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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

571 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Gärtner, Stefan

Titel/Untertitel:

Gottesrede in (post-)moderner Gesellschaft. Grundlagen einer praktisch-theologischen Sprachlehre.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2000. 247 S. gr.8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-506-72942-X.

Rezensent:

Albrecht Grözinger

Um es gleich vorweg zu sagen: Der Titel des für den Buchhandel vom Verlag bereitgestellten Buches "Gottesrede in (post-) moderner Gesellschaft" suggeriert einen Theoriehorizont, der durch den Inhalt nicht gedeckt ist. Die prominenten Theoretiker der Postmoderne wie Jacques Derrida, Zygmunt Baumann, Jean François Lyotard oder Richard Rorty kommen überhaupt nicht zu Wort oder werden nur am Rande erwähnt. Insofern ist der ursprüngliche Titel der von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster angenommenen Dissertation "Praktische Theologie und Gottesrede. Zu den Grundlagen einer praktisch-theologischen Sprachlehre" sehr viel unprätentiöser und damit treffender. Gleichwohl verweist bereits die Frage des Titels auf das spezifische Profil der Arbeit und ihrer Problematik, worauf ich zum Schluss meiner Besprechung noch einmal zu sprechen kommen möchte.

Der Darstellungsarchitektur der Arbeit ist ihr Entstehenszusammenhang zum Zweck der Promotion deutlich abzuspüren. Theorien werden dargestellt, auf ihr Für und Wider geprüft, und schließlich auf ihre homiletischen Konsequenzen hin befragt. Dies verleiht der Arbeit einen lehrreichen und soliden, manchmal aber auch etwas monotonen Charakter.

Der erste Hauptteil widmet sich der Fragestellung nach den Möglichkeiten und Problemen einer "Gottesrede als religiöses Phänomen in der modernen Gesellschaft". Für die Gesellschaftstheorie werden Edmund Husserl und Jürgen Habermas (kritisch) und Niklas Luhmann (eher zustimmend) in Anspruch genommen. Die Klassiker der neueren Religionstheorie (Thomas Luckmann und Peter L. Berger) kommen ebenso zu Wort wie neuere Analysen zum Ort der Religion in der multikulturellen Gesellschaft (vor allem G. Dux). Die Analyse summiert sich zu einem ausgewogenen Resümee, dem man die Zustimmung wohl kaum verweigern kann: "Die aktuelle Situation der Gottesrede erweist sich ... als ambivalent. Es zeigten sich Elemente, an die positiv angeknüpft werden kann, ohne dass dabei allerdings die Sinndeutung dieser Elemente durch das säkular geprägte Subjekt übergangen werden darf. Es sind dies Elemente ausschließlich aus dem Bereich der privaten Lebenswelten. Zudem ist deutlich geworden, dass christliche Gottesrede als kirchliche Rede von den Gesetzen des religiösen Marktes mit geprägt ist, obwohl sie zugleich Strategien entwickelt hat, ihnen zu widerstehen. Die Herausforderung besteht somit darin, einerseits an den Plausibilitäten der modernen säkularisierten Gesellschaft anzuknüpfen, ohne andererseits bei der Rede von Gott fraglos und eilfertig dem Bedürfnis nach privatisierter Religiosität oder den Überlebensinteressen der kirchlichen Institution zu entsprechen." (50 f.)

Dieser Aufgabenstellung versucht der zweite Hauptteil der Arbeit mit Reflexionen zu "Praktisch-Theologischen Grundlagen der Gottesrede" gerecht zu werden. Es kennzeichnet den theologischen Ansatz von Gärtner, dass homiletische Sprach-Arbeit nicht lediglich als Vermittlungsproblem begriffen wird, sondern als theologische Grundlagen-Reflexion. Deshalb steht das ganze Sprach-Kapitel unter der ausgreifenden These "Das Offenbarungshandeln Gottes ist der Ursprung der Gottesrede - ihr Ziel ist die Subjektwerdung des Menschen" (111 u. ö.). Dieser Reflexionszusammenhang wird mit einem spannenden Kapitel zu Hermann Cohen eröffnet, dessen späte Religionsphilosophie auf den aktuellen Horizont unserer Gegenwart gespiegelt wird (eine der ganz wenigen Passagen, wo das Buch in der Tat postmodern vorgeht). Es folgen Kapitel zur Form der Gottesrede und zum Zusammenhang von Gottesrede und Gotteshandeln sowie Überlegungen zu den heute möglichen und geforderten Sprachformen der Gottesrede.

Blicke ich auf den gesamten Argumentations- und Darstellungsweg der Dissertation, so ist mein Eindruck durchaus ambivalent. Der Autor kennt die gängigen Theorien und kann sie geschickt auf seine Fragestellung beziehen. Man legt das Buch mit dem Gefühl aus der Hand, solide belehrt worden zu sein. Allerdings belehrt über das, was man im Grunde schon kannte. Und damit bin ich wieder bei meiner Bemerkung. Führt das Buch zu Recht das Suffix "post-modern" im Titel? Dabei geht es mir jetzt nicht darum, ob der Vf. den Theorien der Postmoderne (die ja in sich sehr plural und zum Teil heterogen sind) zustimmt oder nicht. Sondern es geht mir darum, ob die homiletische Problematik auf den Horizont der Postmoderne-Diskussion bezogen ist oder nicht. Im Grunde beschränkt sich die Darstellung (und dies - wie gesagt - gekonnt) auf die theoretischen Positionen der klassischen Moderne. Deshalb stellt das Buch für mich auch eher einen resümierenden Rückblick auf die homiletische Diskussion in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s dar, als dass es wirklich die Tür zum 21. Jh. aufschlösse. Vielleicht meldet sich hier auch ein konfessionsspezifischer und deshalb alles andere als zufälliger Unterschied an: Kann eine katholische Homiletik doch noch mehr - bei aller Wandelbarkeit - der Stabilität der religiösen Traditionen und Institutionen vertrauen? Während eine protestantische Homiletik nichts in Händen hält als das zerbrechliche ,Wort', und deshalb theoretisch und praktisch mehr riskieren muss?