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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

653–655

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Osthof, Friederike

Titel/Untertitel:

In deinem Lichte schauen wir das Licht. Die Wahrnehmung Gottes im Spiegel menschlichen Handelns: Zum theologischen Denken Richard Rothes in seinen Briefen, seinen Predigten und in der Theologischen Ethik.

Verlag:

Bern-Berlin-Bruxelles-Frankfurt/M.-New York-Wien: Lang 1999. 312 S. 8 = Europäische Hochschulschriften. Reihe 23: Theologie, 645. DM 83,-. ISBN 3-906760-75-8.

Rezensent:

Martin Schuck

Richard Rothe (1799-1867) hat durch seine Vision von dem Aufgehen der christlichen Freiheit im sittlichen Kulturstaat vor allem die liberale Theologie stark beeinflusst; weniger rezipiert wurden dagegen die Grundlagen seiner Theologie, die, wie bei anderen zeitgenössischen Vermittlungstheologen auch, stark vom spekulativen Denken geprägt sind. Nicht zuletzt auf Grund seiner kirchenpolitischen Tätigkeit im Sinne des theologischen Liberalismus (Gründung des Protestantenvereins) waren einige Motive seiner Theologie Gegenstand zustimmender Anknüpfung, aber auch entschiedener Ablehnung. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s hat sich ein Interpretationsverfahren durchgesetzt, das Rothes Theologie vor dem Hintergrund der zeitgeschichtlichen Konstellationen aus ihren sachlichen Ausgangsfragen heraus verstehen will. Ausgangspunkt einer solchen historisch-genetischen Beschäftigung mit Rothe ist neben dem 1837 erschienenen Werk Die Anfänge der christlichen Kirche und ihrer Verfassung vor allem sein in zwei Ausführungen (1845-1848 und 1867-1871) vorliegendes Hauptwerk Theologische Ethik.

Die zu besprechende, aus einer Dissertation an der Theologischen Fakultät Zürich hervorgegangene Studie von F. Osthof fühlt sich einerseits der skizzierten Methode verpflichtet, insofern sie von der Einheitlichkeit von Rothes Werk ausgeht und den Zugang einer werkimmanenten und themaorientierten Interpretation (21) wählt; andererseits will O. mittels eines biographisch-entwicklungsgeschichtliche[n] Verfahren[s] zeigen, dass und wie Rothes persönlicher Glaube die Grundlage seines Lebens und Ausgangs- und Zielpunkt seines Denkens ist (21).

Im Gegensatz zur gängigen Interpretation Rothes von seinem wissenschaftlichen Werk her wählt O., um der behaupteten Vorrangstellung des Glaubens gerecht zu werden, einen anderen Zugang zur Theologie Rothes: Ausgehend von Zeugnissen der persönlichen Frömmigkeit will sie das wissenschaftliche Werk als auf den Begriff gebrachten Glauben begreifen. Dieser Ansatz lässt die Gliederung des Hauptteils der Arbeit als logisch und folgerichtig erscheinen: In einem ersten Abschnitt (Das Abbild der Frömmigkeit in den Briefen: Der gelebte Glaube und das geglaubte Leben; 25-66) sollen mittels der Analyse von Briefen, die Rothe geschrieben hat, die Wurzeln und Quellen, und das heißt bei Rothe die Lebens- und Denkerfahrung, aufgesucht werden, die sein Verständnis von Glauben und dessen intellektuelle Durchdringung geprägt haben (22). Im zweiten Abschnitt (Das Abbild der Frömmigkeit in den Predigten: Der sich selbst vermittelnde Glaube; 67-207), der eine gründliche Analyse von Rothes Predigten liefert, stehe, so die Vfn., der sittlich glaubende Mensch, der aus seiner Gottesbeziehung heraus lebt und handelt, im Zentrum der Rotheschen Denkbemühungen (22), bevor im dritten Abschnitt (Das Abbild der Frömmigkeit in der Theologischen Ethik: Der auf den Begriff gebrachte Glaube; 208-289) beschrieben wird, wie sich Rothes Glaubenserfahrung zu einem ebenso umfang- wie detailreichen System [entfaltet], in dem gleichermaßen Rothes Anschauungen von Gott, Welt und Leben wie auch sein Wille, die Wahrheit wirklich werden zu lassen, zum Ausdruck kommen (22).

Dieses von O. gewählte Verfahren scheint den Vorteil zu haben, sich in hohem Maße den Rotheschen Denkbewegungen (23) anzupassen und einen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen Rothes Theologie als Ausdruck seines Glaubens gewürdigt werden kann. Diese Sichtweise wird unterstützt durch Briefe, die O. zitiert, und in denen sich Rothe selbst in diesem Sinne äußert (siehe vor allem 51 und 208). Angesichts der Tatsache, dass Rothe neben seiner Lehrtätigkeit zunächst am Wittenberger Predigerseminar und später an der Universität Heidelberg (sowie für kurze Zeit an der Universität Bonn) sehr rege am kirchlichen Leben und auch an den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit teilgenommen hat, verdient die vorliegende Studie allein deshalb Beachtung, weil hier sehr anschaulich herausgearbeitet wird, wie der wissenschaftliche Theologe und der Kirchenmann Rothe eine Einheit bilden. Durch ihre gründliche Analyse der Predigten, dem eindeutig stärksten Teil der Arbeit, gelingt der Vfn. hier ein wichtiger Beitrag für die Rothe-Forschung.

Gleichwohl kann nicht verschwiegen werden, dass trotz des Mutes, Rothe einmal anders als von seinem Hauptwerk her zu verstehen, das gewählte Verfahren zu einigen Bedenken Anlass gibt. So erscheint die Analyse der Theologischen Ethik im Vergleich zur sehr ausführlichen Behandlung der Predigten doch recht knapp, und der Leser wird den Eindruck nicht los, dass der in Brief- und Predigtanalyse herausgearbeitete Frömmigkeitsstil Rothes allzu vordergründig zum Interpretament für die Theologische Ethik gemacht wird. In diesem Sinne wäre etwa O.s Diagnose des Subjektivismus (239 f.) noch einmal auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen, was aber eine genauere Analyse von Rothes Subjektbegriff zum einen als transzendentales Subjekt des Schöpfers und zum anderen als empirisches Subjekt des Menschen zur Voraussetzung hätte. Das Einklagen einer reflektierten Subjektivität (239) hilft hier allein nicht weiter; und vor allem der Vorwurf einer mangelnde[n] Unterscheidung zwischen Gott und Mensch/Welt (239, vgl. auch 107), müsste auf seine Stichhaltigkeit innerhalb Rothes Denkansatz hin genauer überprüft werden. Hier zeigt es sich dann deutlich, dass ein aus der Analyse der Predigten gewonnenes Urteil auf die Theologische Ethik übertragen wird, ohne das kategoriale System der Ethik genau zu durchleuchten. Gerade bei einem wissenschaftlich arbeitenden Theologen müssen aber die in den Predigten gebrauchten Kategorien vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Werkes bewertet werden und nicht umgekehrt. Die Behauptung der Einheitlichkeit von Rothes Denken setzt sich damit der Gefahr aus, dadurch erkauft zu erscheinen, dass aus der Predigtanalyse gewonnene Urteile den Interpretationsrahmen für die Theologische Ethik liefern sollen. Damit würde man aber das wissenschaftliche Lebenswerk eines Richard Rothe banalisieren.

Bleibt zum Schluss der Hinweis auf eine Arbeit, die trotz der genannten Bedenken als voll und ganz gelungen bezeichnet werden kann. Gerade der Versuch, Rothes wissenschaftliches Werk von seiner in den Briefen und Predigten dokumentierten Frömmigkeit her zu verstehen, könnte auf die weitere Forschung anregend wirken.