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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

180–182

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Gößner, Andreas

Titel/Untertitel:

Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation. Die Augsburger Ratspolitik des "milten und mitleren weges" 1520-1534.

Verlag:

Berlin: Akademie Verlag 1999. 300 S. gr.8 = Colloquia Augustana, 11. Lw. DM 78,-. ISBN 3-05-003413-0.

Rezensent:

Eike Wolgast

Seit der großen Reformationsgeschichte Augsburgs aus der Feder Friedrich Roths (3 Bde. 1901-1911) ist eine Fülle von Einzeluntersuchungen und zusammenfassenden Darstellungen über die kirchliche Entwicklung Augsburgs im 16. Jh. erschienen. Die vorliegende Monographie, eine kirchenhistorische Münchener Dissertation, betreut von Reinhard Schwarz, wählt die Ratsperspektive, um die entscheidenden Jahre bis zur Einführung der Reformation 1534 nachzuzeichnen. Nach sehr kurzen Ausführungen über die "historischen Gegebenheiten zu Beginn des 16. Jahrhunderts", wird im Kapitel "Die Reichsstadt Augsburg 1520-1529" gleichfalls sehr knapp die Politik des "mittleren Weges", die Konrad Peutinger konzipiert hatte, erläutert - Peutinger ließ sich von drei politischen Konstanten leiten: Loyalität zu Habsburg, wirtschaftliche Blüte der Stadt, Kirchenreform im Geiste des Humanismus. Der "mittlere Weg" wurde auch gegenüber den aufständischen Bauern 1525 verfolgt, nicht aber gegenüber den Täufern, die der Rat nach einer Disputation von Ratspredigern mit vier Täuferführern im Oktober 1527 durch ein Mandat kriminalisierte. Kurz wird der Reichstag von 1530 in seinen Auswirkungen auf die Stadt untersucht. Der Reichsabschied gab dem Kleinen Rat den ersten Anstoß, gedeckt durch den Großen Rat, die Politik des Mittelwegs zu verlassen.

Die Gründe der Neuorientierung werden von G. nicht analysiert, die Feststellung, dass der Rat "zunehmend unter dem Druck der auf kirchliche Reformen drängenden Bürgerschaft" gestanden habe (56), bedürfte der Präzisierung ebenso wie die Erklärung, dass "die soziale Lage der unteren Bevölkerungsschichten sich soweit verschlechtert" (ebd.) hatte, dass sich die politisch konservativen Mitglieder des Kleinen Rates zur Rettung der gesellschaftlichen Ordnung zu Konzessionen auf kirchlichem Gebiet genötigt sahen. 1529 hatte Augsburg den Abschied von Speyer II noch unterschrieben; warum die Annahme 1530 verweigert wurde, hätte ausführlicher erläutert werden müssen, zumal es sich bei diesem Akt, schon für die Zeitgenossen erkennbar, um die entscheidende Weichenstellung handelte. Die Biographien der Protagonisten der alt- und der neugläubigen Ratspartei werden im Einzelnen nachgezeichnet, wobei besondere Ausführlichkeit Peutinger zuteil wird, über den freilich auch bisher schon fast alles bekannt war; der altgläubige Johann Rehlinger wird sehr viel kürzer abgetan, ebenso ergeht es den evangelischen Ratskonsulenten Hel, Hagk und Langnauer. Das Kernstück der Arbeit bilden die Kap. 6-8, die sich mit der Eingabe der Prädikanten von 1533, in der gefordert wurde, den altkirchlichen Gottesdienst zu unterdrücken, und der Reaktion des Rates darauf befassen. Die Gutachten der fünf Ratskonsulenten werden breit referiert, wiederum nimmt Peutinger weitaus den meisten Raum ein, obwohl der Text, von G. zu Recht als "politisches Vermächtnis des großen Augsburger Humanisten" (102) bezeichnet, zur Gänze S. 221-271 ediert wird. Benutzt worden waren alle von G. referierten Gutachten bereits ausführlich 1901 von Wilhelm Hans. Während Peutinger und Rehlinger dem Rat als "mynder weltlich oberkait" (so Peutinger fol. 40v) ein ius reformandi bestritten und die Kirchenreform dem Konzil vorbehielten, rekurrierten auch Hel, Hagk (sein Gutachten ist nur fragmentarisch erhalten) und Langnauer zwar ebenfalls auf das Konzil, Langnauer gab aber dem Rat ein gutes Gewissen zur administrativen Einführung der Reformation, indem er ihm unter Verweis auf Röm 13,1-7 die Vollmacht zusprach, kirchliche Missbräuche in eigener Verantwortung abzustellen, und zugleich erklärte, dass die traditionellen kirchlichen Ordnungen gegen Gottes Willen verstießen. G. referiert den Inhalt weiterer Gutachten, die der Rat - auch von auswärts - einholte, und schildert die die Reformationseinführung vorbereitenden und absichernden politischen Schritte des Rates: das Bündnis mit Ulm und Nürnberg, die Verhandlungen mit Bischof und Kapitel und die Verhandlungen mit dem Schmalkaldischen Bund. Nicht zuletzt diese Verhandlungen werden dem Vf. die Charakterisierung der von ihm untersuchten Zeitspanne als "vorherrschend dialogischen Charakter" (213) tragend nahegelegt haben. Die Entwicklung bis zum Ratsmandat vom 29. Juli 1534 und die Rechtfertigungen des Rates gegenüber Protesten der bayerischen Herzöge und König Ferdinands werden abschließend kurz dargestellt.

So begrüßenswert die Konzentration des Vf.s auf die Ratspolitik ist, die die Untersuchung nur auf 217 Seiten hat anwachsen lassen, bleibt andererseits in der Kargheit der Auskünfte manches offen bzw. befriedigt den Erklärungsbedarf nicht (Täuferfrage, Wandel kirchlicher Gesinnung bei Ratsmitgliedern und Bevölkerung, Reaktionen altkirchlicher Geistlicher u.a.). In mehreren Kapiteln wäre etwas mehr Ausführlichkeit wünschenswert gewesen - dagegen hätte bei den Gutachtenanalysen gespart werden können. Wenn Roth vorgeworfen wird, er ließe "eine Schilderung der sozialen Ereignisse vermissen" und habe "eine einseitig konfessionell-lutherische Tendenz" (13), so ist dieser gewiss zutreffenden Kritik hinzuzufügen, dass die "sozialen Ereignisse" bei G. gleichfalls keine Rolle spielen und dass er mit der reichlichen Verwendung von "progressiv" für "evangelisch gesinnt" (vgl. dazu "progressive Bevölkerungsmehrheit", 172, "progressive Einstellung der Altbürgermeister", 172, "progressive Religionspolitik", 174) auch nicht gerade tendenzlos verfährt. Insgesamt stellt das auf einem breiten Fundament ungedruckter Quellen beruhende Buch einen wichtigen Beitrag zur frühen Reformationsgeschichte Augsburgs dar.