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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

490–492

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Blome, Andrea

Titel/Untertitel:

Frau und Alter. "Alter" – eine Kategorie feministischer Befreiungstheologie.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/ Gütersloher Verlagshaus 1994. 174 S. 8°. Kart. DM 68,- ISBN 3-579-00297-X.

Rezensent:

Martina Blasberg-Kuhnke

Gleich in zwei Lücken will die Studie der Münsteraner Theologin Andrea Blome stoßen. Zum einen wendet sie sich kritisch an die Gerontologie, die Alternswissenschaften, mit der Frage, wieweit sie angemessen zur Kenntnis nehmen, daß alte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland vorwiegend alte Frauen sind. Zum anderen hält sie der feministischen Befreiungstheologie vor, die alten Frauen und ihre Lebenswirklichkeit zu wenig zu berücksichtigen.

Entsprechend gliedert sie ihr Buch in vier Teile: Nach einer Kontextklärung "Frauen und Alter" (Teil I), zeichnet sie Brennpunkte weiblicher Lebensrealität im Alter nach (Teil II). Der III. und IV. Teil sind der feministischen Theologie gewidmet, insofern B. die Kategorie "Alter" in die feministische Befreiungstheologie einführt (Teil III) und "ageism", die systematische Diskriminierung von Frauen, nur weil sie alt sind, als Herausforderung für die feministische Theologie im Kontext der "ersten" Welt formuliert (Teil IV).

Die Autorin verfolgt durchgehend den Anspruch einer interdisziplinären Konzeption zwischen sozialwissenschaftlichen, feministisch-theologischen und politischen Ansätzen.

Die beiden ersten Teile setzen ihren Schwerpunkt in gerontologischen Fragestellungen, wobei der erste, allerdings in äußerster Kürze und in manchen Bereichen recht selektiv, die Vieldimensionalität des Themas "Frauen und Alter" skizziert. Warum bei der Vorstellung der "Altenbewegung" in der Bundesrepublik Deutschland aber lediglich der Seniorenschutzbund "Graue Panther" genannt wird, die gerade von Frauen getragenen Selbsthilfe- und Interessengruppen und die Altengruppen in kirchlichen und gesellschaftlichen Frauenverbänden mit keinem Wort erwähnt werden, bleibt unverständlich.

In ihrem II. Teil wendet sich die Vfn. Brennpunkten weiblicher Lebensrealität zu und fokussiert ihre Auseinandersetzung auf die Themenfelder der Feminisierung der Armut und die Hilfs- und Pflegebedürftigkeit von Frauen. Die erarbeiteten Informationen zeichnen ein eindrucksvolles Bild zweier besonders bedeutsamer Bereiche der Lebenswirklichkeit vieler alter Frauen nach. Andere Bereiche, wie etwa die viele alleinstehende ältere Frauen betreffenden Wohnprobleme im Alter, bleiben allerdings außen vor. Eine exemplarische Behandlung von Feldern weiblicher Lebensrealität im Alter, wie sie hier vorgelegt wird, liefert wichtige Bausteine zum Verstehen der Alterswirklichkeit von Frauen. Gleichwohl wäre eine stärkere Differenzierung wünschenswert; es sind eben nicht alle Frauen im Alter von Armut betroffen und nur eine Minderheit der Hochaltrigen unter ihnen wird hilfs- oder pflegebedürftig. Die Lebensrealität der alten Frauen gibt es nicht; es gibt vielfältige Lebenswirklichkeiten. Ein diakonischer oder befreiungstheologisch-feministischer Ansatz wendet sich spezifischen Problemstellungen zu; sie bedürfen aber der kontextuellen Einbindung. Ansonsten entsteht, gewiß ungewollt, unter der Hand ein neues Defizitmodell weiblichen Alterns, das dieses vorrangig mit Armut und Pflegebedürftigkeit zusammensieht.

Im III. Teil erarbeitet B. Alter als eine Kategorie feministischer Befreiungstheologie und geht damit ein Defizit feministischer Theologie an. Dieser äußerst spannend zu lesende Teil des Buchs bedeutet eine echte eigene Forschungsleistung, die die feministische Theologie voranbringt, gelingt es der Vfn. doch, die Ansätze feministischer Ethik und Theologie von B.W. Harrison, E. Schüssler Fiorenza und Ch. Schaumberger so aufzunehmen, zu kritisieren und weiterzuführen, daß die Kategorie des Alters ernstgenommen werden kann. Die Vfn. kommt zu dem brisanten Ergebnis:

"Soll die Diskriminierung aufgrund des Lebensalters in ihrer strukturellen Bedeutung und die Verknüpfung mit anderen Formen gesellschaftlicher Unterdrückung ernstgenommen werden, so ist eine fundamentale Überprüfung der bisherigen Kategorien und Maßstäbe feministischen Theologisierens erforderlich; diese Aufgabe kann nur im Rahmen eines eigenständigen Projektes geleistet werden, das auf die feministisch-theologischen Diskurse zurückwirken muß. ... Solange der Feminismusbegriff nicht transparent machen kann, für welche Frauen er konkret spricht, wen er ausgrenzt und unsichtbar macht, welche Frauen aus welchen Zwängen zu befreien sind und wo die strukturellen Ursachen und die eigenen Beteiligungen zu suchen sind, muß das Vorhaben, feministische Theologie kontextuell zu betreiben, scheitern." (148).

Im Kontext des "ageism", das in der US-amerikanischen Ge-rontologie Verwendung findet und Alter, analog zu Rassismus und Sexismus, als Kategorie der Benachteiligung und Diskriminierung nur aufgrund des hohen Lebensalters begreift, sieht B. abschließend ein Modell, das geeignet scheint, die doppelte Diskriminierung von alten Frauen, aufgrund ihres Alters und ihres Geschlechts, systematisch und strukturell zu analysieren und sichtbar zu machen. Mit den hier gewonnenen Maßstäben wären alle feministischen Themen, wie beispielsweise körperliche Selbstbestimmung oder Gewalt gegen Frauen, neu durchzuarbeiten im Blick auf die betroffenen älteren Frauen. So endet die Studie mit der Formulierung eines offenen Projekts, auf dessen Realisierung hoffentlich nicht zu lange gewartet werden muß.

Das vorliegende Buch bereichert alle wissenschaftlich arbeitenden feministischen Theologinnen und fordert sie zugleich heraus; es ist auch eine Anfrage an die Alternswissenschaften. Für die Praxis der Altenhilfe, Altenbildung, Altenpolitik oder Altenpastoral gibt es nur in sofern etwas her, als es hilft, eigene Maßstäbe zu überprüfen und "blinde Flecken" zu sehen. In Anlage, Sprache und Reflexionsniveau ist das Buch für Betroffene hingegen unlesbar; alte Frauen sind Gegenstand der wissenschaftlichen Analyse, rücken als Subjekte ihrer Lebensrealität aber kaum ernsthaft in den Blick. Vieles, was alte Frauen intensiv beschäftigt, wo und wie sie leben und ihr Alter bewältigen, etwa auch ihre Religiosität und Kirchlichkeit, ihre Engagements, sind als "Themen" feministisch-theologischen Theologietreibens ebenso ernstzunehmen, wie spezifische Problemlagen der Altersarmut und Hilfsbedürftigkeit.