung. Eben dieser Nachweis der originären Königsbindung des Bundesbuches fehlt und muss fehlen, weil von Anfang an das Bundesbuch wie das Deuteronomium vor Einschub des deuteronomistischen Königsgesetzes in Dtn 17,14-20 und auch danach königsfernes Programm des Gottesrechts war. Für die Vfn. steht dagegen fest, dass dtr Kreise im Bundesbuch die Autorität des Königs als Gesetzgeber durch die JHWHs ersetzt hätten. - Hier wird man des Grundproblems der Monographie ansichtig, die ihre Thesen unter Verzicht auf jede auch nur ansatzweise vorgetragene exegetische Verifikation gewinnt und allein mit dem Analogieschluss aus rechtssoziologischer Literatur argumentiert.

Sollte dtr das Subjekt der Legislation gewechselt haben, so wäre im Bundesbuch eine dtr Schicht abzuheben und die vordtr Kernüberlieferung daraufhin zu befragen, ob sie irgendeinen Hinweis auf den König als Gesetzgeber gibt. So jedenfalls verfehlt die Vfn. ihren Punkt, dass die Theologisierung des Rechts im Bundesbuch nicht Reaktion auf die Krise der judäischen Gesellschaft und ihres Rechtssystems sei, sondern Ausdruck einer vom gesellschaftlich-historischen Kontext unabhängigen Exegese von Schriftgelehrten. Dort, wo der Prozess innerbiblischer Exegese unmittelbar nachvollziehbar ist, weil der ausgelegte und der auslegende Text uns vorliegen, nämlich mit der Auslegung des Bundesbuches im Deuteronomium, ergibt sich ein anderes Fazit. Die Applikation sehr komplexer Methoden innerbiblischer Schriftauslegung wird zur Modernisierung der Rechtstradition als Reaktion auf die Herausforderung durch die neuassyrische Hegemonialmacht und ihre Ansprüche genutzt, während das Bundesbuch auf die in den Propheten des 8. Jh.s v. Chr. bereits erkennbar werdende innerjudäische Gesellschaftskrise reagiert.

Die Vfn. hat eine die Diskussion um Wesen und Funktion der biblischen Rechtssammlungen stimulierende Monographie vorgelegt. Jeder, der sich zur biblischen Rechtsgeschichte äußert, muss Antwort auf die von ihr gestellten Fragen geben. Vor allem dem hohen Standard rechtssoziologischer Argumentation in dieser Monographie wird man sich zu stellen haben. Die Antworten auf die von der Vfn. gestellten Fragen werden abweichen, nicht zuletzt deshalb, weil sie auf eine eigenständige exegetische Verifikation ihrer Thesen verzichtet, un d statt dessen pauschal rechtssoziologische Literatur auf das Alte Testament ohne Prüfung an den Texten überträgt. Die Monographie wird durch Literaturverzeichnis und Register abgeschlossen.

Fussnoten:

1) Vgl. Legal Transplants. An Approach to Comparative Law, Edinburgh 1974; ders., Society and Legal Change, Edinburgh 1977; ders., The Evolution of Law, Oxford 1985.

2) Israel and the Book of the Covenant. An Anthropological Approach to Biblical Law, SBL.DS 140, Atlanta 1993.

3) The Logic of Writing and the Organization of Society, Cambridge 1986.