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Ausgabe:

März/1999

Spalte:

324–326

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Baudler, Georg

Titel/Untertitel:

Das Kreuz. Geschichte und Bedeutung.

Verlag:

Düsseldorf: Patmos 1997. 375 S. m. 109 Abb. 8. ISBN 3-491-77013-0.

Rezensent:

Friedrich Jacob

Georg Baudler durchschreitet in seiner Monographie über das Kreuz ein weites Feld. Unmittelbarer Anlaß war das sogenannte "Kreuz-Urteil" des Deutschen Bundesverfassungsgerichtes. In einer Schlußbetrachtung wird darauf expressiv verbis eingegangen. Andererseits setzt er an bei den frühesten Zeiten menschlicher Religion und Kultur in der Jungsteinzeit. An Hand eines reichen Bildmaterials werden Kreuzeszeichen aus allen Epochen der Menschheitsgeschichte gedeutet und mit dem Kreuz Jesu in Beziehung gesetzt. Dabei ist das Anliegen des Vfs. einerseits, daß das Kreuz Jesu nicht als Zeichen der historisch zufälligen Hinrichtungsart Jesu gegenüber der vieltausendjährigen Religionsgeschichte isoliert werden darf.

Mit diesem Anliegen beruft B. sich auf seinen Lehrer Karl Rahner: "daß sich Heilsgeschichte in Weltgeschichte, als ihr innerer transzendentaler Kern, nicht als erratischer Block von außen in sie eindringend (und ihr dadurch letztlich fremd bleibend) ereignet" (26). Andererseits will er nachweisen, daß bei Jesus bestimmte religionsgeschichtliche Zusammenhänge durchbrochen sind: Sein Kreuz ist kein tödliches Opferkreuz, sondern eher die Wiederherstellung des lebenspendenden Mutterkreuzes, das Zeichen des "in Jesus unwiderruflich offenbar werdenden Gottes einer bedingungslosen Liebe, die allein die Welt retten und verwandeln kann" (239). Das letzte Zitat deutet bereits an, daß B. bei dem allen nicht im engen religionsgeschichtlich-theologischen Rahmen bleibt. Eindrucksvoll stellt er immer wieder aktuelle Bezüge her, besonders zur Auseinandersetzung mit Faschismus und Terrorismus (154 f.).

Die einzelnen Schritte sind folgende: Ein erster Teil ist dem sogenannten Jägerkreuz aus der Frühzeit der Menschheit gewidmet. An Hand von Funden wird erklärt, wie der Mensch lernt, sich in der Welt zurecht zu finden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Erfahrung des Todes, einerseits der Bedrohung durch Tiere und Naturkatastrophen, andererseits der Tötung von Tieren oder dann auch von Menschen durch Menschen. Der Mensch ahmt den "als imponierende Tötungsgewalt mißverstandenen Gott" nach (45). Dies ist der Ursprung des Opfers. Dieser "Tötungswahn" begleitet die Menschheit in ihrer vieltausendjährigen Geschichte bis in die Gegenwart.

Kreuzeszeichen auf Knochen und Steinen werden als Beleg für dieses Opferverständnis gedeutet. Das Jägerkreuz wird weiterentwickelt zum Herrscherkreuz, mit dem der Mensch nicht nur seinen Ort im Raum markiert, sondern zugleich seinen Anspruch auf Weltherrschaft. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Gedanke, daß mit dem Verlust des geozentrischen Weltbildes der Mensch seine urtümliche Orientierungsmöglichkeit verloren hat. Wir brauchen eine "Zeitordnung" als Alternative zur Raumordnung. Dies bringt uns in die Nähe zum "Erfahrungsraum der Frau und Mutter", die durch ihre monatliche Periode und den Ablauf der Schwangerschaft stärker als der Mann von zeitlichen Abläufen geprägt wird, und es bringt uns zugleich in die Nähe der von geschichtlichen Abläufen geprägten biblischen Tradition (65).

Damit ist bereits das Stichwort für den zweiten Teil gegeben. Hier geht es um das Mutterkreuz. Auch das gibt es schon seit der Steinzeit: Kreuze mit anthropomorpher Bedeutung. Sie sind erkennbar an der Verdickung der Kreuzesarme bzw. -schenkel. Sie weisen hin auf die liebend ausgebreiteten Arme der Mutter und auf ihre gebärend gespreizten Schenkel. Das spezifisch menschliche Sozialverhalten entsteht aus der Mutter-Kind-Beziehung. Bedeutete das Jägerkreuz "ich bin, wo ich wirke" (36), so sagt das Mutterkreuz: "Du bist da, wo du geliebt wirst und liebst" (78). Dieses Mutterkreuz als Lebenssymbol wird dann auch verbunden mit dem Symbol des Baumes. Aber es erscheint auch in einer Vermischung von Mutterkreuz und Jägerkreuz auf Waffen, als ambivalenter Hinweis auf Schaffen und Erhalten von Leben und zugleich auf das Töten und Vernichten. In diesem Zusammenhang findet sich dann auch Lehrreiches zum Hakenkreuz.

Der dritte Teil steht unter dem Thema Opferkreuz. Nun kommt die vom Vf. mit Leidenschaft vertretene These zum Tragen: "Das Bild des transzendenten biblischen Gottes befreit den Menschen" (151) von dem Zwang einer "angstfaszinierten" Vergöttlichung der Gewalt. Er beruft sich auf die Opferkritik der alttestamentlichen Propheten, aber auch auf eine Deutung des Jahwe-Namens als "Ich-bin-da" im Sinne einer liebevoll mütterlichen Zuwendung (155). Auf diese grundsätzlichen Gedanken zum Opfer folgen wiederum historische, genauer religionsgeschichtliche Erörterungen über die Zusammenhänge von Hinrichtung und Opfer, die schließlich auf die Geschichte und Bedeutung der römischen Kreuzigung hinzielen. Das wichtigte Ergebnis: Auch bei der römischen Kreuzigung gibt es Überreste eines "matrifokalen" Menschenopfers (192). Die Schändlichkeit der Kreuzigung Jesu hat am Ende auch damit zu tun, daß er den Götzen geopfert wurde.

Der vierte Teil "Das Jesuskreuz: Ort gewaltfreier Gottesoffenbarung" ist zweifellos die Mitte des Buches (194). Die Zusammenfassung der religionsgeschichtlichen Argumentation lautet: "Das Jesuskreuz ist von der Ausgangssituation her ein Opferkreuz: das zum Ort des grausamen Menschenopfers pervertierte Muttersymbol"(194). Die These, die im folgenden bewiesen werden soll, lautet: "Nicht Gott oder Gottes Sohn starb ’für’ unsere Erlösung am Opferkreuz, sondern die Kreuzarme des Opfer- und Foltergeräts erschienen in Jesu Sterben, seinen blutigen Tod umgreifend, als die ausgebreiteten Mutter- und Vaterarme, wurden sichtbar als Gottes Arme und als Symbol der bedingungslosen und gewaltfreien Zuwendung Gottes zum Menschen" (194).

Im folgenden unternimmt es der Vf., bei Paulus, den Synoptikern und Johannes nach zuweisen, daß Jesu Tod ursprünglich nicht als Opfertod verstanden wurde. Erst in Jerusalem zum Christentum bekehrte Priester haben möglicherweise den Sühnopfergedanken eingebracht (219). Die Art, wie dieser Gedanke besonders über den Hebräerbrief Eingang in die christliche Dogmatik bis auf diesen Tag gefunden hat, hat mit einer "hermeneutischen Verstörung" zu tun, die in der "Gleichsetzung von Schrift und Offenbarung" besteht (232). (Der Vf. beruft sich hier auf Eugen Biser.) Die Heilsbedeutung des christlichen Kreuzes ist stattdessen ohne Bezug auf den Opfergedanken zu erfassen als "durchgehaltene Gewaltfreiheit", "Sieg des göttlichen Lebenswillens", als "Mitsterben und -auferstehen" und zusammenfassend als "Ort der Offenbarung Gottes als Liebe" (242 ff.).

Ein letzter fünfter Teil beschäftigt sich schließlich mit dem Kreuzsymbol in der Kirchengeschichte, von den frühesten magisch zu verstehenden Kreuzamuletten bis hin zu zeitgenössischen Darstellungen. Fünf Haupttypen der christlichen Kreuzdarstellung werden genannt: Opferheld und triumphierender Sieger, Träger einer unzerstörbaren Lebenskraft, getötetes Gottesopfer, von Leiden und Qual zerrissener Schmerzensmann und der im Schoß des Vaters sich bergende Gekreuzigte (338 f.).

Mit zwiespältigen Gefühlen legt man das Buch aus der Hand. Beeindruckend und hochinteressant sind die archäologischen und religionsgeschichtlichen Zusammenhänge, wenn auch manches ein wenig überinterpretiert und spekulativ erscheint. Eindrucksvoll ist auch die Art, wie Spezialwissenschaft mit hochaktuellen Dingen in Zusammenhang gebracht wird. Merkwürdigt ist das Bedrüfnis, den traditionellen Sühnopfergedanken abzulehnen und auszuscheiden - am allermerkwürdigsten die Begründung, daß gerade dann, wenn das Christentum einen Platz in der modernen Welt beasnpruchen wolle, solche grausamen Vorstellungen auszuscheiden seien. "Die einzige Erlösung, die der heutige Mensch verstehen kann und nach der er sich aus tiefstem Herzen sehnt, ist die Botschaft von einem bedingungslos liebenden Gott, der als letzter, selbst absolut gewaltfreier Daseinsgrund, die furchtbaren Greueltaten der Menschen in seiner Liebe immer neu noch einmal auffängt und verwandelt" (234). Wenn, wie der Vf. eindrucksvoll darstellt, die Erfahrung von Gewalt und Tod zu den religiösen Urerfahrungen des Menschen gehört, wenn er darin Recht hat, daß auch die Verehrung der lebenspendenden Muttergottheit jene Ambivalenz zum grausamen Töten aufweist, wäre es dann nicht naheliegend, gerade auch das Kreuz Jesu so zu verstehen, daß es ambivalent den zornigen, tötenden Gott und den liebenden, Vergebung und Leben schenkenden spannungsvoll beieinander hält? Und dann wäre man wieder genau bei dem, was Kreuzesopfer in der Tradition meint. Ist nicht am Ende die kirchliche Überlieferung viel näher an der Wirklichkeit der Welt und an der Wirklichkeit des in dieser erfahrbaren Gottes als alle Versuche, die dunklen Seiten des biblischen Gottes- und Menschenbildes wegzuinterpretieren? Diese kritischen Fragen ändern natürlich nichts an der Dankbarkeit dafür, durch das Buch zum Nachdenken über das, was nun wirklich die Mitte unseres Glaubens ist, angeregt worden zu sein, insbesondere dadurch, daß das Zeichen des Kreuzes bis in die Anfänge der Menschheit zurückverfolgt wurde.