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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

554–556

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Seifert, Katharina

Titel/Untertitel:

Glaube und Politik. Die Ökumenische Versammlung in der DDR 1988/89.

Verlag:

Leipzig: Benno 2000. XXIX, 378 S. 8 = Erfurter Theologische Studien, 78. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7462-1362-2

Rezensent:

Götz Planer-Friedrich

Als die DDR in ihren letzten Zügen lag, lief das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zur Hochform auf. Ausgerechnet ein kirchliches Ereignis jagte den Tschekisten Angst und Schrecken ein. "Am direkten operativen Einsatz während der ,Ökumenischen Versammlung' nehmen 12 IM der Hauptabteilung XX/4 sowie weitere 13 IM von 9 Bezirksverwaltungen/Abteilung XX teil", heißt es in einem "Einsatzkonzept" vom 4. Januar 1988. Außerdem wurde eine Einsatzgruppe mit acht hochrangigen Hauptamtlichen gebildet. Die IM (Inoffizielle Mitarbeiter) hatten den Auftrag, theologische und ideologische Differenzen zwischen den Delegierten zu schüren bzw. zu verstärken. Dass ihnen das nicht gelungen ist, sie wenigstens das Ergebnis kaum beeinflussen konnten, ist vielleicht eines der Wunder des Heiligen Geistes.

Die katholische Theologin Katharina Seifert hat in ihrer Freiburger Dissertation alles zusammengetragen, was mit diesem Ereignis zu tun hat. Dabei greift sie in einem ersten Teil auf die Wurzeln einer solchen Versammlung in den 30er Jahren zurück und würdigt den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer und seinen katholischen Kollegen Max Josef Metzger, die unabhängig voneinander die Idee eines christlichen Friedenskonzils in die Debatte geworfen hatten. Beide haben ihr Engagement für ein aus christlicher Verantwortung resultierendes Friedensstreben mit dem gewaltsamen Tod durch das Hitler-Regime bezahlt.

Ihre Gedanken und Anregungen fielen erst später auf fruchtbaren Boden. S. nennt die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver 1983, wo die Delegation des evangelischen Kirchenbundes aus der DDR einen entsprechenden Antrag eingebracht hatte, den Carl Friedrich von Weizsäcker auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf 1985 mit dem Aufruf zu einem christlichen Friedenskonzil unterstützte.

Am Konzils-Begriff drohte das ganze Vorhaben bereits im Ansatz zu scheitern. Seifert geht auf die entsprechende Diskussion nur kurz ein. Dass damit der ekklesiologische Charakter der "Ökumenischen Versammlung" - wie sie schließlich genannt wurde - negiert wurde, wird nicht weiter verfolgt. Daher fehlt an dieser Stelle auch der Hinweis auf den seit Löwen 1971 benutzten Begriff der Konziliarität (vgl. Ernst Lange: Die ökumenische Utopie oder was bewegt die ökumenische Bewegung, Stuttgart 1972). Damals hatte die Kommission "Glaube und Kirchenverfassung" unter aktiver Beteiligung der katholischen Kirche die Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils im Blick auf die ökumenische Bewegung ausgewertet. Um die strittigen Fragen eines ökumenischen Konzils zu umgehen, sprach man von Konziliarität einmal als "konstante Struktur des Lebens der Kirche", zum anderen als "Ereignis, das eines Tages vielleicht stattfinden wird". In Deutschland hat sich in engagierten Kreisen der Begriff eines "konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" (vgl. Ulrich Schmitthenner [Hrsg.]: Der konziliare Prozeß, Idstein 1998) erhalten, der jedoch keine ökumenische Breitenwirkung erzielt hat.

Der bei weitem größte Teil des Buches von S. ist dem Thema entsprechend der Ökumenischen Versammlung in der DDR gewidmet. In drei Etappen waren die Texte erarbeitet worden, die schließlich im April 1989 in Dresden verabschiedet wurden. Dazwischen lag ein ausgedehnter Diskussionsprozess, während dem die einzelnen Arbeitsgruppen der Vollversammlung etwa 10.000 Eingaben zu bearbeiten hatten. Das verschaffte den einzelnen Texten zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung große Basisnähe, was wiederum das MfS in helle Aufregung versetzte.

Verwunderlich ist das nicht, denn die zwölf in Dresden verabschiedeten Texte enthalten nichts weniger als eine kritische Bestandsaufnahme der DDR-Situation vor dem Hintergrund der biblischen Botschaft. Wie S. im dritten Teil ihrer Dissertation überzeugend nachweisen kann, haben manche Aussagen und Formulierungen der Ökumenischen Versammlung in der DDR Eingang gefunden in Synoden und Bischofskonferenzen, in Gründungsdokumente und Aufrufe der politischen Gruppierungen und Parteien im "revolutionären Herbst", des "Runden Tisches" und sogar in Verfassungen der neuen Bundesländer, was ausführlich am Entstehungsprozess der sächsischen Landesverfassung dargestellt wird.

Aufschlussreich sind vor allem die Zitate aus Hintergrundgesprächen, die S. bereits 1999 unter dem Titel "Durch Umkehr zur Wende" veröffentlicht hat. So meint zum Beispiel Karl-Heinz Ducke, einer der wichtigen katholischen Theologen in der Versammlung, die "Theologische Grundlegung" sei eigentlich ein "Kunstprodukt" und habe bei der Ausarbeitung der anderen Papiere praktisch keine Rolle gespielt: "In sehr irenischer Weise [wurde] versucht, ... eine Basis zu formulieren, die es nicht gab." Seiner Ansicht nach hätten sehr "pragmatische Ansatzpunkte am Anfang [ge]standen und nicht theologische Grundsätze". Dagegen wehrt sich Heino Falcke gegen den Eindruck, es sei nur künstlich ein "theologischer Himmel" über die Situationsanalyse gewölbt worden. Und Christof Ziemer meint, der Text habe "gerade von katholischen Theologen gute Noten erhalten". Doch bei allem Respekt vor der theologischen Denk- und Formulierungsarbeit der Autoren ist diesem Text keine besondere Nachwirkung beschieden gewesen.

Der für die politische Entwicklung wichtigste Text war überschrieben mit "Mehr Gerechtigkeit in der DDR". Über die Brisanz seines Inhalts waren sich die Delegierten einig. Deshalb meint S., er zeuge "von sehr viel Mut". Schließlich bedeuteten die Forderungen dieses Textes 3 "für die meisten Kirchen ... eine Aufkündigung ihrer bisherigen Kirchenpolitik". Vor Verabschiedung dieses Textes wurde der lutherische Bischof Johannes Hempel (Dresden) noch einmal von staatlichen Stellen einbestellt. Über das Gespräch berichtete er - zum Verdruss des MfS - vor den Delegierten. Der Staatssekretär für Kirchenfragen habe eine "Verhärtung" des Verhältnisses zwischen Staat und evangelischer Kirche angekündigt, falls der Text so verabschiedet würde. "Das bedeutete nun", äußert sich später Karl-Heinz Ducke, "daß wir, eine kleine Gruppierung innerhalb der Ökumenischen Versammlung, plötzlich unsere ganze Taktik ändern mußten. Wir hatten nämlich beschlossen, dieses Papier 3 wegen einer gewissen Sozialismusnähe zu Fall zu bringen." So bahnte sich der Text im Angesicht des gemeinsamen Gegners seinen Weg.

S. schließt mit einem Exkurs über den "Kairos". Sie hat nachgewiesen, dass die Ökumenische Versammlung in der DDR nicht nur ein Stimmungsbild der Situation vor der "Wende" abgegeben, sondern auch unmittelbar Einfluss genommen hat auf den Fortgang der politischen Entwicklung bis zur Herstellung der deutschen Einheit im Oktober 1990. Was sie nicht schreibt: Viele der Forderungen, die die Delegierten zu Papier brachten, sind unabgegolten und weiterhin auf der Tagesordnung von Politik und Kirche.