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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

882 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stock, Alex

Titel/Untertitel:

Poetische Dogmatik: Christologie. Bd. 1: Namen.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1995. 205 S. gr.8o. geb. DM 58,-. ISBN 3-506-78831-0.

Rezensent:

Gustav A. Krieg

Das hier vorliegende dogmatische Konzept ist für einen protestantischen Rez. bemerkenswert. Bereits Stocks Zusammenschau von Dogmatik und Liturgik verdient beachtet zu werden, d. h. seine ( in protestantischem Bewußtsein nur partiell gegenwärtige) Überzeugung, daß die lex credendi zugleich die lex orandi ist. Bemerkenswert ist das Konzept auch in seinem "poetischen" Zugang zum Thema, d. h. in der Deutung der dogmatischen Tradition als liturgischer Tradition unter dem Aspekt der poiesis, der - eben sinnlich wahrnehmbaren - "Gestaltungskraft" des Christentums (8): Beobachtungen an liturgischen Gestalten, "Konfigurationen von Fundstücken" setzen sich zu einer "anschaulichen Gesamtgestalt" (einer "Idee") zusammen, während das logisch strukturierte "System" ebenso in den Hintergrund tritt wie die dogmengeschichtliche Betrachtungsweise (8 f.). Bemerkenswert ist schließlich (wenngleich angesichts der Zusammengehörigkeit von Dogmatik und Liturgik konsequent) der christologische Ausgangspunkt: "Wahrnehmbar" ist zu-nächst die Fülle der Namen Jesu in ihren jeweiligen Bedeutungs-Kontexten. Dabei erschließt S. das entsprechende "Ge-samtbild" zunächst aus der Liturgie des - mittlerweile abgeschafften - Namen-Jesu-Festes, seinen biblischen Lektionen, Hymnen (einschließlich Phil. 2), seinen Homilien (etwa von Bernhard von Clairveaux), Antiphonen, Orationen usw. (17 ff), um sodann das Spektrum dieser Namen, wie es sich von der Liturgie her entfalten läßt (etwa den Litaneien, den adventlichen O-Antiphonen usw.), weiter aufzufächern (90 ff.).

Wer nicht mit den Specialiora patristischer, mittelalterlicher oder auch nachreformatorisch-katholischer Zugangsweisen zur Liturgik (bzw. Homiletik) vertraut ist (oder sich damit vertraut machen möchte), braucht für die Lektüre des Buches allerdings zunächst Geduld, Bereitschaft zur Vertiefung in versunkene "literarische" Formen und Gattungen, Sprach-"Spiele" und Hermeneutiken. (Daran ändert nichts, daß die Sichtung des Materials zahlreiche Anregungen gegenwärtiger profanwissenschaftlicher Hermeneutiken aufnimmt). Und wer den "raschen" Zugang zu dem sucht, was die Sichtung der Namen im Zusammenhang einer poetischen Dogmatik als Gegenwarts-Dogmatik für den Autor "besagen" könnte, möge sich vielleicht zunächst in das Gedicht P. Nerudas ("Gautama Christus") über die "Namen Gottes" vertiefen (175 f. bzw. 192 f.) - als ein Gedicht über "verbrauchte Namen", die doch Erinnerung sind "an die Ersten, an die, welche fragten" (176). Er möge sodann zu den "Laut-Gedichten" von E. Jandl übergehen (180 ff.), zum Text von H. Oosterhuis "Negenentwintig Naamen voor Jezus van Nazaret" (165 bzw. 192), um sich anschließend dem Gesamtwerk zuzuwenden.

Doch auch weiterhin wird man aus protestantischer Perspektive zunächst Schwierigkeiten mit diesem Buch haben - und zwar aufgrund jener spezifischen liturgischen Traditionen, die "wahrzunehmen" es anleitet: Haben sie im Protestantismus - mit der Ausnahme der Namen-Jesu-Verehrung im lutherischen Barock (H. Schütz) - nie eine Rolle gespielt, so scheinen sie auch im Katholizismus zu verblassen, wie nicht zuletzt die Abschaffung des Namen-Jesu-Festes selber zeigt. Damit kann man auf den ersten Blick auch keinen raschen Gewinn für eine "protestantische" Dogmatik oder Liturgik aus den Betrachtungen des Vf.s ziehen, es sei denn, man wollte S.s "Fundstücke" als Kollektion historisch-liturgischer oder -dogmatischer Fündlein betrachten oder gar als Fundus ökumenischer Möglichkeiten, mit Hilfe einer postmodern-"deskriptiven" Hermeneutik vergessene Texte zu re-inszenieren. Der Rez. hielte einen solchen Umgang mit dem Buch für gründlich verfehlt, und insofern besagen seine entsprechenden Bemerkungen für die Gewichtung dieser Dogmatik nichts. Wichtiger erscheint dem Rez. vielmehr, dem Autor auf verschütteten Spuren des Jesus-Bildes zu folgen, um sodann - und zwar im Anschluß an die Lektüre und ganz für sich selbst - sich den Fragen einer diskursiv-"systematischen" Vergegenwärtigungsweise des Christus Jesus auszusetzen. Das könnte um so fruchtbarer sein, als sich mancherorts die hermeneutische Explikationen der tradierten dogmatischen Topoi zu erschöpfen scheinen.

Vielleicht wird man sich auf den Fortgang von S.s Dogmatik freuen können.